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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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England und die Neutralen in den napoleonischen Kriegen

Kunde. Zar Paul, der Gründer der nordischen Konvention, war ermordet.
Eine Palastrevolution hatte den stürmischen Selbstherrscher aller Reußen. dessen
Zäsarenwahnsinn allmählich seiner Familie und seiner Umgebung unheimlich
geworden war, aus dem Leben geräumt.

Diese furchtbare Tragödie am Petersburger Hof zog auch den Bund der
Neutralen in ihren Kreis. Der Nachfolger Pauls, Alexander der Erste, jung,
weich und unerfahren, noch betäubt vom Schrecken jener Tat, deren Mitwisser
er gewesen, überließ sich ganz seinen Ratgebern, die nicht Willen noch Einsicht
genug hatten, den Kampf um das Seerecht der Neutralen zu befriedigenden
Ende zu führen. Alexander schloß auf Veranlassung des Grafen Parm, der
ganz im Solde Englands stand, mit dem britischen Ministerium einen Vertrag,
wonach er den Grundsatz aufgab, daß die Flagge die Ware decke, d. h. daß
auf Schiffen neutraler Staaten auch feindliches Gut nicht weggenommen werden
dürfe. Ferner verzichtete er auf den vierten wichtigen Punkt der seerechtlichen
Bestimmungen, daß die Neutralen nur solche Seeplätze und Küsten als im
Blockadezustande befindlich anzusehen hätten, wenn feindliche Kriegsschiffe sie auch
wirklich absperrten.

Damit war die unumschränkte Seetyrannei Englands proklamiert. Nichts
hinderte jetzt mehr die englische Flotte, jedes neutrale Schiff auf offener See
nach Feindesgut zu untersuchen. Nichts hinderte sie mehr, dieser Kontrolle auch
solche Handelsschiffe zu unterwerfen, deren Neutralität durch die Flagge der sie
begleitenden Kriegsschiffe verbürgt wurde. Nichts hinderte Britannien jetzt
mehr, beliebige Küsten für blockiert zu erklären, und neutrale Handelsschiffe,
die nach diesen Küsten fuhren, auch wenn sie kein feindliches Gut an Bord
hatten, zu kapern. Die Neutralen, Dänemark und Schweden, von Rußland
so schmählich verraten, mußten wohl oder übel diesen Vertrag anerkennen.
Der Traum, sich von den Sllavenketten zu befreien, war rasch ausgeträumt
gewesen. Für menschheitsbeglückende Ideen haben russische Zaren immer nur
kurze Zeit geschwärmt! -- Von neuem züchtigte nun Karthago wieder die
Völker. --

Noch ein kurzes, trauriges Nachspiel erlebte einige Jahre später dieser
Bund der Neutralen. Am 21. November 1806 hatte Napoleon, um England
gänzlich zu isolieren, jenes berühmte Dekret der Kontinentalsperre erlassen, in
welchem er beschlossen hatte, "in Erwägung, daß England die von allen
gesitteten Völkern angenommenen Grundsätze des Völkerrechtes zur See nicht
anerkenne, um Handel, Schiffahrt und Gewerbefleiß aller Länder zugrunde
zu richten, auf friedliche Kauffahrer und Kaufleute, Handelsschiffe samt Mann¬
schaften und Waren, das Kriegsrecht anwende wie gegen bewaffnete Feinde,"
England Gleiches mit Gleichem zu vergelten, deshalb alle englischen Waren zu
konfiszieren, das Jnselland von jedem Verkehr mit dem Festland auszuschalten
und sämtliche englischen Untertanen im französischen Imperium als Kriegs¬
gefangene zu betrachten. Gleichzeitig war es seiner meisterhaften Diplomatie


England und die Neutralen in den napoleonischen Kriegen

Kunde. Zar Paul, der Gründer der nordischen Konvention, war ermordet.
Eine Palastrevolution hatte den stürmischen Selbstherrscher aller Reußen. dessen
Zäsarenwahnsinn allmählich seiner Familie und seiner Umgebung unheimlich
geworden war, aus dem Leben geräumt.

Diese furchtbare Tragödie am Petersburger Hof zog auch den Bund der
Neutralen in ihren Kreis. Der Nachfolger Pauls, Alexander der Erste, jung,
weich und unerfahren, noch betäubt vom Schrecken jener Tat, deren Mitwisser
er gewesen, überließ sich ganz seinen Ratgebern, die nicht Willen noch Einsicht
genug hatten, den Kampf um das Seerecht der Neutralen zu befriedigenden
Ende zu führen. Alexander schloß auf Veranlassung des Grafen Parm, der
ganz im Solde Englands stand, mit dem britischen Ministerium einen Vertrag,
wonach er den Grundsatz aufgab, daß die Flagge die Ware decke, d. h. daß
auf Schiffen neutraler Staaten auch feindliches Gut nicht weggenommen werden
dürfe. Ferner verzichtete er auf den vierten wichtigen Punkt der seerechtlichen
Bestimmungen, daß die Neutralen nur solche Seeplätze und Küsten als im
Blockadezustande befindlich anzusehen hätten, wenn feindliche Kriegsschiffe sie auch
wirklich absperrten.

Damit war die unumschränkte Seetyrannei Englands proklamiert. Nichts
hinderte jetzt mehr die englische Flotte, jedes neutrale Schiff auf offener See
nach Feindesgut zu untersuchen. Nichts hinderte sie mehr, dieser Kontrolle auch
solche Handelsschiffe zu unterwerfen, deren Neutralität durch die Flagge der sie
begleitenden Kriegsschiffe verbürgt wurde. Nichts hinderte Britannien jetzt
mehr, beliebige Küsten für blockiert zu erklären, und neutrale Handelsschiffe,
die nach diesen Küsten fuhren, auch wenn sie kein feindliches Gut an Bord
hatten, zu kapern. Die Neutralen, Dänemark und Schweden, von Rußland
so schmählich verraten, mußten wohl oder übel diesen Vertrag anerkennen.
Der Traum, sich von den Sllavenketten zu befreien, war rasch ausgeträumt
gewesen. Für menschheitsbeglückende Ideen haben russische Zaren immer nur
kurze Zeit geschwärmt! — Von neuem züchtigte nun Karthago wieder die
Völker. —

Noch ein kurzes, trauriges Nachspiel erlebte einige Jahre später dieser
Bund der Neutralen. Am 21. November 1806 hatte Napoleon, um England
gänzlich zu isolieren, jenes berühmte Dekret der Kontinentalsperre erlassen, in
welchem er beschlossen hatte, „in Erwägung, daß England die von allen
gesitteten Völkern angenommenen Grundsätze des Völkerrechtes zur See nicht
anerkenne, um Handel, Schiffahrt und Gewerbefleiß aller Länder zugrunde
zu richten, auf friedliche Kauffahrer und Kaufleute, Handelsschiffe samt Mann¬
schaften und Waren, das Kriegsrecht anwende wie gegen bewaffnete Feinde,"
England Gleiches mit Gleichem zu vergelten, deshalb alle englischen Waren zu
konfiszieren, das Jnselland von jedem Verkehr mit dem Festland auszuschalten
und sämtliche englischen Untertanen im französischen Imperium als Kriegs¬
gefangene zu betrachten. Gleichzeitig war es seiner meisterhaften Diplomatie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/407>, abgerufen am 02.07.2024.