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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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England und die Neutralen in den napoleonischen Kriegen

Kein Wunder also, daß bei dieser Stimmung Napoleon in seinem Kampf
gegen England in den seefahrenden, neutralen Staaten bald einen starken
Bundesgenossen bekam. Als Britannien sich im Jahre 1800 neue Gewalttaten
gegen schwedische Schiffe erlaubte, schlössen sich zur Abwehr der englischen See¬
tyrannei und zur Verteidigung der eigenen Handelsinteressen sämtliche Staaten
des Nordens zu einem bewaffneten Bunde der Neutralen zusammen. Es war
nicht das erste Mal, daß die britische Gewalttätigkeit auf solche Weise ein
Gegengewicht erhielt. Schon 1780 hatte Katharina von Rußland zum gleichen
Zwecke mit Dänemark und Schweden einen Bund geschlossen. Jetzt war es
Katharinas Sohn, der halbnärrische, halb großmütige Paul, der, von England
laeues beleidigt, in einer plötzlichen Aufwallung sich zum Schützer der Schwachen
und zum Befreier der Unterdrückten aufwarf.

Am 16. Dezember 1800 schloß er mit dem jungen Schwedenkönig Gustav
eine Konvention, die bestimmte, daß von nun an das baltische Meer für den
englischen Handel geschlossen bleiben sollte. Preußen, dem England gerade in
der Elbmündung ein Schiff gekapert hatte, trat zwei Tage später dem Bündnis
bei. Zögernder folgte Dänemark, die russische Freundschaft fast noch mehr als
Albions Feindschaft fürchtend. Frankreich wurde nicht offen zum Beitritt auf¬
gefordert, doch General Sprengporten zeigte im Auftrage des Zaren Napoleon
die Vereinigung der neutralen Mächte gegen England an. "Ich hasse die eng¬
lische Rasse," schrieb gleichzeitig der Zar damals an den französischen Konsul,
"weil sie alle Rechte der Völker zertritt, weil sie sich nur durch ihre Selbstsucht
und ihre Interessen leiten läßt." Und Napoleon, der wohl still lächelnd die
wichtige Botschaft gelesen, versicherte seinem neuen Freund, daß auch er sich auf
keinen Frieden mit England einlassen werde, bis es nicht den Grundsatz aner¬
kenne: "das Meer steht allen offen."

Dem bewaffneten Seehund der Neutralen, der in seine Bestimmungen auf¬
nahm, was schon lange als Seerecht der Völker gegolten und nur von England
allein nie anerkannt worden war, war nur ein kurzes Leben beschieden. Die
Gründung des Viermächtebundes, der den Vorteil hatte, sämtliche Schiffe im
Kanal zur Bedrohung der englischen Küste verwenden zu können, während die
britische Flotte über die ganze Erde zerstreut war, wurde von England sofort
als Kriegserklärung aufgenommen. Schon am 14. Januar 1801 erschien in
London eine Anordnung, wonach sämtliche Kauffahrer Rußlands, Schwedens
und Dänemarks beschlagnahmt werden sollten. Und noch ehe die im Abkommen
der Neutralen vorgesehene Bundesflotte sich bilden konnte, segelte ein stattliches
englisches Geschwader unter Führung Hyde Parlers und des größten Seehelden
der Zeit, Nelsons, nach Kopenhagen, um in der großen Handelsstadt die Haupt¬
macht des Neutralitätsbundes zu treffen. Der Widerstand der kleinen mutigen
Dänenschar gegen die Übermacht war vergebens. Schon wollte man Frieden
schließen, vielleicht in der Hoffnung, daß das Glück den anderen Gliedern des
Bundes günstiger sei. Da kam plötzlich und unerwartet von Petersburg schlimme


England und die Neutralen in den napoleonischen Kriegen

Kein Wunder also, daß bei dieser Stimmung Napoleon in seinem Kampf
gegen England in den seefahrenden, neutralen Staaten bald einen starken
Bundesgenossen bekam. Als Britannien sich im Jahre 1800 neue Gewalttaten
gegen schwedische Schiffe erlaubte, schlössen sich zur Abwehr der englischen See¬
tyrannei und zur Verteidigung der eigenen Handelsinteressen sämtliche Staaten
des Nordens zu einem bewaffneten Bunde der Neutralen zusammen. Es war
nicht das erste Mal, daß die britische Gewalttätigkeit auf solche Weise ein
Gegengewicht erhielt. Schon 1780 hatte Katharina von Rußland zum gleichen
Zwecke mit Dänemark und Schweden einen Bund geschlossen. Jetzt war es
Katharinas Sohn, der halbnärrische, halb großmütige Paul, der, von England
laeues beleidigt, in einer plötzlichen Aufwallung sich zum Schützer der Schwachen
und zum Befreier der Unterdrückten aufwarf.

Am 16. Dezember 1800 schloß er mit dem jungen Schwedenkönig Gustav
eine Konvention, die bestimmte, daß von nun an das baltische Meer für den
englischen Handel geschlossen bleiben sollte. Preußen, dem England gerade in
der Elbmündung ein Schiff gekapert hatte, trat zwei Tage später dem Bündnis
bei. Zögernder folgte Dänemark, die russische Freundschaft fast noch mehr als
Albions Feindschaft fürchtend. Frankreich wurde nicht offen zum Beitritt auf¬
gefordert, doch General Sprengporten zeigte im Auftrage des Zaren Napoleon
die Vereinigung der neutralen Mächte gegen England an. „Ich hasse die eng¬
lische Rasse," schrieb gleichzeitig der Zar damals an den französischen Konsul,
„weil sie alle Rechte der Völker zertritt, weil sie sich nur durch ihre Selbstsucht
und ihre Interessen leiten läßt." Und Napoleon, der wohl still lächelnd die
wichtige Botschaft gelesen, versicherte seinem neuen Freund, daß auch er sich auf
keinen Frieden mit England einlassen werde, bis es nicht den Grundsatz aner¬
kenne: „das Meer steht allen offen."

Dem bewaffneten Seehund der Neutralen, der in seine Bestimmungen auf¬
nahm, was schon lange als Seerecht der Völker gegolten und nur von England
allein nie anerkannt worden war, war nur ein kurzes Leben beschieden. Die
Gründung des Viermächtebundes, der den Vorteil hatte, sämtliche Schiffe im
Kanal zur Bedrohung der englischen Küste verwenden zu können, während die
britische Flotte über die ganze Erde zerstreut war, wurde von England sofort
als Kriegserklärung aufgenommen. Schon am 14. Januar 1801 erschien in
London eine Anordnung, wonach sämtliche Kauffahrer Rußlands, Schwedens
und Dänemarks beschlagnahmt werden sollten. Und noch ehe die im Abkommen
der Neutralen vorgesehene Bundesflotte sich bilden konnte, segelte ein stattliches
englisches Geschwader unter Führung Hyde Parlers und des größten Seehelden
der Zeit, Nelsons, nach Kopenhagen, um in der großen Handelsstadt die Haupt¬
macht des Neutralitätsbundes zu treffen. Der Widerstand der kleinen mutigen
Dänenschar gegen die Übermacht war vergebens. Schon wollte man Frieden
schließen, vielleicht in der Hoffnung, daß das Glück den anderen Gliedern des
Bundes günstiger sei. Da kam plötzlich und unerwartet von Petersburg schlimme


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[0406] England und die Neutralen in den napoleonischen Kriegen Kein Wunder also, daß bei dieser Stimmung Napoleon in seinem Kampf gegen England in den seefahrenden, neutralen Staaten bald einen starken Bundesgenossen bekam. Als Britannien sich im Jahre 1800 neue Gewalttaten gegen schwedische Schiffe erlaubte, schlössen sich zur Abwehr der englischen See¬ tyrannei und zur Verteidigung der eigenen Handelsinteressen sämtliche Staaten des Nordens zu einem bewaffneten Bunde der Neutralen zusammen. Es war nicht das erste Mal, daß die britische Gewalttätigkeit auf solche Weise ein Gegengewicht erhielt. Schon 1780 hatte Katharina von Rußland zum gleichen Zwecke mit Dänemark und Schweden einen Bund geschlossen. Jetzt war es Katharinas Sohn, der halbnärrische, halb großmütige Paul, der, von England laeues beleidigt, in einer plötzlichen Aufwallung sich zum Schützer der Schwachen und zum Befreier der Unterdrückten aufwarf. Am 16. Dezember 1800 schloß er mit dem jungen Schwedenkönig Gustav eine Konvention, die bestimmte, daß von nun an das baltische Meer für den englischen Handel geschlossen bleiben sollte. Preußen, dem England gerade in der Elbmündung ein Schiff gekapert hatte, trat zwei Tage später dem Bündnis bei. Zögernder folgte Dänemark, die russische Freundschaft fast noch mehr als Albions Feindschaft fürchtend. Frankreich wurde nicht offen zum Beitritt auf¬ gefordert, doch General Sprengporten zeigte im Auftrage des Zaren Napoleon die Vereinigung der neutralen Mächte gegen England an. „Ich hasse die eng¬ lische Rasse," schrieb gleichzeitig der Zar damals an den französischen Konsul, „weil sie alle Rechte der Völker zertritt, weil sie sich nur durch ihre Selbstsucht und ihre Interessen leiten läßt." Und Napoleon, der wohl still lächelnd die wichtige Botschaft gelesen, versicherte seinem neuen Freund, daß auch er sich auf keinen Frieden mit England einlassen werde, bis es nicht den Grundsatz aner¬ kenne: „das Meer steht allen offen." Dem bewaffneten Seehund der Neutralen, der in seine Bestimmungen auf¬ nahm, was schon lange als Seerecht der Völker gegolten und nur von England allein nie anerkannt worden war, war nur ein kurzes Leben beschieden. Die Gründung des Viermächtebundes, der den Vorteil hatte, sämtliche Schiffe im Kanal zur Bedrohung der englischen Küste verwenden zu können, während die britische Flotte über die ganze Erde zerstreut war, wurde von England sofort als Kriegserklärung aufgenommen. Schon am 14. Januar 1801 erschien in London eine Anordnung, wonach sämtliche Kauffahrer Rußlands, Schwedens und Dänemarks beschlagnahmt werden sollten. Und noch ehe die im Abkommen der Neutralen vorgesehene Bundesflotte sich bilden konnte, segelte ein stattliches englisches Geschwader unter Führung Hyde Parlers und des größten Seehelden der Zeit, Nelsons, nach Kopenhagen, um in der großen Handelsstadt die Haupt¬ macht des Neutralitätsbundes zu treffen. Der Widerstand der kleinen mutigen Dänenschar gegen die Übermacht war vergebens. Schon wollte man Frieden schließen, vielleicht in der Hoffnung, daß das Glück den anderen Gliedern des Bundes günstiger sei. Da kam plötzlich und unerwartet von Petersburg schlimme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/406>, abgerufen am 02.07.2024.