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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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England und die Neutralen in den napoleonischon Kriegen

zwar vor den Augen der Welt gegen die wilde Eroberungssucht und die Länder¬
gier eines grausamen Despoten, um insgeheim um so eroberungssüchtiger und
ländergieriger im fernen Westen und Osten auf Beute auszugehen.

Gegen die Wegnahme der französischen Kolonien in den beiden Indien
war ja nichts zu sagen. Man lag offiziell mit Frankreich im Krieg. Auch
daß man sich der schönen ausländischen Besitzungen Spaniens bemächtigte,
konnte man vor der Welt mit dem spanisch-französischen Bündnis rechtfertigen.
Daß man aber die hilflose Lage Hollands, das die französischen Eroberer in
die batavische Republik verwandelt hatten, ausnutzte, um dem wehrlosen Lande
seine ganze Flotte wegzuführen und seine Kolonien zu rauben, konnte man
schon weniger beschönigen. Wie man aber gegen die neutralen Staaten ver¬
fuhr, sprach so allem Völkerrecht Hohn, daß selbst die spitzfindige Diplomatie in
London keine Ausrede dafür fand.

Schon während des nordamerikanischen Krieges hatte England seine Über¬
legenheit zur See ausgenutzt, um die Handelsschiffe der neutralen Staaten auf
das unangenehmste zu belästigen. Jetzt aber begann es rücksichtslos eine Jagd
nach den Schiffen sämtlicher seefahrenden Nationen. Besonders seit Napoleon
Ägypten angegriffen und damit Englands Lebensnerv empfindlich getroffen,
kannte seine Gewalttätigkeit keine Grenze mehr. Der Fuchs, der sich für die
Unbesiegbarkeit des Löwen an wehrlosen Lämmern zu rächen sucht! -- Schonungs¬
los wurde jede Warenzufuhr nach Frankreich bewacht, wurden neutrale Schiffe
willkürlich von britischen Kriegsschiffen durchsucht. Selbstverständlich alles nur
unter dem Vorwand der Sicherstellung Englands I Was sich weigerte, sich auf
Kriegskonterbande untersuchen zu lassen, wie im Juli 1800 die dänische Fregatte
Freia, wurde einfach als gute Prise weggenommen.

Wie bitter schon damals dieses Vorgehen des Inselstaates empfunden
wurde, der dem anerkannten Recht der Völker übermütig das eigene Recht der
Willkür und der Macht des Starken entgegensetzte, beweisen die Äußerungen
gänzlich Unparteiischer in jener Zeit. "Friede auf dem festen Lande," schrieb
Wieland damals an Johannes Müller,, "und Demütigung der übermütigen
Insulaner, die uns ihr Rule Britannia so trotzig in die Ohren schallen lassen
und durch ihre angemaßte Ober- und Alleinherrschaft über den Ozean eine
unendlich drückendere und verderblichere Universalmonarchie als die, so wir von
Napoleon zu befürchten haben, nicht bloß androhen, sondern wirklich schon aus¬
üben, ist meiner innigsten Überzeugung nach das Angelegendste und Dringendste,
wofür sich alle Wünsche und wozu sich alle Kräfte vereinigen sollten." Und ist
es nicht mehr als bloßer Zufall, daß Schiller, der damals gerade an der Jung¬
frau von Orleans arbeitete, in offenkundigem Kontrast dem reinen Idealismus
und der gläubigen Hingabe des Mädchens von Dom Reni den schroffen und
harten Wirklichkeitssinn der Engländer gegenüberstellt, sie als die Verkörperung
der Herrschsucht und der Habgier zeichnet, als Männer, die nichts kennen als
sich und den Erfolg?!


England und die Neutralen in den napoleonischon Kriegen

zwar vor den Augen der Welt gegen die wilde Eroberungssucht und die Länder¬
gier eines grausamen Despoten, um insgeheim um so eroberungssüchtiger und
ländergieriger im fernen Westen und Osten auf Beute auszugehen.

Gegen die Wegnahme der französischen Kolonien in den beiden Indien
war ja nichts zu sagen. Man lag offiziell mit Frankreich im Krieg. Auch
daß man sich der schönen ausländischen Besitzungen Spaniens bemächtigte,
konnte man vor der Welt mit dem spanisch-französischen Bündnis rechtfertigen.
Daß man aber die hilflose Lage Hollands, das die französischen Eroberer in
die batavische Republik verwandelt hatten, ausnutzte, um dem wehrlosen Lande
seine ganze Flotte wegzuführen und seine Kolonien zu rauben, konnte man
schon weniger beschönigen. Wie man aber gegen die neutralen Staaten ver¬
fuhr, sprach so allem Völkerrecht Hohn, daß selbst die spitzfindige Diplomatie in
London keine Ausrede dafür fand.

Schon während des nordamerikanischen Krieges hatte England seine Über¬
legenheit zur See ausgenutzt, um die Handelsschiffe der neutralen Staaten auf
das unangenehmste zu belästigen. Jetzt aber begann es rücksichtslos eine Jagd
nach den Schiffen sämtlicher seefahrenden Nationen. Besonders seit Napoleon
Ägypten angegriffen und damit Englands Lebensnerv empfindlich getroffen,
kannte seine Gewalttätigkeit keine Grenze mehr. Der Fuchs, der sich für die
Unbesiegbarkeit des Löwen an wehrlosen Lämmern zu rächen sucht! — Schonungs¬
los wurde jede Warenzufuhr nach Frankreich bewacht, wurden neutrale Schiffe
willkürlich von britischen Kriegsschiffen durchsucht. Selbstverständlich alles nur
unter dem Vorwand der Sicherstellung Englands I Was sich weigerte, sich auf
Kriegskonterbande untersuchen zu lassen, wie im Juli 1800 die dänische Fregatte
Freia, wurde einfach als gute Prise weggenommen.

Wie bitter schon damals dieses Vorgehen des Inselstaates empfunden
wurde, der dem anerkannten Recht der Völker übermütig das eigene Recht der
Willkür und der Macht des Starken entgegensetzte, beweisen die Äußerungen
gänzlich Unparteiischer in jener Zeit. „Friede auf dem festen Lande," schrieb
Wieland damals an Johannes Müller,, „und Demütigung der übermütigen
Insulaner, die uns ihr Rule Britannia so trotzig in die Ohren schallen lassen
und durch ihre angemaßte Ober- und Alleinherrschaft über den Ozean eine
unendlich drückendere und verderblichere Universalmonarchie als die, so wir von
Napoleon zu befürchten haben, nicht bloß androhen, sondern wirklich schon aus¬
üben, ist meiner innigsten Überzeugung nach das Angelegendste und Dringendste,
wofür sich alle Wünsche und wozu sich alle Kräfte vereinigen sollten." Und ist
es nicht mehr als bloßer Zufall, daß Schiller, der damals gerade an der Jung¬
frau von Orleans arbeitete, in offenkundigem Kontrast dem reinen Idealismus
und der gläubigen Hingabe des Mädchens von Dom Reni den schroffen und
harten Wirklichkeitssinn der Engländer gegenüberstellt, sie als die Verkörperung
der Herrschsucht und der Habgier zeichnet, als Männer, die nichts kennen als
sich und den Erfolg?!


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[0405] England und die Neutralen in den napoleonischon Kriegen zwar vor den Augen der Welt gegen die wilde Eroberungssucht und die Länder¬ gier eines grausamen Despoten, um insgeheim um so eroberungssüchtiger und ländergieriger im fernen Westen und Osten auf Beute auszugehen. Gegen die Wegnahme der französischen Kolonien in den beiden Indien war ja nichts zu sagen. Man lag offiziell mit Frankreich im Krieg. Auch daß man sich der schönen ausländischen Besitzungen Spaniens bemächtigte, konnte man vor der Welt mit dem spanisch-französischen Bündnis rechtfertigen. Daß man aber die hilflose Lage Hollands, das die französischen Eroberer in die batavische Republik verwandelt hatten, ausnutzte, um dem wehrlosen Lande seine ganze Flotte wegzuführen und seine Kolonien zu rauben, konnte man schon weniger beschönigen. Wie man aber gegen die neutralen Staaten ver¬ fuhr, sprach so allem Völkerrecht Hohn, daß selbst die spitzfindige Diplomatie in London keine Ausrede dafür fand. Schon während des nordamerikanischen Krieges hatte England seine Über¬ legenheit zur See ausgenutzt, um die Handelsschiffe der neutralen Staaten auf das unangenehmste zu belästigen. Jetzt aber begann es rücksichtslos eine Jagd nach den Schiffen sämtlicher seefahrenden Nationen. Besonders seit Napoleon Ägypten angegriffen und damit Englands Lebensnerv empfindlich getroffen, kannte seine Gewalttätigkeit keine Grenze mehr. Der Fuchs, der sich für die Unbesiegbarkeit des Löwen an wehrlosen Lämmern zu rächen sucht! — Schonungs¬ los wurde jede Warenzufuhr nach Frankreich bewacht, wurden neutrale Schiffe willkürlich von britischen Kriegsschiffen durchsucht. Selbstverständlich alles nur unter dem Vorwand der Sicherstellung Englands I Was sich weigerte, sich auf Kriegskonterbande untersuchen zu lassen, wie im Juli 1800 die dänische Fregatte Freia, wurde einfach als gute Prise weggenommen. Wie bitter schon damals dieses Vorgehen des Inselstaates empfunden wurde, der dem anerkannten Recht der Völker übermütig das eigene Recht der Willkür und der Macht des Starken entgegensetzte, beweisen die Äußerungen gänzlich Unparteiischer in jener Zeit. „Friede auf dem festen Lande," schrieb Wieland damals an Johannes Müller,, „und Demütigung der übermütigen Insulaner, die uns ihr Rule Britannia so trotzig in die Ohren schallen lassen und durch ihre angemaßte Ober- und Alleinherrschaft über den Ozean eine unendlich drückendere und verderblichere Universalmonarchie als die, so wir von Napoleon zu befürchten haben, nicht bloß androhen, sondern wirklich schon aus¬ üben, ist meiner innigsten Überzeugung nach das Angelegendste und Dringendste, wofür sich alle Wünsche und wozu sich alle Kräfte vereinigen sollten." Und ist es nicht mehr als bloßer Zufall, daß Schiller, der damals gerade an der Jung¬ frau von Orleans arbeitete, in offenkundigem Kontrast dem reinen Idealismus und der gläubigen Hingabe des Mädchens von Dom Reni den schroffen und harten Wirklichkeitssinn der Engländer gegenüberstellt, sie als die Verkörperung der Herrschsucht und der Habgier zeichnet, als Männer, die nichts kennen als sich und den Erfolg?!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/405>, abgerufen am 02.07.2024.