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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Der deutsche Staatsgedanke

Gefüge eines solchen Gebäudes schiene, desto fester wäre sein innerer Zusammen¬
halt; wie die Teilchen eines wachsenden Kristalls müßten ihm die umgebenden
Staatsgebilde anschießen, soweit sie nicht von Grund auf wesensfremd wären;
und da die Stellung des führenden Staates nicht auf dem Schwerte und nicht
auf List, sondern in letzter Linie, wenn auch gestützt durch materielle Macht,
auf geistiger Eroberung beruhen würde, so wäre dies Bundesreich wahrhaft
unangreifbar.

Dies Zukunftsbild soll keine idyllische Utopie sein, die in diesen harten
Tagen doppelt abgeschmackt wäre. Der Kampf ist der Vater der Dinge; und
wie das kommende Reich nur gleich dem Bismarckschen aus Blut und Eisen
geboren werden kann, so wird sich sein Dasein auch später, mag es sich im
einzelnen so oder anders gestalten, weder nach innen noch nach außen bloß im
Schatten von Friedenspalmen abspielen. Auch in der Vergangenheit sehen wir
ja, wie jene Tendenzen der deutschen Entwicklung, in denen wir die zu dem
fern geschauten Ziele führenden Hauptlinien zu erkennen glauben, von mannig¬
faltigen Notwendigkeiten des Tages gehemmt und verdunkelt werden. Vor allem
die schmale Basis der zwischen Romanen- und Slawentum eingezwängten Nation
bildet eine Gefahr, die der freien Entfaltung deutscher Anlagen immer wieder
im Wege steht; sie führte zu Erscheinungen wie die der preußischen Polenpolitik,
die freilich nicht auf der gekennzeichneten Bahn zu liegen scheint und doch von
anderem Gesichtspunkte sich als schwer vermeidbares Postulat darstellen mag.
Und ähnlich liegt die Sache in der Habsburger Monarchie. Hier gälte es, in
engeren und darum um so schwierigeren Verhältnissen zu zeigen, wie verschiedene
Volksstämme politisch zusammengefaßt werden können, ohne sich dadurch in ihrer
Eigenentwicklung gehemmt zu fühlen, und wie die deutsche Führung zu erhalten
ist, ohne bei den anderen als Druck empfunden zu werden. Aber das Problem
ist durch historische, wirtschaftliche, ethnische Tatsachen so ungeheuer kompliziert,
daß es noch keine Kritik der Deutschen in Österreich bedeutet, wenn man fest¬
stellt, daß ihre Politik oft nach ganz anderen Zielen führte. Solche natur¬
bedingten Konflikte werden auch in der Zukunft zu den ernsten Sorgen des
deutschen Volkes gehören; und mag auch ein siegreicher Ausgang des Krieges
durch die gewaltige innere Stärkung des Deutschtums, die er mit sich bringen
wird, manches erleichtern, eine Lösung aller Fragen ist sicherlich damit nicht
gegeben. Vielleicht läge eine Möglichkeit dazu in dem engeren Anschluß der
kleineren germanischen Staatengebilde, der zweifellos nur in der geschilderten
freien Form denkbar wäre, dann aber die nach den Naturgesetzen so unent¬
behrliche breitere Grundlage für den germanischen Gedanken zu schaffen vermöchte,
von wo er ausstrahlen könnte in die Gebiete der zum Bannkreis westlicher Kultur
gehörigen slawischen Stämme und der zu neuem Leben erwachenden, unaus-
geschöpste Kräfte in sich bergenden Jslamvölker.

So weitet sich der Blick und schweift vom Nordkap bis zum Indischen
Ozean, ein Reich umspannend, das geographisch, wirtschaftlich, politisch grenzenlose


Der deutsche Staatsgedanke

Gefüge eines solchen Gebäudes schiene, desto fester wäre sein innerer Zusammen¬
halt; wie die Teilchen eines wachsenden Kristalls müßten ihm die umgebenden
Staatsgebilde anschießen, soweit sie nicht von Grund auf wesensfremd wären;
und da die Stellung des führenden Staates nicht auf dem Schwerte und nicht
auf List, sondern in letzter Linie, wenn auch gestützt durch materielle Macht,
auf geistiger Eroberung beruhen würde, so wäre dies Bundesreich wahrhaft
unangreifbar.

Dies Zukunftsbild soll keine idyllische Utopie sein, die in diesen harten
Tagen doppelt abgeschmackt wäre. Der Kampf ist der Vater der Dinge; und
wie das kommende Reich nur gleich dem Bismarckschen aus Blut und Eisen
geboren werden kann, so wird sich sein Dasein auch später, mag es sich im
einzelnen so oder anders gestalten, weder nach innen noch nach außen bloß im
Schatten von Friedenspalmen abspielen. Auch in der Vergangenheit sehen wir
ja, wie jene Tendenzen der deutschen Entwicklung, in denen wir die zu dem
fern geschauten Ziele führenden Hauptlinien zu erkennen glauben, von mannig¬
faltigen Notwendigkeiten des Tages gehemmt und verdunkelt werden. Vor allem
die schmale Basis der zwischen Romanen- und Slawentum eingezwängten Nation
bildet eine Gefahr, die der freien Entfaltung deutscher Anlagen immer wieder
im Wege steht; sie führte zu Erscheinungen wie die der preußischen Polenpolitik,
die freilich nicht auf der gekennzeichneten Bahn zu liegen scheint und doch von
anderem Gesichtspunkte sich als schwer vermeidbares Postulat darstellen mag.
Und ähnlich liegt die Sache in der Habsburger Monarchie. Hier gälte es, in
engeren und darum um so schwierigeren Verhältnissen zu zeigen, wie verschiedene
Volksstämme politisch zusammengefaßt werden können, ohne sich dadurch in ihrer
Eigenentwicklung gehemmt zu fühlen, und wie die deutsche Führung zu erhalten
ist, ohne bei den anderen als Druck empfunden zu werden. Aber das Problem
ist durch historische, wirtschaftliche, ethnische Tatsachen so ungeheuer kompliziert,
daß es noch keine Kritik der Deutschen in Österreich bedeutet, wenn man fest¬
stellt, daß ihre Politik oft nach ganz anderen Zielen führte. Solche natur¬
bedingten Konflikte werden auch in der Zukunft zu den ernsten Sorgen des
deutschen Volkes gehören; und mag auch ein siegreicher Ausgang des Krieges
durch die gewaltige innere Stärkung des Deutschtums, die er mit sich bringen
wird, manches erleichtern, eine Lösung aller Fragen ist sicherlich damit nicht
gegeben. Vielleicht läge eine Möglichkeit dazu in dem engeren Anschluß der
kleineren germanischen Staatengebilde, der zweifellos nur in der geschilderten
freien Form denkbar wäre, dann aber die nach den Naturgesetzen so unent¬
behrliche breitere Grundlage für den germanischen Gedanken zu schaffen vermöchte,
von wo er ausstrahlen könnte in die Gebiete der zum Bannkreis westlicher Kultur
gehörigen slawischen Stämme und der zu neuem Leben erwachenden, unaus-
geschöpste Kräfte in sich bergenden Jslamvölker.

So weitet sich der Blick und schweift vom Nordkap bis zum Indischen
Ozean, ein Reich umspannend, das geographisch, wirtschaftlich, politisch grenzenlose


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[0402] Der deutsche Staatsgedanke Gefüge eines solchen Gebäudes schiene, desto fester wäre sein innerer Zusammen¬ halt; wie die Teilchen eines wachsenden Kristalls müßten ihm die umgebenden Staatsgebilde anschießen, soweit sie nicht von Grund auf wesensfremd wären; und da die Stellung des führenden Staates nicht auf dem Schwerte und nicht auf List, sondern in letzter Linie, wenn auch gestützt durch materielle Macht, auf geistiger Eroberung beruhen würde, so wäre dies Bundesreich wahrhaft unangreifbar. Dies Zukunftsbild soll keine idyllische Utopie sein, die in diesen harten Tagen doppelt abgeschmackt wäre. Der Kampf ist der Vater der Dinge; und wie das kommende Reich nur gleich dem Bismarckschen aus Blut und Eisen geboren werden kann, so wird sich sein Dasein auch später, mag es sich im einzelnen so oder anders gestalten, weder nach innen noch nach außen bloß im Schatten von Friedenspalmen abspielen. Auch in der Vergangenheit sehen wir ja, wie jene Tendenzen der deutschen Entwicklung, in denen wir die zu dem fern geschauten Ziele führenden Hauptlinien zu erkennen glauben, von mannig¬ faltigen Notwendigkeiten des Tages gehemmt und verdunkelt werden. Vor allem die schmale Basis der zwischen Romanen- und Slawentum eingezwängten Nation bildet eine Gefahr, die der freien Entfaltung deutscher Anlagen immer wieder im Wege steht; sie führte zu Erscheinungen wie die der preußischen Polenpolitik, die freilich nicht auf der gekennzeichneten Bahn zu liegen scheint und doch von anderem Gesichtspunkte sich als schwer vermeidbares Postulat darstellen mag. Und ähnlich liegt die Sache in der Habsburger Monarchie. Hier gälte es, in engeren und darum um so schwierigeren Verhältnissen zu zeigen, wie verschiedene Volksstämme politisch zusammengefaßt werden können, ohne sich dadurch in ihrer Eigenentwicklung gehemmt zu fühlen, und wie die deutsche Führung zu erhalten ist, ohne bei den anderen als Druck empfunden zu werden. Aber das Problem ist durch historische, wirtschaftliche, ethnische Tatsachen so ungeheuer kompliziert, daß es noch keine Kritik der Deutschen in Österreich bedeutet, wenn man fest¬ stellt, daß ihre Politik oft nach ganz anderen Zielen führte. Solche natur¬ bedingten Konflikte werden auch in der Zukunft zu den ernsten Sorgen des deutschen Volkes gehören; und mag auch ein siegreicher Ausgang des Krieges durch die gewaltige innere Stärkung des Deutschtums, die er mit sich bringen wird, manches erleichtern, eine Lösung aller Fragen ist sicherlich damit nicht gegeben. Vielleicht läge eine Möglichkeit dazu in dem engeren Anschluß der kleineren germanischen Staatengebilde, der zweifellos nur in der geschilderten freien Form denkbar wäre, dann aber die nach den Naturgesetzen so unent¬ behrliche breitere Grundlage für den germanischen Gedanken zu schaffen vermöchte, von wo er ausstrahlen könnte in die Gebiete der zum Bannkreis westlicher Kultur gehörigen slawischen Stämme und der zu neuem Leben erwachenden, unaus- geschöpste Kräfte in sich bergenden Jslamvölker. So weitet sich der Blick und schweift vom Nordkap bis zum Indischen Ozean, ein Reich umspannend, das geographisch, wirtschaftlich, politisch grenzenlose

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/402>, abgerufen am 02.07.2024.