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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums

Eigenart. Es ist deshalb unverständlich, wenn immer wieder die Stundenzahlen
für die alten Sprachen und für Deutsch miteinander verglichen werden, um die
Forderung: Mehr Deutsch! zu begründen, übrigens: die jetzige stürmische Auf¬
lehnung unseres Volkes gegen alle Fremdtümelei in Sprache und Sitte ist
seit langen Jahren durch den "Allgemeinen Deutschen Sprachverein" vorbereitet.
Der Herausgeber der Zeitschrift dieses gewiß deutschen und neuzeitlichen Vereins
ist ein Gymnasialdirektor.

Und, um zum Schluß zu kommen: alle jene Fäden endlich laufen, nicht
nur in der Einsicht in den Werdegang der deutschen literarischen Kunstformen,
in der Deutschstunde der Prima zusammen. Es bleibt wahr, daß sich "die
Geisteswelt unserer Klassiker nur dem ganz erschließt, der den Geist der Antike
kennt, auf dem jene aufbauten." Die Klassiker waren zugleich überzeugte
Humanisten und diejenigen, die durch ihre Werke jenes stolze Zusammen¬
gehörigkeitsgefühl aller Deutschen erst ermöglicht haben, das zur Erhebung von
1813 führte. -- Neben der Deutschstunde aber sammelt und verwertet noch
zuguderletzt die Geschichtsstunde der Prima alle die historischen und staatsbürger¬
lichen Werte neunjähriger Arbeit zum Verständnis für die Fragen der äußeren
und inneren Politik, der Regierungsformen wie der sozialen Frage, die, wie
heutzutage, schon im Altertum mit dem Agrarproblem begonnen hat. -- Ach,
das alles ist, nicht nur von unseren Fachleuten, schon oft gesagt und bewiesen
worden. Ich nenne nur die Namen: Cauer, Collischonn, Grünwald, Ad. Harnack,
Gustav Noethe, Ed. Meyer, O.Jmmisch, Poehlmann, Patin, Lorentz, Trendelenburg,
Wiesenthal. Aber die Gelegenheit ist günstig, auch ein größeres, vielleicht noch
ungläubiges Publikum zu neuer Prüfung unseres Anspruchs zu veranlassen:
paß für die höchste Forderung des Tages und weit darüber hinaus, nämlich
zu tüchtigen, deutschen Bürgern zu erziehen, daß für diese Aufgabe auch das
Gymnasium gute Mittel und Wege hat.

Es liegt uns fern, heute zumal, Trennendes oder gar Gegensätze gegen¬
über den anderen Formen der höheren Schule betonen zu wollen. Wir alle
haben dasselbe Ziel und können es mit Direktor Lorentz so fassen: "wissenschaftlich
begründetes Verständnis für die deutsche Gegenwart"*). Um so mehr wollen
wir uns in diesen schweren Tagen geloben, daß sich nicht wiederholen darf, wovon so
oft berichtet werden mußte): nämlich das traurige Schauspiel, daß sich Humanisten
und Germanisten im Kampfe um die höhere deutsche Jugendbildung feindlich
oder neidisch gegenüberstehen. Das für immer unmöglich zu machen, dazu
verhelfe uns die Not der Zeit! Ein jeder tue weiter seine deutsche Pflicht!
Unsere Primaner jedenfalls draußen im Felde bewähren es, was sie aus Homer
so gut wie von Theodor Körner gelernt haben:


si; menos; "^?IV<; Q^llveat)"!, n^l

"Ein Wahrzeichen nur gilt: das Vaterland zu verteidigen."





*) Grenzboten Heft 62, 1913.
Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums

Eigenart. Es ist deshalb unverständlich, wenn immer wieder die Stundenzahlen
für die alten Sprachen und für Deutsch miteinander verglichen werden, um die
Forderung: Mehr Deutsch! zu begründen, übrigens: die jetzige stürmische Auf¬
lehnung unseres Volkes gegen alle Fremdtümelei in Sprache und Sitte ist
seit langen Jahren durch den „Allgemeinen Deutschen Sprachverein" vorbereitet.
Der Herausgeber der Zeitschrift dieses gewiß deutschen und neuzeitlichen Vereins
ist ein Gymnasialdirektor.

Und, um zum Schluß zu kommen: alle jene Fäden endlich laufen, nicht
nur in der Einsicht in den Werdegang der deutschen literarischen Kunstformen,
in der Deutschstunde der Prima zusammen. Es bleibt wahr, daß sich „die
Geisteswelt unserer Klassiker nur dem ganz erschließt, der den Geist der Antike
kennt, auf dem jene aufbauten." Die Klassiker waren zugleich überzeugte
Humanisten und diejenigen, die durch ihre Werke jenes stolze Zusammen¬
gehörigkeitsgefühl aller Deutschen erst ermöglicht haben, das zur Erhebung von
1813 führte. — Neben der Deutschstunde aber sammelt und verwertet noch
zuguderletzt die Geschichtsstunde der Prima alle die historischen und staatsbürger¬
lichen Werte neunjähriger Arbeit zum Verständnis für die Fragen der äußeren
und inneren Politik, der Regierungsformen wie der sozialen Frage, die, wie
heutzutage, schon im Altertum mit dem Agrarproblem begonnen hat. — Ach,
das alles ist, nicht nur von unseren Fachleuten, schon oft gesagt und bewiesen
worden. Ich nenne nur die Namen: Cauer, Collischonn, Grünwald, Ad. Harnack,
Gustav Noethe, Ed. Meyer, O.Jmmisch, Poehlmann, Patin, Lorentz, Trendelenburg,
Wiesenthal. Aber die Gelegenheit ist günstig, auch ein größeres, vielleicht noch
ungläubiges Publikum zu neuer Prüfung unseres Anspruchs zu veranlassen:
paß für die höchste Forderung des Tages und weit darüber hinaus, nämlich
zu tüchtigen, deutschen Bürgern zu erziehen, daß für diese Aufgabe auch das
Gymnasium gute Mittel und Wege hat.

Es liegt uns fern, heute zumal, Trennendes oder gar Gegensätze gegen¬
über den anderen Formen der höheren Schule betonen zu wollen. Wir alle
haben dasselbe Ziel und können es mit Direktor Lorentz so fassen: „wissenschaftlich
begründetes Verständnis für die deutsche Gegenwart"*). Um so mehr wollen
wir uns in diesen schweren Tagen geloben, daß sich nicht wiederholen darf, wovon so
oft berichtet werden mußte): nämlich das traurige Schauspiel, daß sich Humanisten
und Germanisten im Kampfe um die höhere deutsche Jugendbildung feindlich
oder neidisch gegenüberstehen. Das für immer unmöglich zu machen, dazu
verhelfe uns die Not der Zeit! Ein jeder tue weiter seine deutsche Pflicht!
Unsere Primaner jedenfalls draußen im Felde bewähren es, was sie aus Homer
so gut wie von Theodor Körner gelernt haben:


si; menos; «^?IV<; Q^llveat)«!, n^l

„Ein Wahrzeichen nur gilt: das Vaterland zu verteidigen."





*) Grenzboten Heft 62, 1913.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/39>, abgerufen am 30.06.2024.