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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Gewerkschaftsorganiscitionen und der Arieg

zubeugen, um die Ernährung der minderbemittelten Bevölkerung sicher zu
stellen.

Eine Maßnahme im Interesse der Finanzgebahrung der Arbeiter¬
vereinigungen bedeutet die Beschränkung des Erscheinens der verschiedenen Ver¬
bandsorgane. Erfreulich ist die Einstellung der fremdsprachlichen Organe in
der deutschen Arbeiterbewegung. Eine andere erfreuliche Erscheinung ist, daß
dieser Krieg einem Teil der deutschen Arbeiterschaft die Augen über die sogenannte
internationale Solidarität der ausländischen Arbeiterschaft geöffnet hat. Bestand
doch von jeher die internationale Solidarität der ausländischen Arbeiter¬
vereinigungen den deutschen Arbeitern gegenüber nur im Nehmen aber nicht
im Wiedergeben. Man nehme nur den energischen Protest des Vorstandes der
sozialdemokratischen Partei Deutschlands gegen die deutschfeindlichen Ver¬
dächtigungen verschiedener Arbeiterzentralen ausländischer Staaten. Die Deutsch¬
land angedichteten Barbareien finden bekanntlich auf gewisse Staaten viel bessere
Anwendung. Man nehme nur einmal das Beispiel der armen italienischen
Arbeiter, die alljährlich zu Zentausenden nach Deutschland kommen und hier
keine Verfolgungen wie in Frankreich erleiden. Man erinnere sich nur der
Jtalienerhetzen in Aigues Mortes. Anerkennenswert von den deutschen Gewerk¬
schaften ist ferner die sofortige Zurverfügungstellung der Gewerkschaftshäuser
und Arbeiterheime zu Zwecken der Kriegshilfe.

Interessant ist ein freigewerkschaftlicher Bericht über die zum Kriegsdienst
einberufenen Mitglieder der freien Gewerkschaften. Nach Angaben der Verbands¬
vorstände waren bis Anfang September 389755 Gewerkschaftsmitglieder, von
denen zwei Drittel verheiratet sind, zum Heer eingezogen. Die Zahl der tat¬
sächlich Eingezogenen dürfte aber wesentlich höher sein, denn beispielsweise sind
bei dem Verband der Fabrikarbeiter nur 69,5 Prozent der Mitglieder von der
Erhebung erfaßt worden. Die absolute Zahl der zum Kriegsdienst Eingezogenen
betrug in den Verbunden: Metallarbeiter 131891 (27,4 Prozent), Bauarbeiter
109000 (39 Prozent), Transportarbeiter 61247 (29.6 Prozent), Fabrikarbeiter
44429 (35,2 Prozent), Holzarbeiter 44060 (23.9 Prozent). Bergarbeiter
25446 (25 Prozent), Zimmerer 19776 (35,1 Prozent), Gemeindearbeiter
13856 (26.2 Prozent). Buchdrucker 12714 (18,4 Prozent). Textilarbeiter 12165
14,5 Prozent), Brauerei- und Mühlenarbeiter 11594 (27,4 Prozent), Schneider
10823 (27,2 Prozent), Maler 9781 (24,3 Prozent) usw.

Wie draußen im Felde der Arme neben dem Reichen kämpft, wie der
Unternehmer ebenso sein Leben aufs Spiel setzt wie der Arbeiter, genau so kann
man beobachten, daß auch daheim die Gegensätze stark gemildert und teilweise
sogar ganz verschwunden sind. Die Organisationen der Unternehmer und Arbeiter
haben sich gegenseitig die Hände gereicht und versuchen auf dem Wege friedlicher
Verständigung über die Schwierigkeiten der Lage hinwegzukommen. So wurden
seitens der Arbeiterschaft wie der Unternehmerorganisation gleich bei Ausbruch des
Krieges die bestehenden Arbeitsstreitigkeiten abgebrochen und die verschiedenen


Die deutschen Gewerkschaftsorganiscitionen und der Arieg

zubeugen, um die Ernährung der minderbemittelten Bevölkerung sicher zu
stellen.

Eine Maßnahme im Interesse der Finanzgebahrung der Arbeiter¬
vereinigungen bedeutet die Beschränkung des Erscheinens der verschiedenen Ver¬
bandsorgane. Erfreulich ist die Einstellung der fremdsprachlichen Organe in
der deutschen Arbeiterbewegung. Eine andere erfreuliche Erscheinung ist, daß
dieser Krieg einem Teil der deutschen Arbeiterschaft die Augen über die sogenannte
internationale Solidarität der ausländischen Arbeiterschaft geöffnet hat. Bestand
doch von jeher die internationale Solidarität der ausländischen Arbeiter¬
vereinigungen den deutschen Arbeitern gegenüber nur im Nehmen aber nicht
im Wiedergeben. Man nehme nur den energischen Protest des Vorstandes der
sozialdemokratischen Partei Deutschlands gegen die deutschfeindlichen Ver¬
dächtigungen verschiedener Arbeiterzentralen ausländischer Staaten. Die Deutsch¬
land angedichteten Barbareien finden bekanntlich auf gewisse Staaten viel bessere
Anwendung. Man nehme nur einmal das Beispiel der armen italienischen
Arbeiter, die alljährlich zu Zentausenden nach Deutschland kommen und hier
keine Verfolgungen wie in Frankreich erleiden. Man erinnere sich nur der
Jtalienerhetzen in Aigues Mortes. Anerkennenswert von den deutschen Gewerk¬
schaften ist ferner die sofortige Zurverfügungstellung der Gewerkschaftshäuser
und Arbeiterheime zu Zwecken der Kriegshilfe.

Interessant ist ein freigewerkschaftlicher Bericht über die zum Kriegsdienst
einberufenen Mitglieder der freien Gewerkschaften. Nach Angaben der Verbands¬
vorstände waren bis Anfang September 389755 Gewerkschaftsmitglieder, von
denen zwei Drittel verheiratet sind, zum Heer eingezogen. Die Zahl der tat¬
sächlich Eingezogenen dürfte aber wesentlich höher sein, denn beispielsweise sind
bei dem Verband der Fabrikarbeiter nur 69,5 Prozent der Mitglieder von der
Erhebung erfaßt worden. Die absolute Zahl der zum Kriegsdienst Eingezogenen
betrug in den Verbunden: Metallarbeiter 131891 (27,4 Prozent), Bauarbeiter
109000 (39 Prozent), Transportarbeiter 61247 (29.6 Prozent), Fabrikarbeiter
44429 (35,2 Prozent), Holzarbeiter 44060 (23.9 Prozent). Bergarbeiter
25446 (25 Prozent), Zimmerer 19776 (35,1 Prozent), Gemeindearbeiter
13856 (26.2 Prozent). Buchdrucker 12714 (18,4 Prozent). Textilarbeiter 12165
14,5 Prozent), Brauerei- und Mühlenarbeiter 11594 (27,4 Prozent), Schneider
10823 (27,2 Prozent), Maler 9781 (24,3 Prozent) usw.

Wie draußen im Felde der Arme neben dem Reichen kämpft, wie der
Unternehmer ebenso sein Leben aufs Spiel setzt wie der Arbeiter, genau so kann
man beobachten, daß auch daheim die Gegensätze stark gemildert und teilweise
sogar ganz verschwunden sind. Die Organisationen der Unternehmer und Arbeiter
haben sich gegenseitig die Hände gereicht und versuchen auf dem Wege friedlicher
Verständigung über die Schwierigkeiten der Lage hinwegzukommen. So wurden
seitens der Arbeiterschaft wie der Unternehmerorganisation gleich bei Ausbruch des
Krieges die bestehenden Arbeitsstreitigkeiten abgebrochen und die verschiedenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/388>, abgerufen am 02.10.2024.