Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg

bei anderen Staaten anerkennen und im Falle des Konfliktes, des Krieges, sie
auch bei den gegnerischen Staaten respektieren. Tatsächlich haben die ersten
Revolutionsheere, als sie im Rheingebiete und Süddeutschland einbrachen, sich
als Vorkämpfer derartiger Ideale betrachtet, und es ist von Oberleitung und
Truppen versucht worden, danach zu handeln. Aber noch steckte die alte Idee
des Plünderungkrieges zu sehr im Blute. Ferner hatten die Führer ihre wilden
Banden zu wenig in der Hand, und mit dem Verfall der Ideale der Revolution,
mit dem es bekanntlich recht rasch ging, fielen auch diese Rücksichtnahmen bald
ganz weg. Wohl hatte man auch bereits früher den Besiegten gegenüber und
beim Kampfe in Feindesland gewisse Rechte der Bevölkerung unberührt gelassen.
Allein diese Achtung beruht wohl mehr auf Zweckmäßigkeitsgründen, als auf
dem Gefühl des Rechtes. Man wollte die Bevölkerung des feindlichen
Staates, auf die man bis zu einem gewissen Grade angewiesen war, nicht
unnötig aufsässig machen. Auch fürchtete man die Wiedervergeltung bei
wechselndem Kriegsglücke. Hatte man die Macht zu anderem Handeln, ging
die Schonung ferner nicht etwa aus Okkupationsabsichten hervor, so hinderte
nichts die Behandlung der Besiegten als völlig rechtsloser Gegenstände.

Die Idee der Humanität ist wesentlich späteren Ursprungs. Aber es
scheint, daß seit der Revolution, vielleicht auch schon seit dem ihr vorausgehenden
Zeitalter philosophischer Aufklärung, doch eine gewisse Schonung der Besiegten,
zumal der am Kampfe nicht beteiligten Bevölkerung, als Recht anerkannt worden
ist. Wieder handelt es sich vor allem um Freiheit und Eigentum.

Seitdem hat die Auffassung, Freiheit und Eigentum selbst beim Feinde
-- allerdings unter manchen bedeutenden Einschränkungen -- zu achten, starke
Fortschritte gemacht, ja man kann ihre mehr oder minder gewissenhafte Be¬
obachtung als eine Art Kulturmesser der kämpfenden Völker betrachten. Es
gibt heute eine allen Kulturstaaten gemeinsame Rechtsüberzeugung über gewisse
schutzwürdige Güter und Rechte des Feindes. Ihr zu Grunde liegt vor allem
offenbar der Gedanke, daß beim Kriege Staat gegen Staat kämpft und nicht
Staat gegen Private; andererseits die Auffassung, daß wohl alle Mittel zur
Besiegung des Gegners, aber nicht unnötige Grausamkeiten angewandt und
gestattet sein sollen.

Schon seit langem gab es einzelne mehr oder weniger zusammenhanglose
Normen, Sätze, die gewissermaßen gewohnheitsrechtlich Allgemeingültigkeit in
der gesamten Kulturwelt besaßen. Erst in unseren Tagen der internationalen
Abkommen hat -- einem charakteristischen Zuge der Zeit folgend -- ihre Zu¬
sammenfassung und Kodifizierung als vertraglich von allen zivilisierten Staaten
gebilligtes Recht stattgefunden. Einigermaßen erschöpfend allerdings bisher
nur für die Rechtsverhältnisse des Landkrieges. Die wichtigsten und grund-
legensten Festsetzungen finden sich in einem dem 4. Haager Abkommen von 1907
angeschlossenen Reglement, der "Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Land¬
krieges." Bei diesem ist streng geschieden zwischen den Maßregeln gegenüber


Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg

bei anderen Staaten anerkennen und im Falle des Konfliktes, des Krieges, sie
auch bei den gegnerischen Staaten respektieren. Tatsächlich haben die ersten
Revolutionsheere, als sie im Rheingebiete und Süddeutschland einbrachen, sich
als Vorkämpfer derartiger Ideale betrachtet, und es ist von Oberleitung und
Truppen versucht worden, danach zu handeln. Aber noch steckte die alte Idee
des Plünderungkrieges zu sehr im Blute. Ferner hatten die Führer ihre wilden
Banden zu wenig in der Hand, und mit dem Verfall der Ideale der Revolution,
mit dem es bekanntlich recht rasch ging, fielen auch diese Rücksichtnahmen bald
ganz weg. Wohl hatte man auch bereits früher den Besiegten gegenüber und
beim Kampfe in Feindesland gewisse Rechte der Bevölkerung unberührt gelassen.
Allein diese Achtung beruht wohl mehr auf Zweckmäßigkeitsgründen, als auf
dem Gefühl des Rechtes. Man wollte die Bevölkerung des feindlichen
Staates, auf die man bis zu einem gewissen Grade angewiesen war, nicht
unnötig aufsässig machen. Auch fürchtete man die Wiedervergeltung bei
wechselndem Kriegsglücke. Hatte man die Macht zu anderem Handeln, ging
die Schonung ferner nicht etwa aus Okkupationsabsichten hervor, so hinderte
nichts die Behandlung der Besiegten als völlig rechtsloser Gegenstände.

Die Idee der Humanität ist wesentlich späteren Ursprungs. Aber es
scheint, daß seit der Revolution, vielleicht auch schon seit dem ihr vorausgehenden
Zeitalter philosophischer Aufklärung, doch eine gewisse Schonung der Besiegten,
zumal der am Kampfe nicht beteiligten Bevölkerung, als Recht anerkannt worden
ist. Wieder handelt es sich vor allem um Freiheit und Eigentum.

Seitdem hat die Auffassung, Freiheit und Eigentum selbst beim Feinde
— allerdings unter manchen bedeutenden Einschränkungen — zu achten, starke
Fortschritte gemacht, ja man kann ihre mehr oder minder gewissenhafte Be¬
obachtung als eine Art Kulturmesser der kämpfenden Völker betrachten. Es
gibt heute eine allen Kulturstaaten gemeinsame Rechtsüberzeugung über gewisse
schutzwürdige Güter und Rechte des Feindes. Ihr zu Grunde liegt vor allem
offenbar der Gedanke, daß beim Kriege Staat gegen Staat kämpft und nicht
Staat gegen Private; andererseits die Auffassung, daß wohl alle Mittel zur
Besiegung des Gegners, aber nicht unnötige Grausamkeiten angewandt und
gestattet sein sollen.

Schon seit langem gab es einzelne mehr oder weniger zusammenhanglose
Normen, Sätze, die gewissermaßen gewohnheitsrechtlich Allgemeingültigkeit in
der gesamten Kulturwelt besaßen. Erst in unseren Tagen der internationalen
Abkommen hat — einem charakteristischen Zuge der Zeit folgend — ihre Zu¬
sammenfassung und Kodifizierung als vertraglich von allen zivilisierten Staaten
gebilligtes Recht stattgefunden. Einigermaßen erschöpfend allerdings bisher
nur für die Rechtsverhältnisse des Landkrieges. Die wichtigsten und grund-
legensten Festsetzungen finden sich in einem dem 4. Haager Abkommen von 1907
angeschlossenen Reglement, der „Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Land¬
krieges." Bei diesem ist streng geschieden zwischen den Maßregeln gegenüber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329607"/>
            <fw type="header" place="top"> Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1315" prev="#ID_1314"> bei anderen Staaten anerkennen und im Falle des Konfliktes, des Krieges, sie<lb/>
auch bei den gegnerischen Staaten respektieren. Tatsächlich haben die ersten<lb/>
Revolutionsheere, als sie im Rheingebiete und Süddeutschland einbrachen, sich<lb/>
als Vorkämpfer derartiger Ideale betrachtet, und es ist von Oberleitung und<lb/>
Truppen versucht worden, danach zu handeln. Aber noch steckte die alte Idee<lb/>
des Plünderungkrieges zu sehr im Blute. Ferner hatten die Führer ihre wilden<lb/>
Banden zu wenig in der Hand, und mit dem Verfall der Ideale der Revolution,<lb/>
mit dem es bekanntlich recht rasch ging, fielen auch diese Rücksichtnahmen bald<lb/>
ganz weg. Wohl hatte man auch bereits früher den Besiegten gegenüber und<lb/>
beim Kampfe in Feindesland gewisse Rechte der Bevölkerung unberührt gelassen.<lb/>
Allein diese Achtung beruht wohl mehr auf Zweckmäßigkeitsgründen, als auf<lb/>
dem Gefühl des Rechtes. Man wollte die Bevölkerung des feindlichen<lb/>
Staates, auf die man bis zu einem gewissen Grade angewiesen war, nicht<lb/>
unnötig aufsässig machen. Auch fürchtete man die Wiedervergeltung bei<lb/>
wechselndem Kriegsglücke. Hatte man die Macht zu anderem Handeln, ging<lb/>
die Schonung ferner nicht etwa aus Okkupationsabsichten hervor, so hinderte<lb/>
nichts die Behandlung der Besiegten als völlig rechtsloser Gegenstände.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1316"> Die Idee der Humanität ist wesentlich späteren Ursprungs. Aber es<lb/>
scheint, daß seit der Revolution, vielleicht auch schon seit dem ihr vorausgehenden<lb/>
Zeitalter philosophischer Aufklärung, doch eine gewisse Schonung der Besiegten,<lb/>
zumal der am Kampfe nicht beteiligten Bevölkerung, als Recht anerkannt worden<lb/>
ist.  Wieder handelt es sich vor allem um Freiheit und Eigentum.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1317"> Seitdem hat die Auffassung, Freiheit und Eigentum selbst beim Feinde<lb/>
&#x2014; allerdings unter manchen bedeutenden Einschränkungen &#x2014; zu achten, starke<lb/>
Fortschritte gemacht, ja man kann ihre mehr oder minder gewissenhafte Be¬<lb/>
obachtung als eine Art Kulturmesser der kämpfenden Völker betrachten. Es<lb/>
gibt heute eine allen Kulturstaaten gemeinsame Rechtsüberzeugung über gewisse<lb/>
schutzwürdige Güter und Rechte des Feindes. Ihr zu Grunde liegt vor allem<lb/>
offenbar der Gedanke, daß beim Kriege Staat gegen Staat kämpft und nicht<lb/>
Staat gegen Private; andererseits die Auffassung, daß wohl alle Mittel zur<lb/>
Besiegung des Gegners, aber nicht unnötige Grausamkeiten angewandt und<lb/>
gestattet sein sollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1318" next="#ID_1319"> Schon seit langem gab es einzelne mehr oder weniger zusammenhanglose<lb/>
Normen, Sätze, die gewissermaßen gewohnheitsrechtlich Allgemeingültigkeit in<lb/>
der gesamten Kulturwelt besaßen. Erst in unseren Tagen der internationalen<lb/>
Abkommen hat &#x2014; einem charakteristischen Zuge der Zeit folgend &#x2014; ihre Zu¬<lb/>
sammenfassung und Kodifizierung als vertraglich von allen zivilisierten Staaten<lb/>
gebilligtes Recht stattgefunden. Einigermaßen erschöpfend allerdings bisher<lb/>
nur für die Rechtsverhältnisse des Landkrieges. Die wichtigsten und grund-<lb/>
legensten Festsetzungen finden sich in einem dem 4. Haager Abkommen von 1907<lb/>
angeschlossenen Reglement, der &#x201E;Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Land¬<lb/>
krieges."  Bei diesem ist streng geschieden zwischen den Maßregeln gegenüber</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg bei anderen Staaten anerkennen und im Falle des Konfliktes, des Krieges, sie auch bei den gegnerischen Staaten respektieren. Tatsächlich haben die ersten Revolutionsheere, als sie im Rheingebiete und Süddeutschland einbrachen, sich als Vorkämpfer derartiger Ideale betrachtet, und es ist von Oberleitung und Truppen versucht worden, danach zu handeln. Aber noch steckte die alte Idee des Plünderungkrieges zu sehr im Blute. Ferner hatten die Führer ihre wilden Banden zu wenig in der Hand, und mit dem Verfall der Ideale der Revolution, mit dem es bekanntlich recht rasch ging, fielen auch diese Rücksichtnahmen bald ganz weg. Wohl hatte man auch bereits früher den Besiegten gegenüber und beim Kampfe in Feindesland gewisse Rechte der Bevölkerung unberührt gelassen. Allein diese Achtung beruht wohl mehr auf Zweckmäßigkeitsgründen, als auf dem Gefühl des Rechtes. Man wollte die Bevölkerung des feindlichen Staates, auf die man bis zu einem gewissen Grade angewiesen war, nicht unnötig aufsässig machen. Auch fürchtete man die Wiedervergeltung bei wechselndem Kriegsglücke. Hatte man die Macht zu anderem Handeln, ging die Schonung ferner nicht etwa aus Okkupationsabsichten hervor, so hinderte nichts die Behandlung der Besiegten als völlig rechtsloser Gegenstände. Die Idee der Humanität ist wesentlich späteren Ursprungs. Aber es scheint, daß seit der Revolution, vielleicht auch schon seit dem ihr vorausgehenden Zeitalter philosophischer Aufklärung, doch eine gewisse Schonung der Besiegten, zumal der am Kampfe nicht beteiligten Bevölkerung, als Recht anerkannt worden ist. Wieder handelt es sich vor allem um Freiheit und Eigentum. Seitdem hat die Auffassung, Freiheit und Eigentum selbst beim Feinde — allerdings unter manchen bedeutenden Einschränkungen — zu achten, starke Fortschritte gemacht, ja man kann ihre mehr oder minder gewissenhafte Be¬ obachtung als eine Art Kulturmesser der kämpfenden Völker betrachten. Es gibt heute eine allen Kulturstaaten gemeinsame Rechtsüberzeugung über gewisse schutzwürdige Güter und Rechte des Feindes. Ihr zu Grunde liegt vor allem offenbar der Gedanke, daß beim Kriege Staat gegen Staat kämpft und nicht Staat gegen Private; andererseits die Auffassung, daß wohl alle Mittel zur Besiegung des Gegners, aber nicht unnötige Grausamkeiten angewandt und gestattet sein sollen. Schon seit langem gab es einzelne mehr oder weniger zusammenhanglose Normen, Sätze, die gewissermaßen gewohnheitsrechtlich Allgemeingültigkeit in der gesamten Kulturwelt besaßen. Erst in unseren Tagen der internationalen Abkommen hat — einem charakteristischen Zuge der Zeit folgend — ihre Zu¬ sammenfassung und Kodifizierung als vertraglich von allen zivilisierten Staaten gebilligtes Recht stattgefunden. Einigermaßen erschöpfend allerdings bisher nur für die Rechtsverhältnisse des Landkrieges. Die wichtigsten und grund- legensten Festsetzungen finden sich in einem dem 4. Haager Abkommen von 1907 angeschlossenen Reglement, der „Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Land¬ krieges." Bei diesem ist streng geschieden zwischen den Maßregeln gegenüber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/379>, abgerufen am 04.07.2024.