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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg

der Staat nicht als Bedrücker, sondern als ein Teil des Ich, als Gewährer
und Schirmer seiner ewigen Rechte erscheint, das ist es, was ihn -- jeden
seiner Fähigkeit entsprechend -- ans seinen Posten treibt, wenn der Staat ruft.
Das Gefühl, daß er Weib und Kind nicht in fremde Herrschaft fallen lassen
will, daß er, sein und seiner Angehörigen Schicksal untrennbare Teile des
Vaterlandes sind, daß mit der Vernichtung des Staates, der Schwächung seiner
Macht auch sein persönliches Selbstgefühl, die stärksten Wurzeln seines Ich derart
betroffen werden würden, daß ihm der freie Tod vor dem Feinde dem Weiter¬
leben in Schmach und Schande hundertmal vorzuziehen erscheint.


II.

Aber noch ein anderes scheint mit den Begriffen von Freiheit und Eigentum
in merkwürdigem Zusammenhange zu stehen.

Freiheit und Eigentum sind im historischen Verlauf der Dinge -- zunächst
als ein Recht des Untertanen gegenüber seinen Mitbürgern und dem allmächtigen
Staate gefordert -- als allgemeines natürliches Menschenrecht proklamiert werden.

Diese Entwicklung geht aus von dem Ruf nach religiöser Freiheit, der in
einem Zeitalter der Intoleranz von den Bedrückten laut wurde.

Von England brachten ihn die Männer, die in der neuen Welt Ruhe vor
Verfolgung suchten, mit über den Ozean, und bei ihren Staatengründungen
war es ihnen angelegen, in den von ihnen geschaffenen neuen Staatswesen dem
Gedanken von Menschenrechten göttlichen Ursprungs für alle Zeiten eine ver¬
fassungsmäßige Grundlage zu schaffen. Es gibt kaum eine Verfassung der
amerikanischen Staaten aus dieser Zeit, die nicht ein ganzes Verzeichnis solcher
Rechte in sich schließt, Freiheit und Eigentum immer an hervorragender Stelle
betonend. Mancherlei Beziehungen zwischen naturrechtlichen Theorien, die von
angeborenen Rechten des Menschen sprachen, und diesen Persönlichkeitsrechten
religiöser Herkunft bestanden und knüpften sich noch in der Folgezeit. Durch
Lafavette und Mirabeau gelangten sie in das Programm der französischen
Revolution. Sie fanden ihre Niederschrift in der vöelaration ass äroik as
I'donne.

Auch hier, in Artikel II, werden Freiheit und Eigentum als allgemeine
Menschenrechte festgestellt. Aber es handelt sich bei diesen nicht um eigentliche
Rechte mit ihrer notwendigen Beschränkung auf den Staat, der sie gegeben hat
und im Umfang der eigenen Machtmittel und Grenzen gewährleistet, sondern
um eine Parole für die Menschheit. Man hat deshalb die Proklamation für
phantastisch angesehen und Stein spricht mit einiger Verachtung von der
"metaphysischen und metapolitischen" Declaration.

Aber vielleicht bestehen doch Zusammenhänge, die diesem Gedanken eine
Bedeutung verleihen, welche über die einer leeren wohltönenden Phrase hinaus¬
geht. Ein Volk, das gewisse Rechte als allgemein menschliche, nicht an die
Grenzpfähle seines Staates gebundene, proklamiert, muß folgerichtig sie auch


Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg

der Staat nicht als Bedrücker, sondern als ein Teil des Ich, als Gewährer
und Schirmer seiner ewigen Rechte erscheint, das ist es, was ihn — jeden
seiner Fähigkeit entsprechend — ans seinen Posten treibt, wenn der Staat ruft.
Das Gefühl, daß er Weib und Kind nicht in fremde Herrschaft fallen lassen
will, daß er, sein und seiner Angehörigen Schicksal untrennbare Teile des
Vaterlandes sind, daß mit der Vernichtung des Staates, der Schwächung seiner
Macht auch sein persönliches Selbstgefühl, die stärksten Wurzeln seines Ich derart
betroffen werden würden, daß ihm der freie Tod vor dem Feinde dem Weiter¬
leben in Schmach und Schande hundertmal vorzuziehen erscheint.


II.

Aber noch ein anderes scheint mit den Begriffen von Freiheit und Eigentum
in merkwürdigem Zusammenhange zu stehen.

Freiheit und Eigentum sind im historischen Verlauf der Dinge — zunächst
als ein Recht des Untertanen gegenüber seinen Mitbürgern und dem allmächtigen
Staate gefordert — als allgemeines natürliches Menschenrecht proklamiert werden.

Diese Entwicklung geht aus von dem Ruf nach religiöser Freiheit, der in
einem Zeitalter der Intoleranz von den Bedrückten laut wurde.

Von England brachten ihn die Männer, die in der neuen Welt Ruhe vor
Verfolgung suchten, mit über den Ozean, und bei ihren Staatengründungen
war es ihnen angelegen, in den von ihnen geschaffenen neuen Staatswesen dem
Gedanken von Menschenrechten göttlichen Ursprungs für alle Zeiten eine ver¬
fassungsmäßige Grundlage zu schaffen. Es gibt kaum eine Verfassung der
amerikanischen Staaten aus dieser Zeit, die nicht ein ganzes Verzeichnis solcher
Rechte in sich schließt, Freiheit und Eigentum immer an hervorragender Stelle
betonend. Mancherlei Beziehungen zwischen naturrechtlichen Theorien, die von
angeborenen Rechten des Menschen sprachen, und diesen Persönlichkeitsrechten
religiöser Herkunft bestanden und knüpften sich noch in der Folgezeit. Durch
Lafavette und Mirabeau gelangten sie in das Programm der französischen
Revolution. Sie fanden ihre Niederschrift in der vöelaration ass äroik as
I'donne.

Auch hier, in Artikel II, werden Freiheit und Eigentum als allgemeine
Menschenrechte festgestellt. Aber es handelt sich bei diesen nicht um eigentliche
Rechte mit ihrer notwendigen Beschränkung auf den Staat, der sie gegeben hat
und im Umfang der eigenen Machtmittel und Grenzen gewährleistet, sondern
um eine Parole für die Menschheit. Man hat deshalb die Proklamation für
phantastisch angesehen und Stein spricht mit einiger Verachtung von der
„metaphysischen und metapolitischen" Declaration.

Aber vielleicht bestehen doch Zusammenhänge, die diesem Gedanken eine
Bedeutung verleihen, welche über die einer leeren wohltönenden Phrase hinaus¬
geht. Ein Volk, das gewisse Rechte als allgemein menschliche, nicht an die
Grenzpfähle seines Staates gebundene, proklamiert, muß folgerichtig sie auch


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[0378] Freiheit und Eigentum in Frieden und Krieg der Staat nicht als Bedrücker, sondern als ein Teil des Ich, als Gewährer und Schirmer seiner ewigen Rechte erscheint, das ist es, was ihn — jeden seiner Fähigkeit entsprechend — ans seinen Posten treibt, wenn der Staat ruft. Das Gefühl, daß er Weib und Kind nicht in fremde Herrschaft fallen lassen will, daß er, sein und seiner Angehörigen Schicksal untrennbare Teile des Vaterlandes sind, daß mit der Vernichtung des Staates, der Schwächung seiner Macht auch sein persönliches Selbstgefühl, die stärksten Wurzeln seines Ich derart betroffen werden würden, daß ihm der freie Tod vor dem Feinde dem Weiter¬ leben in Schmach und Schande hundertmal vorzuziehen erscheint. II. Aber noch ein anderes scheint mit den Begriffen von Freiheit und Eigentum in merkwürdigem Zusammenhange zu stehen. Freiheit und Eigentum sind im historischen Verlauf der Dinge — zunächst als ein Recht des Untertanen gegenüber seinen Mitbürgern und dem allmächtigen Staate gefordert — als allgemeines natürliches Menschenrecht proklamiert werden. Diese Entwicklung geht aus von dem Ruf nach religiöser Freiheit, der in einem Zeitalter der Intoleranz von den Bedrückten laut wurde. Von England brachten ihn die Männer, die in der neuen Welt Ruhe vor Verfolgung suchten, mit über den Ozean, und bei ihren Staatengründungen war es ihnen angelegen, in den von ihnen geschaffenen neuen Staatswesen dem Gedanken von Menschenrechten göttlichen Ursprungs für alle Zeiten eine ver¬ fassungsmäßige Grundlage zu schaffen. Es gibt kaum eine Verfassung der amerikanischen Staaten aus dieser Zeit, die nicht ein ganzes Verzeichnis solcher Rechte in sich schließt, Freiheit und Eigentum immer an hervorragender Stelle betonend. Mancherlei Beziehungen zwischen naturrechtlichen Theorien, die von angeborenen Rechten des Menschen sprachen, und diesen Persönlichkeitsrechten religiöser Herkunft bestanden und knüpften sich noch in der Folgezeit. Durch Lafavette und Mirabeau gelangten sie in das Programm der französischen Revolution. Sie fanden ihre Niederschrift in der vöelaration ass äroik as I'donne. Auch hier, in Artikel II, werden Freiheit und Eigentum als allgemeine Menschenrechte festgestellt. Aber es handelt sich bei diesen nicht um eigentliche Rechte mit ihrer notwendigen Beschränkung auf den Staat, der sie gegeben hat und im Umfang der eigenen Machtmittel und Grenzen gewährleistet, sondern um eine Parole für die Menschheit. Man hat deshalb die Proklamation für phantastisch angesehen und Stein spricht mit einiger Verachtung von der „metaphysischen und metapolitischen" Declaration. Aber vielleicht bestehen doch Zusammenhänge, die diesem Gedanken eine Bedeutung verleihen, welche über die einer leeren wohltönenden Phrase hinaus¬ geht. Ein Volk, das gewisse Rechte als allgemein menschliche, nicht an die Grenzpfähle seines Staates gebundene, proklamiert, muß folgerichtig sie auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/378>, abgerufen am 04.07.2024.