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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Holland

Paris endlich einer besseren Meinung zugänglich geworden ist (vergleiche
unter anderem die Denkschrift zum nächstjährigen Haushalt des Ministeriums der
Auswärtigen Angelegenheiten). Wir wünschen nur mit demselben Maße gemessen
zu werden, wir möchten nicht unsere infolge mancherlei Umstände notwendiger¬
weise vielleicht etwas hart ausfallenden Maßregeln einfach kritiklos als inhuman
und dem Völkerrechte zuwiderlaufend geschildert, unsere amtlichen Schlacht¬
berichte und die Darstellungen der Operaiionen seitens der militärischen Mit¬
arbeiter, die Erzählungen unserer Kriegskorrespondeuten eben uur korrekt und
auszugsweise übersetzt, dagegen spaltenlang behandelt zu sehen', was die
französische und englische Presse uns Schädliches und Erniedrigendes mit
reicher Ausgiebigkeit und einem wahren Behagen anhängt. Mit einem
Worte, wenn in diesen Tagen allgemeinen Wirrwars und allgemeinen Durch-
einanderrüttelns von Geschehnissen und Meinungen mehr denn je Hellseherei
und Gerechtigkeit am Platze ist, so vor allem doch wohl in einem Lande, das
unter den gegebenen Umständen ohne eigenes Verschulden moralisch und
materiell so schmerzlich mit den anderen leidet. Es wäre bedauerlich, vor
allem für Holland, wenn an dem Tage der großen Abrechnung von diesem
Schatten, der auf der Niederlande bisher so tadellose Haltung fällt, am grünen
Tisch der Diplomaten gesprochen werden müßte.

Im Staats- und auch im öffentlichen Leben, wie auch in der öffentlichen
Meinung, trägt man gewöhnlich nicht nur dem Augenblick, sondern auch der
Zukunft Rechnung. In Holland scheint man es vorsichtigerweise noch nicht zu
tun, weil, ganz ehrlich gesagt, die stille Hoffnung besteht, es könnte am Ende
doch anders für uns Deutschen kommen, als wir annehmen. Es ist uns aber,
die wir fest an den Sieg unserer gerechten Sache glauben, erlaubt, auszu¬
sprechen, was unserer Meinung nach wohl kommen und geschehen könnte.
Wir nehmen ja damit nicht bereits unser gutes Schwert zur Neueinteilung
der europäischen Landkarte in die Hand. Wir verweisen nur auf die Zu¬
kunft, wir bemühen uns nur, aus Tatsachen Folgerungen zu ziehen. Jede
Aussprache, jede Ansicht maß aber heute individuell sein und bleiben. Gerade
wie jede Regierung gegenwärtig von den Volksvertretern und dem Lande volles
Vertrauen und Entbindung vom Zwange einer Rechenschaftsablegung fordert, so
verlangt auch der private Politiker und Publizist die Anerkennung und das
Vertrauen, daß er nur von seinem persönlichen sowie nationalen Standpunkte
aus. ohne Voreingenommenheit, die Weltlage zu erfassen und auszulegen
bemüht ist. Es gilt ganz besonders Gefühle zu schonen. Die der Holländer
namentlich sind leicht zu verletzen. Als der Unterstaatssekretär Dr. Zimmer¬
mann dem holländischen Sozialistenführer Trolstra in einer durchaus unver¬
bindlicher, rein privaten Aussprache nur seiner persönlichen Meinung Ausdruck gab,
es könnte sich nach dem Kriege vielleicht eine wirtschaftliche Annäherung zwischen
unseren beiden Ländern entwickeln, wurde diese persönliche Ansicht in Holland
bereits als eine offizielle Absicht Deutschlands dargestellt und entsprechend


Holland

Paris endlich einer besseren Meinung zugänglich geworden ist (vergleiche
unter anderem die Denkschrift zum nächstjährigen Haushalt des Ministeriums der
Auswärtigen Angelegenheiten). Wir wünschen nur mit demselben Maße gemessen
zu werden, wir möchten nicht unsere infolge mancherlei Umstände notwendiger¬
weise vielleicht etwas hart ausfallenden Maßregeln einfach kritiklos als inhuman
und dem Völkerrechte zuwiderlaufend geschildert, unsere amtlichen Schlacht¬
berichte und die Darstellungen der Operaiionen seitens der militärischen Mit¬
arbeiter, die Erzählungen unserer Kriegskorrespondeuten eben uur korrekt und
auszugsweise übersetzt, dagegen spaltenlang behandelt zu sehen', was die
französische und englische Presse uns Schädliches und Erniedrigendes mit
reicher Ausgiebigkeit und einem wahren Behagen anhängt. Mit einem
Worte, wenn in diesen Tagen allgemeinen Wirrwars und allgemeinen Durch-
einanderrüttelns von Geschehnissen und Meinungen mehr denn je Hellseherei
und Gerechtigkeit am Platze ist, so vor allem doch wohl in einem Lande, das
unter den gegebenen Umständen ohne eigenes Verschulden moralisch und
materiell so schmerzlich mit den anderen leidet. Es wäre bedauerlich, vor
allem für Holland, wenn an dem Tage der großen Abrechnung von diesem
Schatten, der auf der Niederlande bisher so tadellose Haltung fällt, am grünen
Tisch der Diplomaten gesprochen werden müßte.

Im Staats- und auch im öffentlichen Leben, wie auch in der öffentlichen
Meinung, trägt man gewöhnlich nicht nur dem Augenblick, sondern auch der
Zukunft Rechnung. In Holland scheint man es vorsichtigerweise noch nicht zu
tun, weil, ganz ehrlich gesagt, die stille Hoffnung besteht, es könnte am Ende
doch anders für uns Deutschen kommen, als wir annehmen. Es ist uns aber,
die wir fest an den Sieg unserer gerechten Sache glauben, erlaubt, auszu¬
sprechen, was unserer Meinung nach wohl kommen und geschehen könnte.
Wir nehmen ja damit nicht bereits unser gutes Schwert zur Neueinteilung
der europäischen Landkarte in die Hand. Wir verweisen nur auf die Zu¬
kunft, wir bemühen uns nur, aus Tatsachen Folgerungen zu ziehen. Jede
Aussprache, jede Ansicht maß aber heute individuell sein und bleiben. Gerade
wie jede Regierung gegenwärtig von den Volksvertretern und dem Lande volles
Vertrauen und Entbindung vom Zwange einer Rechenschaftsablegung fordert, so
verlangt auch der private Politiker und Publizist die Anerkennung und das
Vertrauen, daß er nur von seinem persönlichen sowie nationalen Standpunkte
aus. ohne Voreingenommenheit, die Weltlage zu erfassen und auszulegen
bemüht ist. Es gilt ganz besonders Gefühle zu schonen. Die der Holländer
namentlich sind leicht zu verletzen. Als der Unterstaatssekretär Dr. Zimmer¬
mann dem holländischen Sozialistenführer Trolstra in einer durchaus unver¬
bindlicher, rein privaten Aussprache nur seiner persönlichen Meinung Ausdruck gab,
es könnte sich nach dem Kriege vielleicht eine wirtschaftliche Annäherung zwischen
unseren beiden Ländern entwickeln, wurde diese persönliche Ansicht in Holland
bereits als eine offizielle Absicht Deutschlands dargestellt und entsprechend


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[0372] Holland Paris endlich einer besseren Meinung zugänglich geworden ist (vergleiche unter anderem die Denkschrift zum nächstjährigen Haushalt des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten). Wir wünschen nur mit demselben Maße gemessen zu werden, wir möchten nicht unsere infolge mancherlei Umstände notwendiger¬ weise vielleicht etwas hart ausfallenden Maßregeln einfach kritiklos als inhuman und dem Völkerrechte zuwiderlaufend geschildert, unsere amtlichen Schlacht¬ berichte und die Darstellungen der Operaiionen seitens der militärischen Mit¬ arbeiter, die Erzählungen unserer Kriegskorrespondeuten eben uur korrekt und auszugsweise übersetzt, dagegen spaltenlang behandelt zu sehen', was die französische und englische Presse uns Schädliches und Erniedrigendes mit reicher Ausgiebigkeit und einem wahren Behagen anhängt. Mit einem Worte, wenn in diesen Tagen allgemeinen Wirrwars und allgemeinen Durch- einanderrüttelns von Geschehnissen und Meinungen mehr denn je Hellseherei und Gerechtigkeit am Platze ist, so vor allem doch wohl in einem Lande, das unter den gegebenen Umständen ohne eigenes Verschulden moralisch und materiell so schmerzlich mit den anderen leidet. Es wäre bedauerlich, vor allem für Holland, wenn an dem Tage der großen Abrechnung von diesem Schatten, der auf der Niederlande bisher so tadellose Haltung fällt, am grünen Tisch der Diplomaten gesprochen werden müßte. Im Staats- und auch im öffentlichen Leben, wie auch in der öffentlichen Meinung, trägt man gewöhnlich nicht nur dem Augenblick, sondern auch der Zukunft Rechnung. In Holland scheint man es vorsichtigerweise noch nicht zu tun, weil, ganz ehrlich gesagt, die stille Hoffnung besteht, es könnte am Ende doch anders für uns Deutschen kommen, als wir annehmen. Es ist uns aber, die wir fest an den Sieg unserer gerechten Sache glauben, erlaubt, auszu¬ sprechen, was unserer Meinung nach wohl kommen und geschehen könnte. Wir nehmen ja damit nicht bereits unser gutes Schwert zur Neueinteilung der europäischen Landkarte in die Hand. Wir verweisen nur auf die Zu¬ kunft, wir bemühen uns nur, aus Tatsachen Folgerungen zu ziehen. Jede Aussprache, jede Ansicht maß aber heute individuell sein und bleiben. Gerade wie jede Regierung gegenwärtig von den Volksvertretern und dem Lande volles Vertrauen und Entbindung vom Zwange einer Rechenschaftsablegung fordert, so verlangt auch der private Politiker und Publizist die Anerkennung und das Vertrauen, daß er nur von seinem persönlichen sowie nationalen Standpunkte aus. ohne Voreingenommenheit, die Weltlage zu erfassen und auszulegen bemüht ist. Es gilt ganz besonders Gefühle zu schonen. Die der Holländer namentlich sind leicht zu verletzen. Als der Unterstaatssekretär Dr. Zimmer¬ mann dem holländischen Sozialistenführer Trolstra in einer durchaus unver¬ bindlicher, rein privaten Aussprache nur seiner persönlichen Meinung Ausdruck gab, es könnte sich nach dem Kriege vielleicht eine wirtschaftliche Annäherung zwischen unseren beiden Ländern entwickeln, wurde diese persönliche Ansicht in Holland bereits als eine offizielle Absicht Deutschlands dargestellt und entsprechend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/372>, abgerufen am 27.06.2024.