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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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abgetan. Nicht daß Holland mit uns in ein besseres wirtschaftliches Ver¬
hältnis nicht treten wollte I Nein, den Schwerpunkt legte man damals darauf,
daß man Deutschland keinen Vorzug einräumen, daß man ihm nicht etwas ge¬
währen könnte, was man einem anderen Staate vorenthalten müßte, kurz man
betonte die gleiche Behandlung aller, um es mit keinem zu verderben. Dieser
holländischen Meinung, also der entgegengesetzten des Unterstaatssekretärs, war auch
der Reichstagsabgeordnete Gothein, der ungefähr um die gleiche Zeit den Ausspruch
tat, daß ein wirtschaftliches Interesse an einem engeren Anschlusse Hollands
an Deutschland für uns nicht existiere. Damals meinte derselbe Abgeordnete
auch, daß Holland bisher nicht die Überzeugung gehabt habe, daß es nötig sei,
größere Militärlasten auf sich zu nehmen. Seitdeni aber hat dieses Land
erfahren, daß selbst der aufrichtigst neutrale Staat sich zunehmenden Militärlasten
nicht entziehen kann, will er nicht seine Selbständigkeit und Isolierung nur eine
Redensart, eine Etikette ohne Bedeutung sein lassen. Im übrigen ist auch
dieser erfahrene Wirtschaftspolitiker der Meinung, es müsse Holland die Ent¬
scheidung darüber überlassen bleiben, wie es seine politische Zukunft zu gestalten
wünsche. Auf der anderen Seite wird ein Herr I. W. Robertson Scott in
einem demnächst in Holland erscheinenden Buche "XVar ^uns auel psace"
("Kriegszeit und Frieden") den Nachweis führen, daß die "Ideale sozialer
und politischer Freiheit, die Abkehr vom Militarismus und die Furcht vor
einem Angriffe seitens Deutschlands, die die Holländer mit den Engländern
gemein haben, die große Mehrzahl der einflußreichsten Menschen der Nieder¬
lande geneigt machen werden, sich auf die Seite Englands zu stellen". Seitdem
dieser Engländer Stichproben seines zukünftigen Buches im "Observer" hat er¬
scheinen lassen, ist Holland in England sehr energisch gegen die Verletzung des
See- und Völkerrechtes vorstellig geworden, eine Annäherung Hollands an
England ist also mehr denn je nur ein frommer Wunsch derjenigen, die Hollands
Neutralität jesuitisch zu ihren Gunsten auslegen und sür sich ausbeuten wollen.
Hoffentlich lassen sich die Holländer nicht von diesem oder anderen ausländischen,
das heißt deutschfeindlichen Politikern und Publizisten betören, zu glauben, daß
Deutschland jemals eine politische Gefahr für die Selbständigkeit und Unab¬
hängigkeit der Niederlande bedeuten könnte.

Die Notwendigkeit einer Änderung seiner bisherigen Haltung, die Not¬
wendigkeit eines besseren wirtschaftlichen und politischen Verhältnisses zu uns, dem
sicher viele Wege geebnet werden würden, offenbart sich für die Niederlande
lediglich in der Voraussicht der veränderten Welt- und Staatenlage nach dem
Kriege, die eine Isolierung Hollands und eine gewisse Schutzlosigkeit herbei¬
führen muß, wenn dieses Land glaubt, auch künftig ohne Rückendeckung mit
jedermann auskommen zu können. Sollte Holland in der überraschenden und
erfreulichen Tatsache des Zusammenkommens und Zusammenwirkens der drei
skandinavischen Könige nicht ein beredtes Zeichen dafür erblicken, daß nur noch in
der Koalition und einer Nebenordnung allein die Gewähr der Staatssicherheit zu


Holland

abgetan. Nicht daß Holland mit uns in ein besseres wirtschaftliches Ver¬
hältnis nicht treten wollte I Nein, den Schwerpunkt legte man damals darauf,
daß man Deutschland keinen Vorzug einräumen, daß man ihm nicht etwas ge¬
währen könnte, was man einem anderen Staate vorenthalten müßte, kurz man
betonte die gleiche Behandlung aller, um es mit keinem zu verderben. Dieser
holländischen Meinung, also der entgegengesetzten des Unterstaatssekretärs, war auch
der Reichstagsabgeordnete Gothein, der ungefähr um die gleiche Zeit den Ausspruch
tat, daß ein wirtschaftliches Interesse an einem engeren Anschlusse Hollands
an Deutschland für uns nicht existiere. Damals meinte derselbe Abgeordnete
auch, daß Holland bisher nicht die Überzeugung gehabt habe, daß es nötig sei,
größere Militärlasten auf sich zu nehmen. Seitdeni aber hat dieses Land
erfahren, daß selbst der aufrichtigst neutrale Staat sich zunehmenden Militärlasten
nicht entziehen kann, will er nicht seine Selbständigkeit und Isolierung nur eine
Redensart, eine Etikette ohne Bedeutung sein lassen. Im übrigen ist auch
dieser erfahrene Wirtschaftspolitiker der Meinung, es müsse Holland die Ent¬
scheidung darüber überlassen bleiben, wie es seine politische Zukunft zu gestalten
wünsche. Auf der anderen Seite wird ein Herr I. W. Robertson Scott in
einem demnächst in Holland erscheinenden Buche „XVar ^uns auel psace"
(„Kriegszeit und Frieden") den Nachweis führen, daß die „Ideale sozialer
und politischer Freiheit, die Abkehr vom Militarismus und die Furcht vor
einem Angriffe seitens Deutschlands, die die Holländer mit den Engländern
gemein haben, die große Mehrzahl der einflußreichsten Menschen der Nieder¬
lande geneigt machen werden, sich auf die Seite Englands zu stellen". Seitdem
dieser Engländer Stichproben seines zukünftigen Buches im „Observer" hat er¬
scheinen lassen, ist Holland in England sehr energisch gegen die Verletzung des
See- und Völkerrechtes vorstellig geworden, eine Annäherung Hollands an
England ist also mehr denn je nur ein frommer Wunsch derjenigen, die Hollands
Neutralität jesuitisch zu ihren Gunsten auslegen und sür sich ausbeuten wollen.
Hoffentlich lassen sich die Holländer nicht von diesem oder anderen ausländischen,
das heißt deutschfeindlichen Politikern und Publizisten betören, zu glauben, daß
Deutschland jemals eine politische Gefahr für die Selbständigkeit und Unab¬
hängigkeit der Niederlande bedeuten könnte.

Die Notwendigkeit einer Änderung seiner bisherigen Haltung, die Not¬
wendigkeit eines besseren wirtschaftlichen und politischen Verhältnisses zu uns, dem
sicher viele Wege geebnet werden würden, offenbart sich für die Niederlande
lediglich in der Voraussicht der veränderten Welt- und Staatenlage nach dem
Kriege, die eine Isolierung Hollands und eine gewisse Schutzlosigkeit herbei¬
führen muß, wenn dieses Land glaubt, auch künftig ohne Rückendeckung mit
jedermann auskommen zu können. Sollte Holland in der überraschenden und
erfreulichen Tatsache des Zusammenkommens und Zusammenwirkens der drei
skandinavischen Könige nicht ein beredtes Zeichen dafür erblicken, daß nur noch in
der Koalition und einer Nebenordnung allein die Gewähr der Staatssicherheit zu


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[0373] Holland abgetan. Nicht daß Holland mit uns in ein besseres wirtschaftliches Ver¬ hältnis nicht treten wollte I Nein, den Schwerpunkt legte man damals darauf, daß man Deutschland keinen Vorzug einräumen, daß man ihm nicht etwas ge¬ währen könnte, was man einem anderen Staate vorenthalten müßte, kurz man betonte die gleiche Behandlung aller, um es mit keinem zu verderben. Dieser holländischen Meinung, also der entgegengesetzten des Unterstaatssekretärs, war auch der Reichstagsabgeordnete Gothein, der ungefähr um die gleiche Zeit den Ausspruch tat, daß ein wirtschaftliches Interesse an einem engeren Anschlusse Hollands an Deutschland für uns nicht existiere. Damals meinte derselbe Abgeordnete auch, daß Holland bisher nicht die Überzeugung gehabt habe, daß es nötig sei, größere Militärlasten auf sich zu nehmen. Seitdeni aber hat dieses Land erfahren, daß selbst der aufrichtigst neutrale Staat sich zunehmenden Militärlasten nicht entziehen kann, will er nicht seine Selbständigkeit und Isolierung nur eine Redensart, eine Etikette ohne Bedeutung sein lassen. Im übrigen ist auch dieser erfahrene Wirtschaftspolitiker der Meinung, es müsse Holland die Ent¬ scheidung darüber überlassen bleiben, wie es seine politische Zukunft zu gestalten wünsche. Auf der anderen Seite wird ein Herr I. W. Robertson Scott in einem demnächst in Holland erscheinenden Buche „XVar ^uns auel psace" („Kriegszeit und Frieden") den Nachweis führen, daß die „Ideale sozialer und politischer Freiheit, die Abkehr vom Militarismus und die Furcht vor einem Angriffe seitens Deutschlands, die die Holländer mit den Engländern gemein haben, die große Mehrzahl der einflußreichsten Menschen der Nieder¬ lande geneigt machen werden, sich auf die Seite Englands zu stellen". Seitdem dieser Engländer Stichproben seines zukünftigen Buches im „Observer" hat er¬ scheinen lassen, ist Holland in England sehr energisch gegen die Verletzung des See- und Völkerrechtes vorstellig geworden, eine Annäherung Hollands an England ist also mehr denn je nur ein frommer Wunsch derjenigen, die Hollands Neutralität jesuitisch zu ihren Gunsten auslegen und sür sich ausbeuten wollen. Hoffentlich lassen sich die Holländer nicht von diesem oder anderen ausländischen, das heißt deutschfeindlichen Politikern und Publizisten betören, zu glauben, daß Deutschland jemals eine politische Gefahr für die Selbständigkeit und Unab¬ hängigkeit der Niederlande bedeuten könnte. Die Notwendigkeit einer Änderung seiner bisherigen Haltung, die Not¬ wendigkeit eines besseren wirtschaftlichen und politischen Verhältnisses zu uns, dem sicher viele Wege geebnet werden würden, offenbart sich für die Niederlande lediglich in der Voraussicht der veränderten Welt- und Staatenlage nach dem Kriege, die eine Isolierung Hollands und eine gewisse Schutzlosigkeit herbei¬ führen muß, wenn dieses Land glaubt, auch künftig ohne Rückendeckung mit jedermann auskommen zu können. Sollte Holland in der überraschenden und erfreulichen Tatsache des Zusammenkommens und Zusammenwirkens der drei skandinavischen Könige nicht ein beredtes Zeichen dafür erblicken, daß nur noch in der Koalition und einer Nebenordnung allein die Gewähr der Staatssicherheit zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/373>, abgerufen am 22.06.2024.