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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Holland

Beeinflussung der öffentlichen Meinung des eigenen Volkes geschehen. Man
verwechselt in Holland gar zu gern den Begriff der Neutralität mit dem der
Unparteilichkeit. Wie dieses Land erstere auffaßt und achtet, darüber kann es
nur eine Stimme des Lobe>z und fast bewundernder Anerkennung g-ben. Was
aber die Unparteilichkeit anbelangt, so gibt es allerlei Systeme, unparteiisch zu
bleiben und dennoch -- einem dritten Schaden zu tun. Hollands Presse sagt stolz
von sich: wir lügen und erfinden nicht, wir achten jede Meinung, unsere
Berichterstatter schildern nur. was sie sehen. Wir empfangen und drucken die
offiziellen Mitteilungen der Gesandtschaften aller kriegführenden Mächte ohne
Kommentar und unterschiedslos ab. Wie also sollten wir nicht unparteiisch
sein? Soweit sind wir durchaus einig. Man muß selbst anerkennen, daß in
typographischer Hinsicht in den niederländischen Zeitungen ein Bericht wie der
andere aussieht, gleichviel ob er von der Dreibunds- oder Dreiverbandsseite
kommt. Keine Sensationsmache also wie etwa bei den italienischen Blättern, selbst
den ernstesten, die alle Nachrichten, die uns schädlich oder von unsern Feinden
entstellt sind, mit zollhohen Buchstaben abdrucken, den amtlichen deutschen
Nachrichten dagegen wohl einen Platz nebenan oder gegenüber anweisen, für sie
aber im Setzkasten nur die üblichen Lettern übrig haben. Auch diese Zeitungen
brüsten sich mit ihrer unparteiischen Haltung, denn auch sie veröffentlichen ja
Nachrichten aus allen Lagern. Während aber bei den italienischen Organen,
mit wenigen Ausnahmen, der Buchstabe "das Lied macht", wie ein französisches
Sprichwort besagt, tut es bei der holländischen Presse einmal das Auge und
Ohr des Berichterstatters, sodann das Gewicht derjenigen Nachrichten, die uns
gewogen, gegenüber dem Gewicht derer, die uns nicht gewogen sind! Sie
halten sich eben nicht das Gleichgewicht! Wer, wie ich, täglich ein gerütteltes
Maß der holländischen öffentlichen Meinung zu sich nehmen und verarbeiten
muß, kann sich darüber nicht täuschen, daß die Berichterstattung in den hollän¬
dischen Zeitungen noch ebenso parteiisch ist, wie damals, als holländische
Korrespondenten in ihren Berliner Briefen mit Vorliebe heraussuchten, was
nach ihrer Meinung nicht schön von uns und an uus war. Auch
heute trübt die nationalistische Brille allzusehr den Blick der Unbefangenheit,
die gerade bei den Holländern ebenso stark und gerecht sein sollte, wie ihre
Neutralität. Es scheint fast so, als verführe eine Art Furcht vor Frankreich
und England, namentlich vor ersterem Lande, die holländische Presse, ja selbst
die Regierung dazu, von jenen beileibe nur nichts schlechtes zu sagen, mit
Bezug auf uns aber den Zeitungen volle Freiheit zu gewähren, nach Belieben
zu loben oder zu tadeln, vor allem das letztere. Wir haben ja nichts dagegen,
wenn Holland Frankreich wie ein rohes El behandelt, wenn man sich dort
über alle Maßen aufregt bei dem Gedanken, Frankreich hätte zu Beginn des
Krieges Holland stark verdächtigt, uns indirekt und heimlich manchen Vorschub
zu leisten, und wenn man jetzt, wie von einem Druck befreit, ausatmet, weil
man nun nach großen Anstrengungen holländischerseits in Bordeaux und


Holland

Beeinflussung der öffentlichen Meinung des eigenen Volkes geschehen. Man
verwechselt in Holland gar zu gern den Begriff der Neutralität mit dem der
Unparteilichkeit. Wie dieses Land erstere auffaßt und achtet, darüber kann es
nur eine Stimme des Lobe>z und fast bewundernder Anerkennung g-ben. Was
aber die Unparteilichkeit anbelangt, so gibt es allerlei Systeme, unparteiisch zu
bleiben und dennoch — einem dritten Schaden zu tun. Hollands Presse sagt stolz
von sich: wir lügen und erfinden nicht, wir achten jede Meinung, unsere
Berichterstatter schildern nur. was sie sehen. Wir empfangen und drucken die
offiziellen Mitteilungen der Gesandtschaften aller kriegführenden Mächte ohne
Kommentar und unterschiedslos ab. Wie also sollten wir nicht unparteiisch
sein? Soweit sind wir durchaus einig. Man muß selbst anerkennen, daß in
typographischer Hinsicht in den niederländischen Zeitungen ein Bericht wie der
andere aussieht, gleichviel ob er von der Dreibunds- oder Dreiverbandsseite
kommt. Keine Sensationsmache also wie etwa bei den italienischen Blättern, selbst
den ernstesten, die alle Nachrichten, die uns schädlich oder von unsern Feinden
entstellt sind, mit zollhohen Buchstaben abdrucken, den amtlichen deutschen
Nachrichten dagegen wohl einen Platz nebenan oder gegenüber anweisen, für sie
aber im Setzkasten nur die üblichen Lettern übrig haben. Auch diese Zeitungen
brüsten sich mit ihrer unparteiischen Haltung, denn auch sie veröffentlichen ja
Nachrichten aus allen Lagern. Während aber bei den italienischen Organen,
mit wenigen Ausnahmen, der Buchstabe „das Lied macht", wie ein französisches
Sprichwort besagt, tut es bei der holländischen Presse einmal das Auge und
Ohr des Berichterstatters, sodann das Gewicht derjenigen Nachrichten, die uns
gewogen, gegenüber dem Gewicht derer, die uns nicht gewogen sind! Sie
halten sich eben nicht das Gleichgewicht! Wer, wie ich, täglich ein gerütteltes
Maß der holländischen öffentlichen Meinung zu sich nehmen und verarbeiten
muß, kann sich darüber nicht täuschen, daß die Berichterstattung in den hollän¬
dischen Zeitungen noch ebenso parteiisch ist, wie damals, als holländische
Korrespondenten in ihren Berliner Briefen mit Vorliebe heraussuchten, was
nach ihrer Meinung nicht schön von uns und an uus war. Auch
heute trübt die nationalistische Brille allzusehr den Blick der Unbefangenheit,
die gerade bei den Holländern ebenso stark und gerecht sein sollte, wie ihre
Neutralität. Es scheint fast so, als verführe eine Art Furcht vor Frankreich
und England, namentlich vor ersterem Lande, die holländische Presse, ja selbst
die Regierung dazu, von jenen beileibe nur nichts schlechtes zu sagen, mit
Bezug auf uns aber den Zeitungen volle Freiheit zu gewähren, nach Belieben
zu loben oder zu tadeln, vor allem das letztere. Wir haben ja nichts dagegen,
wenn Holland Frankreich wie ein rohes El behandelt, wenn man sich dort
über alle Maßen aufregt bei dem Gedanken, Frankreich hätte zu Beginn des
Krieges Holland stark verdächtigt, uns indirekt und heimlich manchen Vorschub
zu leisten, und wenn man jetzt, wie von einem Druck befreit, ausatmet, weil
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[0371] Holland Beeinflussung der öffentlichen Meinung des eigenen Volkes geschehen. Man verwechselt in Holland gar zu gern den Begriff der Neutralität mit dem der Unparteilichkeit. Wie dieses Land erstere auffaßt und achtet, darüber kann es nur eine Stimme des Lobe>z und fast bewundernder Anerkennung g-ben. Was aber die Unparteilichkeit anbelangt, so gibt es allerlei Systeme, unparteiisch zu bleiben und dennoch — einem dritten Schaden zu tun. Hollands Presse sagt stolz von sich: wir lügen und erfinden nicht, wir achten jede Meinung, unsere Berichterstatter schildern nur. was sie sehen. Wir empfangen und drucken die offiziellen Mitteilungen der Gesandtschaften aller kriegführenden Mächte ohne Kommentar und unterschiedslos ab. Wie also sollten wir nicht unparteiisch sein? Soweit sind wir durchaus einig. Man muß selbst anerkennen, daß in typographischer Hinsicht in den niederländischen Zeitungen ein Bericht wie der andere aussieht, gleichviel ob er von der Dreibunds- oder Dreiverbandsseite kommt. Keine Sensationsmache also wie etwa bei den italienischen Blättern, selbst den ernstesten, die alle Nachrichten, die uns schädlich oder von unsern Feinden entstellt sind, mit zollhohen Buchstaben abdrucken, den amtlichen deutschen Nachrichten dagegen wohl einen Platz nebenan oder gegenüber anweisen, für sie aber im Setzkasten nur die üblichen Lettern übrig haben. Auch diese Zeitungen brüsten sich mit ihrer unparteiischen Haltung, denn auch sie veröffentlichen ja Nachrichten aus allen Lagern. Während aber bei den italienischen Organen, mit wenigen Ausnahmen, der Buchstabe „das Lied macht", wie ein französisches Sprichwort besagt, tut es bei der holländischen Presse einmal das Auge und Ohr des Berichterstatters, sodann das Gewicht derjenigen Nachrichten, die uns gewogen, gegenüber dem Gewicht derer, die uns nicht gewogen sind! Sie halten sich eben nicht das Gleichgewicht! Wer, wie ich, täglich ein gerütteltes Maß der holländischen öffentlichen Meinung zu sich nehmen und verarbeiten muß, kann sich darüber nicht täuschen, daß die Berichterstattung in den hollän¬ dischen Zeitungen noch ebenso parteiisch ist, wie damals, als holländische Korrespondenten in ihren Berliner Briefen mit Vorliebe heraussuchten, was nach ihrer Meinung nicht schön von uns und an uus war. Auch heute trübt die nationalistische Brille allzusehr den Blick der Unbefangenheit, die gerade bei den Holländern ebenso stark und gerecht sein sollte, wie ihre Neutralität. Es scheint fast so, als verführe eine Art Furcht vor Frankreich und England, namentlich vor ersterem Lande, die holländische Presse, ja selbst die Regierung dazu, von jenen beileibe nur nichts schlechtes zu sagen, mit Bezug auf uns aber den Zeitungen volle Freiheit zu gewähren, nach Belieben zu loben oder zu tadeln, vor allem das letztere. Wir haben ja nichts dagegen, wenn Holland Frankreich wie ein rohes El behandelt, wenn man sich dort über alle Maßen aufregt bei dem Gedanken, Frankreich hätte zu Beginn des Krieges Holland stark verdächtigt, uns indirekt und heimlich manchen Vorschub zu leisten, und wenn man jetzt, wie von einem Druck befreit, ausatmet, weil man nun nach großen Anstrengungen holländischerseits in Bordeaux und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/371>, abgerufen am 30.06.2024.