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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Holland

Kette, mit der wir erdrosselte werden sollten. Sein Zögern, das vielleicht
insgeheim nur der Angst vor unserer Stärke und dem Ausgang des
Krieges entsprang, rettete die Lage sowohl für uns als auch für die Niederlande.
Überlegung also, aber keine Naivetät! Ein Volk, das überhaupt nachdenkt,
kann trotzdem in seinen Schlüssen irren, es ist aber jedenfalls kein geringes,
kein unkultiviertes Volk, das man als klein und kleinlich hinstellen darf, selbst
dann nicht, wenn es einen ärgert oder die eigenen Pläne durchkreuzt. Ein
Volk, das wachsam ist -- wo wären wir, wären wir es Anfang August dieses
Jahres nicht gewesen! -- behält seine Karten in der Hand und wägt erst, ehe es
sie ausspielt. Beim Holländer können indessen die wohltätigen Wirkungen seiner
Wachsamkeit durch an Bequemlichkeit grenzende Beschlußlosigkeit aufgehoben
werden. Eine solche war gut für die lange Friedenszeit. Der Krieg hat
bereits etwas Aufruhr in das sonst zu schwerfällig fließende holländische
Blut gebracht. Die kommende Zeit verlangt überhaupt festen Fuß, klares
Auge -- und kurzen Entschluß, vor allem seitens jener Länder, die ihre
Stellung zu der obsiegenden Großmacht genau und vorteilhaft festgelegt zu
sehen wünschen. Immerhin, wie auch immer Holland seine Zukunft zu gestalten
wünschen wird, sein bisheriges Verhalten zu uns in Friedens- und jetzt in
Knegszeiten, so kalt und nur korrekt es gewesen sein mag und noch ist, soll
unser Urteil nicht so weit trüben, daß wir uns dadurch beleidigt fühlen und
ihm den Vorwand zu Repressalien und zur völligen Abkehr von uns in die
Hand geben. Wir dürfen nicht in den unverzeihlicher Fehler des sonst so
gelehrten Berliner Philosophen und Universitätsprofessors Adolf Lasson verfallen,
dessen unüberlegte Worte uns mehr geschädigt haben, als die von Holland allzugern
übernommenen, vielleicht auch geglaubten entstellten und verlogenen Berichte unserer
Gegner. Amsterdam mit Kyritz an der Knatter oder Teltow zu vergleichen --
Herr Lasson möge die kürzlich veröffentlichte Schilderung der holländischen Haupt¬
stadt von Karln Michaelis zur Hand nehmen -- ist einfach kindlich. Und zu behaupten,
daß Holland ein bloßes Anhängsel von Deutschland sei, daß es in Schlafrock
und Pantoffeln ein bequemes Dasein friste, während Deutschland auch zu Hollands
Schutze die schwere Rüstung trage -- das heißt gedankenlos und verächtlich
die politische und wirtschaftliche Selbständigkeit einer Nation verkennen, vielleicht
aus Ärger darüber, daß sie zu selbstsüchtig denkt, die allein durch die
Großzügigkeit und Bewährtheit ihres Kolonialbetriebes sich das Recke erobert
hat, an der Tafel der Weltwirtschaft der Völker einen hervorragenden Platz
einzunehmen. Holland verkennt uns und sieht namentlich in unserer bisherigen
Zollpolitik ein Hemmnis für eine politische und wirtschaftliche Verständigung
mit uns. Um es aber sehend und einem "mvcius vivendi" zugänglich zu
machen, darf man nicht damit beginnen, daß man es verunglimpft und es
lächerlich macht.

Wenn wir ihm in diesen Augenblick überhaupt einen Vorwurf machen
können, so kann es nur auf dem Gebiete der voreingenommenen, selbst vorsätzlichen


Holland

Kette, mit der wir erdrosselte werden sollten. Sein Zögern, das vielleicht
insgeheim nur der Angst vor unserer Stärke und dem Ausgang des
Krieges entsprang, rettete die Lage sowohl für uns als auch für die Niederlande.
Überlegung also, aber keine Naivetät! Ein Volk, das überhaupt nachdenkt,
kann trotzdem in seinen Schlüssen irren, es ist aber jedenfalls kein geringes,
kein unkultiviertes Volk, das man als klein und kleinlich hinstellen darf, selbst
dann nicht, wenn es einen ärgert oder die eigenen Pläne durchkreuzt. Ein
Volk, das wachsam ist — wo wären wir, wären wir es Anfang August dieses
Jahres nicht gewesen! — behält seine Karten in der Hand und wägt erst, ehe es
sie ausspielt. Beim Holländer können indessen die wohltätigen Wirkungen seiner
Wachsamkeit durch an Bequemlichkeit grenzende Beschlußlosigkeit aufgehoben
werden. Eine solche war gut für die lange Friedenszeit. Der Krieg hat
bereits etwas Aufruhr in das sonst zu schwerfällig fließende holländische
Blut gebracht. Die kommende Zeit verlangt überhaupt festen Fuß, klares
Auge — und kurzen Entschluß, vor allem seitens jener Länder, die ihre
Stellung zu der obsiegenden Großmacht genau und vorteilhaft festgelegt zu
sehen wünschen. Immerhin, wie auch immer Holland seine Zukunft zu gestalten
wünschen wird, sein bisheriges Verhalten zu uns in Friedens- und jetzt in
Knegszeiten, so kalt und nur korrekt es gewesen sein mag und noch ist, soll
unser Urteil nicht so weit trüben, daß wir uns dadurch beleidigt fühlen und
ihm den Vorwand zu Repressalien und zur völligen Abkehr von uns in die
Hand geben. Wir dürfen nicht in den unverzeihlicher Fehler des sonst so
gelehrten Berliner Philosophen und Universitätsprofessors Adolf Lasson verfallen,
dessen unüberlegte Worte uns mehr geschädigt haben, als die von Holland allzugern
übernommenen, vielleicht auch geglaubten entstellten und verlogenen Berichte unserer
Gegner. Amsterdam mit Kyritz an der Knatter oder Teltow zu vergleichen —
Herr Lasson möge die kürzlich veröffentlichte Schilderung der holländischen Haupt¬
stadt von Karln Michaelis zur Hand nehmen — ist einfach kindlich. Und zu behaupten,
daß Holland ein bloßes Anhängsel von Deutschland sei, daß es in Schlafrock
und Pantoffeln ein bequemes Dasein friste, während Deutschland auch zu Hollands
Schutze die schwere Rüstung trage — das heißt gedankenlos und verächtlich
die politische und wirtschaftliche Selbständigkeit einer Nation verkennen, vielleicht
aus Ärger darüber, daß sie zu selbstsüchtig denkt, die allein durch die
Großzügigkeit und Bewährtheit ihres Kolonialbetriebes sich das Recke erobert
hat, an der Tafel der Weltwirtschaft der Völker einen hervorragenden Platz
einzunehmen. Holland verkennt uns und sieht namentlich in unserer bisherigen
Zollpolitik ein Hemmnis für eine politische und wirtschaftliche Verständigung
mit uns. Um es aber sehend und einem „mvcius vivendi" zugänglich zu
machen, darf man nicht damit beginnen, daß man es verunglimpft und es
lächerlich macht.

Wenn wir ihm in diesen Augenblick überhaupt einen Vorwurf machen
können, so kann es nur auf dem Gebiete der voreingenommenen, selbst vorsätzlichen


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[0370] Holland Kette, mit der wir erdrosselte werden sollten. Sein Zögern, das vielleicht insgeheim nur der Angst vor unserer Stärke und dem Ausgang des Krieges entsprang, rettete die Lage sowohl für uns als auch für die Niederlande. Überlegung also, aber keine Naivetät! Ein Volk, das überhaupt nachdenkt, kann trotzdem in seinen Schlüssen irren, es ist aber jedenfalls kein geringes, kein unkultiviertes Volk, das man als klein und kleinlich hinstellen darf, selbst dann nicht, wenn es einen ärgert oder die eigenen Pläne durchkreuzt. Ein Volk, das wachsam ist — wo wären wir, wären wir es Anfang August dieses Jahres nicht gewesen! — behält seine Karten in der Hand und wägt erst, ehe es sie ausspielt. Beim Holländer können indessen die wohltätigen Wirkungen seiner Wachsamkeit durch an Bequemlichkeit grenzende Beschlußlosigkeit aufgehoben werden. Eine solche war gut für die lange Friedenszeit. Der Krieg hat bereits etwas Aufruhr in das sonst zu schwerfällig fließende holländische Blut gebracht. Die kommende Zeit verlangt überhaupt festen Fuß, klares Auge — und kurzen Entschluß, vor allem seitens jener Länder, die ihre Stellung zu der obsiegenden Großmacht genau und vorteilhaft festgelegt zu sehen wünschen. Immerhin, wie auch immer Holland seine Zukunft zu gestalten wünschen wird, sein bisheriges Verhalten zu uns in Friedens- und jetzt in Knegszeiten, so kalt und nur korrekt es gewesen sein mag und noch ist, soll unser Urteil nicht so weit trüben, daß wir uns dadurch beleidigt fühlen und ihm den Vorwand zu Repressalien und zur völligen Abkehr von uns in die Hand geben. Wir dürfen nicht in den unverzeihlicher Fehler des sonst so gelehrten Berliner Philosophen und Universitätsprofessors Adolf Lasson verfallen, dessen unüberlegte Worte uns mehr geschädigt haben, als die von Holland allzugern übernommenen, vielleicht auch geglaubten entstellten und verlogenen Berichte unserer Gegner. Amsterdam mit Kyritz an der Knatter oder Teltow zu vergleichen — Herr Lasson möge die kürzlich veröffentlichte Schilderung der holländischen Haupt¬ stadt von Karln Michaelis zur Hand nehmen — ist einfach kindlich. Und zu behaupten, daß Holland ein bloßes Anhängsel von Deutschland sei, daß es in Schlafrock und Pantoffeln ein bequemes Dasein friste, während Deutschland auch zu Hollands Schutze die schwere Rüstung trage — das heißt gedankenlos und verächtlich die politische und wirtschaftliche Selbständigkeit einer Nation verkennen, vielleicht aus Ärger darüber, daß sie zu selbstsüchtig denkt, die allein durch die Großzügigkeit und Bewährtheit ihres Kolonialbetriebes sich das Recke erobert hat, an der Tafel der Weltwirtschaft der Völker einen hervorragenden Platz einzunehmen. Holland verkennt uns und sieht namentlich in unserer bisherigen Zollpolitik ein Hemmnis für eine politische und wirtschaftliche Verständigung mit uns. Um es aber sehend und einem „mvcius vivendi" zugänglich zu machen, darf man nicht damit beginnen, daß man es verunglimpft und es lächerlich macht. Wenn wir ihm in diesen Augenblick überhaupt einen Vorwurf machen können, so kann es nur auf dem Gebiete der voreingenommenen, selbst vorsätzlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/370>, abgerufen am 02.07.2024.