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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Holland

praktischen Lebensphilosophie betrachtet, muß sich von vornherein sagen, daß
an einer solchen Nation alle Verführungs- und Versuchungskünste wirkungslos
abprallen. Sie dienen nur dazu, das Mißtrauen zu wecken, das in jedem
Holländer schlummert. Als man zu Beginn des Krieges deutscherseits Holland
mit Drucksachen geradezu überflutete, die die Gerechtigkeit unserer Sache und
das humane Verhalten unserer Heere schilderten, war die Wirkung eine uner¬
wartete: anstatt die Holländer zu überzeugen, schreckte man sie ab; sie meinten,
wer reinen Herzens sei, brauche seine eigene Überzeugung nicht mit Gewalt
anderen aufzudrängen. Wäre der Holländer ein naiver Geselle, er wäre schon
längst England, Frankreich, ja selbst Belgien in das Garn gegangen, das seit
einigen Jahren, wahrscheinlich seit es mit England einen militärischen Kompromiß
eingegangen war und sich Schuldbeladen fühlte, Holland die Losreißung von 1830
vergessen zu machen, sich bemühte. England versuchte es plumperweise mit
Kaufgeboten. Richtiger war jedenfalls die Spekulation jener, die nicht um ein
politisches Zusammengehen mit Holland buhlten, sondern um die Erweckung
reeller Sympathien in diesem Lande, unter geschickter Ausnutzung der Anti¬
pathien, die es bewußt oder unbewußt, gegen andere Staaten nährte. Wir
erfreuten und erfreuen uns noch einer weitverbreiteten Unbeliebtheit im Batavier-
lande, trotzdem wir wissentlich nichts gegen dasselbe unternommen haben. Wir
haben nun einmal den wenig beneidenswerten Vorzug, den Wauwau für alle
Welt darzustellen, und es wäre merkwürdig genug gewesen, wenn Holland darin
eine Ausnahme gemacht haben würde, obgleich unser Verhalten gerade ihm
gegenüber stets das einer aufrichtigen Zuneigung gewesen ist. Frankreich nun
begann seit einigen Jahren diesen Unistand geschickt und anscheinend ohne
Spekulation auf reelle Werte auszunutzen. Auffallenderweise fand der zu¬
geknöpfte, tugendhafte und christlich denkende Niederländer mehr und mehr
Geschmack an der dekadenten Politik und Kultur Frankreichs, dem es selbst
gelang, in den Haag eine einflußreiche Zeitung französischer Sprache und
Gesinnung einzuschmuggeln, die von Zeit zu Zeit auch das Ohr der holländischen
Regierung hatte. Das Anwachsen des Klerikalismus im puritanischen Holland
war ein weiterer Beweis für dessen Gefallen an einem Lande, das zwar die
katholische Geistlichkeit rauh vor die Tür gesetzt, seine katholischen Überzeugungen
aber beibehalten hatte. Aus Sympathie kann mit der Zeit jedoch wirkliche
Liebe keimen. Bisher allerdings war Holland aus der Burg seiner neutralen
Observanz von niemandem herausgelockt worden; es konnte mit offener
Stirne vor uns hintreten und sagen: wir lieben uns nicht, aber wir können
miteinander freundschaftlich verkehren und Geschäfte machen. Eines Tages aber
hätten die Angebote von anderer Seite eine derartige Höhe erreicht, daß in'
dem Holländer die Überlegung des rechnenden Kaufmanns die Oberhand über
die des nüchternen, seiner Unantastbarkeit bewußten, und darum starken Politikers
gewonnen hätte. Dann wäre Holland als das einzig noch fehlende Glied in
die Kette der Koalition der europäischen Westmächte eingesprungen, in jene


Holland

praktischen Lebensphilosophie betrachtet, muß sich von vornherein sagen, daß
an einer solchen Nation alle Verführungs- und Versuchungskünste wirkungslos
abprallen. Sie dienen nur dazu, das Mißtrauen zu wecken, das in jedem
Holländer schlummert. Als man zu Beginn des Krieges deutscherseits Holland
mit Drucksachen geradezu überflutete, die die Gerechtigkeit unserer Sache und
das humane Verhalten unserer Heere schilderten, war die Wirkung eine uner¬
wartete: anstatt die Holländer zu überzeugen, schreckte man sie ab; sie meinten,
wer reinen Herzens sei, brauche seine eigene Überzeugung nicht mit Gewalt
anderen aufzudrängen. Wäre der Holländer ein naiver Geselle, er wäre schon
längst England, Frankreich, ja selbst Belgien in das Garn gegangen, das seit
einigen Jahren, wahrscheinlich seit es mit England einen militärischen Kompromiß
eingegangen war und sich Schuldbeladen fühlte, Holland die Losreißung von 1830
vergessen zu machen, sich bemühte. England versuchte es plumperweise mit
Kaufgeboten. Richtiger war jedenfalls die Spekulation jener, die nicht um ein
politisches Zusammengehen mit Holland buhlten, sondern um die Erweckung
reeller Sympathien in diesem Lande, unter geschickter Ausnutzung der Anti¬
pathien, die es bewußt oder unbewußt, gegen andere Staaten nährte. Wir
erfreuten und erfreuen uns noch einer weitverbreiteten Unbeliebtheit im Batavier-
lande, trotzdem wir wissentlich nichts gegen dasselbe unternommen haben. Wir
haben nun einmal den wenig beneidenswerten Vorzug, den Wauwau für alle
Welt darzustellen, und es wäre merkwürdig genug gewesen, wenn Holland darin
eine Ausnahme gemacht haben würde, obgleich unser Verhalten gerade ihm
gegenüber stets das einer aufrichtigen Zuneigung gewesen ist. Frankreich nun
begann seit einigen Jahren diesen Unistand geschickt und anscheinend ohne
Spekulation auf reelle Werte auszunutzen. Auffallenderweise fand der zu¬
geknöpfte, tugendhafte und christlich denkende Niederländer mehr und mehr
Geschmack an der dekadenten Politik und Kultur Frankreichs, dem es selbst
gelang, in den Haag eine einflußreiche Zeitung französischer Sprache und
Gesinnung einzuschmuggeln, die von Zeit zu Zeit auch das Ohr der holländischen
Regierung hatte. Das Anwachsen des Klerikalismus im puritanischen Holland
war ein weiterer Beweis für dessen Gefallen an einem Lande, das zwar die
katholische Geistlichkeit rauh vor die Tür gesetzt, seine katholischen Überzeugungen
aber beibehalten hatte. Aus Sympathie kann mit der Zeit jedoch wirkliche
Liebe keimen. Bisher allerdings war Holland aus der Burg seiner neutralen
Observanz von niemandem herausgelockt worden; es konnte mit offener
Stirne vor uns hintreten und sagen: wir lieben uns nicht, aber wir können
miteinander freundschaftlich verkehren und Geschäfte machen. Eines Tages aber
hätten die Angebote von anderer Seite eine derartige Höhe erreicht, daß in'
dem Holländer die Überlegung des rechnenden Kaufmanns die Oberhand über
die des nüchternen, seiner Unantastbarkeit bewußten, und darum starken Politikers
gewonnen hätte. Dann wäre Holland als das einzig noch fehlende Glied in
die Kette der Koalition der europäischen Westmächte eingesprungen, in jene


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[0369] Holland praktischen Lebensphilosophie betrachtet, muß sich von vornherein sagen, daß an einer solchen Nation alle Verführungs- und Versuchungskünste wirkungslos abprallen. Sie dienen nur dazu, das Mißtrauen zu wecken, das in jedem Holländer schlummert. Als man zu Beginn des Krieges deutscherseits Holland mit Drucksachen geradezu überflutete, die die Gerechtigkeit unserer Sache und das humane Verhalten unserer Heere schilderten, war die Wirkung eine uner¬ wartete: anstatt die Holländer zu überzeugen, schreckte man sie ab; sie meinten, wer reinen Herzens sei, brauche seine eigene Überzeugung nicht mit Gewalt anderen aufzudrängen. Wäre der Holländer ein naiver Geselle, er wäre schon längst England, Frankreich, ja selbst Belgien in das Garn gegangen, das seit einigen Jahren, wahrscheinlich seit es mit England einen militärischen Kompromiß eingegangen war und sich Schuldbeladen fühlte, Holland die Losreißung von 1830 vergessen zu machen, sich bemühte. England versuchte es plumperweise mit Kaufgeboten. Richtiger war jedenfalls die Spekulation jener, die nicht um ein politisches Zusammengehen mit Holland buhlten, sondern um die Erweckung reeller Sympathien in diesem Lande, unter geschickter Ausnutzung der Anti¬ pathien, die es bewußt oder unbewußt, gegen andere Staaten nährte. Wir erfreuten und erfreuen uns noch einer weitverbreiteten Unbeliebtheit im Batavier- lande, trotzdem wir wissentlich nichts gegen dasselbe unternommen haben. Wir haben nun einmal den wenig beneidenswerten Vorzug, den Wauwau für alle Welt darzustellen, und es wäre merkwürdig genug gewesen, wenn Holland darin eine Ausnahme gemacht haben würde, obgleich unser Verhalten gerade ihm gegenüber stets das einer aufrichtigen Zuneigung gewesen ist. Frankreich nun begann seit einigen Jahren diesen Unistand geschickt und anscheinend ohne Spekulation auf reelle Werte auszunutzen. Auffallenderweise fand der zu¬ geknöpfte, tugendhafte und christlich denkende Niederländer mehr und mehr Geschmack an der dekadenten Politik und Kultur Frankreichs, dem es selbst gelang, in den Haag eine einflußreiche Zeitung französischer Sprache und Gesinnung einzuschmuggeln, die von Zeit zu Zeit auch das Ohr der holländischen Regierung hatte. Das Anwachsen des Klerikalismus im puritanischen Holland war ein weiterer Beweis für dessen Gefallen an einem Lande, das zwar die katholische Geistlichkeit rauh vor die Tür gesetzt, seine katholischen Überzeugungen aber beibehalten hatte. Aus Sympathie kann mit der Zeit jedoch wirkliche Liebe keimen. Bisher allerdings war Holland aus der Burg seiner neutralen Observanz von niemandem herausgelockt worden; es konnte mit offener Stirne vor uns hintreten und sagen: wir lieben uns nicht, aber wir können miteinander freundschaftlich verkehren und Geschäfte machen. Eines Tages aber hätten die Angebote von anderer Seite eine derartige Höhe erreicht, daß in' dem Holländer die Überlegung des rechnenden Kaufmanns die Oberhand über die des nüchternen, seiner Unantastbarkeit bewußten, und darum starken Politikers gewonnen hätte. Dann wäre Holland als das einzig noch fehlende Glied in die Kette der Koalition der europäischen Westmächte eingesprungen, in jene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/369>, abgerufen am 04.07.2024.