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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums

Bleisoldaten. Dahinein kamen alle Vokabeln, die im Laufe des Halbjahres
auftauchend sich auf Militär und Krieg bezogen. Nach bestimmten Gruppen
hatten die Jungen, wie bei einem deutschen Aufsatzentwurf, den Stoff selbst zu
verteilen. Und nun die Übersetzungen! Da stand z. B. bellum parare.
Warum sollte man den Buben gleich zwei Knüppel mit einem Male zwischen
die Beine werfen, da sie doch im Lateinischen hier weder das "sich", noch die
Präposition übersetzen durften? Wenn man sie wörtlich finden ließ: "den Krieg
vorbereiten" und dann übersetzte: "mobil machen", dann hatte die "tote" Vokabel,
'jetzt zumal, Leben bekommen und war ein Besitz geworden. Da standen den
Jungen Vater und Bruder als Landwehr- oder Reseroemann vor Auge und
Herz -- mitten in der lateinischen Stunde. Die Erziehung zur Beobachtung
der Wortbildung muß natürlich dazukommen und von der ersten Stunde an
das Bewußsein schaffen, daß auch eine jetzt nicht mehr gesprochene Sprache
nicht tot zu sein braucht, sondern voll des reichsten inneren Lebens sein kann.
Und dann wurden kleine lateinische Geschichten zusammengesetzt und erzählt,
und die Lazedämonier und Athener, die Themistoklesse und Xerxesse, die vor
allem bezüglichen Geschichtsunterricht den Kindern noch fremdblasse Schemen
sein mußten, wurden zu großer Freude durch Deutsche und Franzosen ersetzt.
Das war freiwilliges Spiel und zwingende Arbeit zugleich. Mit den Quartanern
lesen wir nach "cis viris illustribus", die Helden derFreiheiheitstnege der Griechen
gegen die orientalische Übermacht. Jede Zeile mahnt an die Gegenwart. Und
die fürs Denken so harten und ersprießlichen Partizipial- und a. e. i.-Konstruktionen
gehen nochmal so gut ein, wenn die Beispiele dazu Fleisch und Blut haben,
nicht unverstandene, moralische Weisheit oder leere Namen enthalten. Man
soll die Jungen nur sehen, wenn man ihnen hier plötzlich den Inhalt einer
neuen Siegesdepesche -- mit einigen Änderungen natürlich, die aber doch die
Illusion nicht stören dürfen -- zu übersetzen gibtl

Die Tertianer erfahren zum ersten Male -- gerade zur rechten Zeit --
aus dem Kriegstagebuch des großen Römers von den deutschen Vorfahren und
vom alten germanischen Wald, von dem trotzigen, stolzen Germanenherzog
Ariovist, vom Problem der Rheingrenze, und mit Behagen stellen sie fest, daß
Cäsars Charakteristik der Gallier auch heute noch aufs Wort zutrifft, daß unsere
Nachbarn nicht bloß seit 1870, sondern schon seit den Tagen des Altertums
"nichts dazugelernt haben".

Die sekundärer sind nicht wenig erstaunt, wenn sie die Reden Xenophons
aus dem dritten Buch der Anabasts auf griechisch hören, die Wort für Wort
als Ansprachen oder Armeebefehle unserer heutigen deutschen Führer gesagt sein
könnten, auf deren Seite das Recht ist und deshalb die Götter sein müssen.
"Nicht auf die Masse der Truppen kommt es an, sondern auf den Geist, der
die Soldaten, die Führer voran, beseelt." -- "Wie es den Feigen ergeht, und
den Helden dagegen." -- "Jetzt gilt nicht Rang noch Vermögen, sondern
Tüchtigkeit." -- "Wie ein Zug durch Feindesland zu organisieren ist mit den


Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums

Bleisoldaten. Dahinein kamen alle Vokabeln, die im Laufe des Halbjahres
auftauchend sich auf Militär und Krieg bezogen. Nach bestimmten Gruppen
hatten die Jungen, wie bei einem deutschen Aufsatzentwurf, den Stoff selbst zu
verteilen. Und nun die Übersetzungen! Da stand z. B. bellum parare.
Warum sollte man den Buben gleich zwei Knüppel mit einem Male zwischen
die Beine werfen, da sie doch im Lateinischen hier weder das „sich", noch die
Präposition übersetzen durften? Wenn man sie wörtlich finden ließ: „den Krieg
vorbereiten" und dann übersetzte: „mobil machen", dann hatte die „tote" Vokabel,
'jetzt zumal, Leben bekommen und war ein Besitz geworden. Da standen den
Jungen Vater und Bruder als Landwehr- oder Reseroemann vor Auge und
Herz — mitten in der lateinischen Stunde. Die Erziehung zur Beobachtung
der Wortbildung muß natürlich dazukommen und von der ersten Stunde an
das Bewußsein schaffen, daß auch eine jetzt nicht mehr gesprochene Sprache
nicht tot zu sein braucht, sondern voll des reichsten inneren Lebens sein kann.
Und dann wurden kleine lateinische Geschichten zusammengesetzt und erzählt,
und die Lazedämonier und Athener, die Themistoklesse und Xerxesse, die vor
allem bezüglichen Geschichtsunterricht den Kindern noch fremdblasse Schemen
sein mußten, wurden zu großer Freude durch Deutsche und Franzosen ersetzt.
Das war freiwilliges Spiel und zwingende Arbeit zugleich. Mit den Quartanern
lesen wir nach „cis viris illustribus", die Helden derFreiheiheitstnege der Griechen
gegen die orientalische Übermacht. Jede Zeile mahnt an die Gegenwart. Und
die fürs Denken so harten und ersprießlichen Partizipial- und a. e. i.-Konstruktionen
gehen nochmal so gut ein, wenn die Beispiele dazu Fleisch und Blut haben,
nicht unverstandene, moralische Weisheit oder leere Namen enthalten. Man
soll die Jungen nur sehen, wenn man ihnen hier plötzlich den Inhalt einer
neuen Siegesdepesche — mit einigen Änderungen natürlich, die aber doch die
Illusion nicht stören dürfen — zu übersetzen gibtl

Die Tertianer erfahren zum ersten Male — gerade zur rechten Zeit —
aus dem Kriegstagebuch des großen Römers von den deutschen Vorfahren und
vom alten germanischen Wald, von dem trotzigen, stolzen Germanenherzog
Ariovist, vom Problem der Rheingrenze, und mit Behagen stellen sie fest, daß
Cäsars Charakteristik der Gallier auch heute noch aufs Wort zutrifft, daß unsere
Nachbarn nicht bloß seit 1870, sondern schon seit den Tagen des Altertums
„nichts dazugelernt haben".

Die sekundärer sind nicht wenig erstaunt, wenn sie die Reden Xenophons
aus dem dritten Buch der Anabasts auf griechisch hören, die Wort für Wort
als Ansprachen oder Armeebefehle unserer heutigen deutschen Führer gesagt sein
könnten, auf deren Seite das Recht ist und deshalb die Götter sein müssen.
„Nicht auf die Masse der Truppen kommt es an, sondern auf den Geist, der
die Soldaten, die Führer voran, beseelt." — „Wie es den Feigen ergeht, und
den Helden dagegen." — „Jetzt gilt nicht Rang noch Vermögen, sondern
Tüchtigkeit." — „Wie ein Zug durch Feindesland zu organisieren ist mit den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/37>, abgerufen am 30.06.2024.