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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums

gut wie vor hundert Jahren. Man kann unsere Schüler brauchen im Leben
und im Sterben. Wo eine Arbeit Geisteskraft, Mut und Hingabe fordert und
Ehre verspricht, da werden sie sich stellen, und wo ein Fortschritt lockt, ein
Nutzen, da werden sie mitringen und werben, treu bedacht zugleich auf Väter¬
erbe, auf altüberkommene Güter, auf die Wurzeln der Kultur." Waren das
leere Jubiläumsredensarten, leichtsinnige Versprechungen? Nur ein Jahr später,
und Tausende auch unserer Studenten, Primaner und sekundärer haben als
Kriegsfreiwillige diese Versprechen eingelöst, dieselben Schüler, denen unsere
Gegner Unbrauchbarkeit fürs tätige Leben, Stubenhockerei, geistige und körperliche
Kurzsichtigkeit höhnisch nachgesagt haben und mit Statistiker, die auf falschen
Voraussetzungen beruhten, nachrechnen wollten. Und welches waren die letzten
Aufgaben, die das Gymnasium von seinen Kriegsfreiwilligen verlangte? Deutsche
Aufsätze über Nationalismus und Patriotismus, über die Frage: warum
Deutschland mit großer Hoffnung in den Krieg ziehen dürfe, über das Wort
des griechischen Philosophen, das wir heute wieder erleben: ?r°x-^ L"-^ navimv,
fürs Lateinische waren Abschiedsworte der Schule an die jungen Krieger über
ihre neuen Pflichten und alten Ideale oder Teile der Reichskanzlerrede aus der
großen Kriegssitzung des Reichstages oder Erinnerungen an den Freiheitshelden
Arminius gegenüber dessen knechtischen Bruder Flavus zu bearbeiten, im
Griechischen z. B. Stücke aus Reden des Demosthenes gegen den makedonischer
Napoleon. Und die diese Aufgaben stellten, die Philologen, diese angeblich
nach so mancher Literatensatire weit- und gegenwartsabgewandten Halbmänner,
die höchstens zum brillenbewehrten Bücherwurm taugen sollten, sie tragen zu
Hunderten jetzt selbst die eiserne Wehr. Als Offiziere stürmen sie voran und
jauchzen, wenn ihnen die Erfüllung ihres Lieblingswortes wird: "vulee et
äeLorum e8t pro patrm mori" -- als wären sie nie etwas anderes als
Soldaten gewesen.

Und der gegenwärtige Unterrichtsbetrieb? Wenn die Gegner recht hätten,
dann müßte es dieser Schulart an jeder Gelegenheit fehlen, den Unterricht mit
der ungeheuren Spannung der Gegenwart als zugleich gebende und nehmende
Kraft zu verbinden. Das Gegenteil ist der Fall. Daß zunächst der Geschichts¬
und Geographiennterricht dieselbe Möglichkeit für diese Aufgabe gibt wie die der
anderen Schularten, ist einleuchtend. Der Deutschunterricht sieht sich bereits
bedeutend im Vorteil.

Zwei Beispiele nur: die "Germania" und die Arminiusgeschichte des Tacitus
waren es, die vor hundert Jahren dem glühendsten Dichter- und Tatpatrioten
Heinrich von Kleist den Stoff und den Ausdruck der deutschesten Dichtung, der
"Hermannschlacht" gaben, jene Schriften aber sind sozusagen erst von den Huma¬
nisten entdeckt worden, und seit U. von Hütten, dem Freunde Sickingens, seit
Hütten dem Humanisten, dem Helfer Dr. Martin Luthers, dem Helden des
Schwertes ist der Name "Arminius" gewissermaßen der zentrale Ausdruck der
deutschen nationalen Hoffnung gewesen. Gehören Tacitus und Kleist zusammen


Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums

gut wie vor hundert Jahren. Man kann unsere Schüler brauchen im Leben
und im Sterben. Wo eine Arbeit Geisteskraft, Mut und Hingabe fordert und
Ehre verspricht, da werden sie sich stellen, und wo ein Fortschritt lockt, ein
Nutzen, da werden sie mitringen und werben, treu bedacht zugleich auf Väter¬
erbe, auf altüberkommene Güter, auf die Wurzeln der Kultur." Waren das
leere Jubiläumsredensarten, leichtsinnige Versprechungen? Nur ein Jahr später,
und Tausende auch unserer Studenten, Primaner und sekundärer haben als
Kriegsfreiwillige diese Versprechen eingelöst, dieselben Schüler, denen unsere
Gegner Unbrauchbarkeit fürs tätige Leben, Stubenhockerei, geistige und körperliche
Kurzsichtigkeit höhnisch nachgesagt haben und mit Statistiker, die auf falschen
Voraussetzungen beruhten, nachrechnen wollten. Und welches waren die letzten
Aufgaben, die das Gymnasium von seinen Kriegsfreiwilligen verlangte? Deutsche
Aufsätze über Nationalismus und Patriotismus, über die Frage: warum
Deutschland mit großer Hoffnung in den Krieg ziehen dürfe, über das Wort
des griechischen Philosophen, das wir heute wieder erleben: ?r°x-^ L«-^ navimv,
fürs Lateinische waren Abschiedsworte der Schule an die jungen Krieger über
ihre neuen Pflichten und alten Ideale oder Teile der Reichskanzlerrede aus der
großen Kriegssitzung des Reichstages oder Erinnerungen an den Freiheitshelden
Arminius gegenüber dessen knechtischen Bruder Flavus zu bearbeiten, im
Griechischen z. B. Stücke aus Reden des Demosthenes gegen den makedonischer
Napoleon. Und die diese Aufgaben stellten, die Philologen, diese angeblich
nach so mancher Literatensatire weit- und gegenwartsabgewandten Halbmänner,
die höchstens zum brillenbewehrten Bücherwurm taugen sollten, sie tragen zu
Hunderten jetzt selbst die eiserne Wehr. Als Offiziere stürmen sie voran und
jauchzen, wenn ihnen die Erfüllung ihres Lieblingswortes wird: „vulee et
äeLorum e8t pro patrm mori" — als wären sie nie etwas anderes als
Soldaten gewesen.

Und der gegenwärtige Unterrichtsbetrieb? Wenn die Gegner recht hätten,
dann müßte es dieser Schulart an jeder Gelegenheit fehlen, den Unterricht mit
der ungeheuren Spannung der Gegenwart als zugleich gebende und nehmende
Kraft zu verbinden. Das Gegenteil ist der Fall. Daß zunächst der Geschichts¬
und Geographiennterricht dieselbe Möglichkeit für diese Aufgabe gibt wie die der
anderen Schularten, ist einleuchtend. Der Deutschunterricht sieht sich bereits
bedeutend im Vorteil.

Zwei Beispiele nur: die „Germania" und die Arminiusgeschichte des Tacitus
waren es, die vor hundert Jahren dem glühendsten Dichter- und Tatpatrioten
Heinrich von Kleist den Stoff und den Ausdruck der deutschesten Dichtung, der
„Hermannschlacht" gaben, jene Schriften aber sind sozusagen erst von den Huma¬
nisten entdeckt worden, und seit U. von Hütten, dem Freunde Sickingens, seit
Hütten dem Humanisten, dem Helfer Dr. Martin Luthers, dem Helden des
Schwertes ist der Name „Arminius" gewissermaßen der zentrale Ausdruck der
deutschen nationalen Hoffnung gewesen. Gehören Tacitus und Kleist zusammen


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[0035] Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums gut wie vor hundert Jahren. Man kann unsere Schüler brauchen im Leben und im Sterben. Wo eine Arbeit Geisteskraft, Mut und Hingabe fordert und Ehre verspricht, da werden sie sich stellen, und wo ein Fortschritt lockt, ein Nutzen, da werden sie mitringen und werben, treu bedacht zugleich auf Väter¬ erbe, auf altüberkommene Güter, auf die Wurzeln der Kultur." Waren das leere Jubiläumsredensarten, leichtsinnige Versprechungen? Nur ein Jahr später, und Tausende auch unserer Studenten, Primaner und sekundärer haben als Kriegsfreiwillige diese Versprechen eingelöst, dieselben Schüler, denen unsere Gegner Unbrauchbarkeit fürs tätige Leben, Stubenhockerei, geistige und körperliche Kurzsichtigkeit höhnisch nachgesagt haben und mit Statistiker, die auf falschen Voraussetzungen beruhten, nachrechnen wollten. Und welches waren die letzten Aufgaben, die das Gymnasium von seinen Kriegsfreiwilligen verlangte? Deutsche Aufsätze über Nationalismus und Patriotismus, über die Frage: warum Deutschland mit großer Hoffnung in den Krieg ziehen dürfe, über das Wort des griechischen Philosophen, das wir heute wieder erleben: ?r°x-^ L«-^ navimv, fürs Lateinische waren Abschiedsworte der Schule an die jungen Krieger über ihre neuen Pflichten und alten Ideale oder Teile der Reichskanzlerrede aus der großen Kriegssitzung des Reichstages oder Erinnerungen an den Freiheitshelden Arminius gegenüber dessen knechtischen Bruder Flavus zu bearbeiten, im Griechischen z. B. Stücke aus Reden des Demosthenes gegen den makedonischer Napoleon. Und die diese Aufgaben stellten, die Philologen, diese angeblich nach so mancher Literatensatire weit- und gegenwartsabgewandten Halbmänner, die höchstens zum brillenbewehrten Bücherwurm taugen sollten, sie tragen zu Hunderten jetzt selbst die eiserne Wehr. Als Offiziere stürmen sie voran und jauchzen, wenn ihnen die Erfüllung ihres Lieblingswortes wird: „vulee et äeLorum e8t pro patrm mori" — als wären sie nie etwas anderes als Soldaten gewesen. Und der gegenwärtige Unterrichtsbetrieb? Wenn die Gegner recht hätten, dann müßte es dieser Schulart an jeder Gelegenheit fehlen, den Unterricht mit der ungeheuren Spannung der Gegenwart als zugleich gebende und nehmende Kraft zu verbinden. Das Gegenteil ist der Fall. Daß zunächst der Geschichts¬ und Geographiennterricht dieselbe Möglichkeit für diese Aufgabe gibt wie die der anderen Schularten, ist einleuchtend. Der Deutschunterricht sieht sich bereits bedeutend im Vorteil. Zwei Beispiele nur: die „Germania" und die Arminiusgeschichte des Tacitus waren es, die vor hundert Jahren dem glühendsten Dichter- und Tatpatrioten Heinrich von Kleist den Stoff und den Ausdruck der deutschesten Dichtung, der „Hermannschlacht" gaben, jene Schriften aber sind sozusagen erst von den Huma¬ nisten entdeckt worden, und seit U. von Hütten, dem Freunde Sickingens, seit Hütten dem Humanisten, dem Helfer Dr. Martin Luthers, dem Helden des Schwertes ist der Name „Arminius" gewissermaßen der zentrale Ausdruck der deutschen nationalen Hoffnung gewesen. Gehören Tacitus und Kleist zusammen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/35>, abgerufen am 30.06.2024.