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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums

Im selben Sinne, aber mit noch bitterer Berechtigung hat Zielinski in
Rußland, wohl tauben Ohren, den ewigen volkserzieherischen Wert der Antike
gepredigt -- nicht als "Norm", wie das der Fehler des Klassizismus gewesen
war. sondern als "Same". Desgleichen haben französische Naturforscher und
Mathematiker den Wert des Humanismus anerkannt -- zu spät freilich hörte
die französische Schulbehörde den warnenden Hinweis der englischen Freunde
"auf den Schiffbruch, den Frankreich bereits bei dem Experiment der praktischen
Erziehung erlitten habe".

Und in dem "modernsten" aller Länder, in Amerika, setzte just in dem
Augenblicke, als das Gymnasium in Deutschland gefährdet schien, eine gewaltige
Bewegung zugunsten des humanistischen Unterrichtes ein, unter Führung des¬
selben Mannes, dessen Humanitätsbewußtsein unser deutscher Kaiser in der
berühmten Depesche vor einigen Wochen gegenüber den Barbareien unserer
Gegner angerufen hat: des Präsidenten Wilson. Dieser Mann, auf den jetzt
aller Augen gerichtet sind, hat für sein Dollarland in Erkenntnis der Gefahr
des Merkantilismus, die ihm ähnlich wie England drohte, den Ruf nach
Idealen tatkräftig unterstützt. Und es ist kein Zufall, daß dieser Staatsmann,
der zunächst Rechtsanwalt war, unbefriedigt dann noch einmal die Universität
bezogen hat und in noch recht jungen Jahren ordentlicher Professor der
Geschichte und der politischen Wissenschaften gewesen ist. Dieser Staatsmann
ist für uns hier am besten mit seinen eigenen Worten charakterisiert: "Die
Blume trägt nicht die Wurzel, aber die Wurzel die Blume." -- "Das Morsche
muß fallen, aber das gute Alte muß in das Neue verflochten werden." "Die
Weltgeschichte ist auf ihrem ganzen Wege mit gescheiterten Regierungen besät.
Personen welken dahin, aber Ideen leben ewig. Und die ewige Idee des
Menschengeschlechts ist auf den harten Granit des Rechts gegründet/' So konnte
der mit der besten Sicherheit sprechen, der sich die Erkenntnis dieser Geschichts¬
werke unverdrossen an den ältesten Quellen selbst geholt hatte. So kann nur
einer denken, der auf dem platonischen und deutschen Idealismus süßt, und
nicht auf der gemeinen und engherzigen Nützlichkeitsmoral der Engländer, deren
Lehrbücher ihm der Sprache nach doch näher gelegen hätten. Der Humanismus
in Amerika verdankt diesem Präsidenten viel.

Sollte Deutschland da aufhören, wo Amerika jetzt anfängt? Aber das
Gymnasium braucht nicht mehr theoretisch verteidigt zu werden mit historischen Rück¬
weisen auf "anno dazumal" oder prophetischen Versprechen für ein problematisches
"dermaleinst". Die größte Zeit der deutschen Geschichte ist Gegenwart, bittere und
doch selige Gegenwart, und sie findet das Gymnasium in der vordersten Reihe.
Im Jubiläumsjahr unserer Befreiungskriege sagte der bayerische Oberstudienrat
Patin: "Glauben Sie mir, das Völklein, das aus unseren Gymnasien drängt,
ergießt sich, wenn der König ruft, wie ein Bergstrom ins Schlachtfeld und
opfert sein Blut, wie sie es von Griechen und Römern und Deutschen gelernt
haben und schließlich von allen Völkern, die auf ihre Ehre halten -- 1913 so


Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums

Im selben Sinne, aber mit noch bitterer Berechtigung hat Zielinski in
Rußland, wohl tauben Ohren, den ewigen volkserzieherischen Wert der Antike
gepredigt — nicht als „Norm", wie das der Fehler des Klassizismus gewesen
war. sondern als „Same". Desgleichen haben französische Naturforscher und
Mathematiker den Wert des Humanismus anerkannt — zu spät freilich hörte
die französische Schulbehörde den warnenden Hinweis der englischen Freunde
„auf den Schiffbruch, den Frankreich bereits bei dem Experiment der praktischen
Erziehung erlitten habe".

Und in dem „modernsten" aller Länder, in Amerika, setzte just in dem
Augenblicke, als das Gymnasium in Deutschland gefährdet schien, eine gewaltige
Bewegung zugunsten des humanistischen Unterrichtes ein, unter Führung des¬
selben Mannes, dessen Humanitätsbewußtsein unser deutscher Kaiser in der
berühmten Depesche vor einigen Wochen gegenüber den Barbareien unserer
Gegner angerufen hat: des Präsidenten Wilson. Dieser Mann, auf den jetzt
aller Augen gerichtet sind, hat für sein Dollarland in Erkenntnis der Gefahr
des Merkantilismus, die ihm ähnlich wie England drohte, den Ruf nach
Idealen tatkräftig unterstützt. Und es ist kein Zufall, daß dieser Staatsmann,
der zunächst Rechtsanwalt war, unbefriedigt dann noch einmal die Universität
bezogen hat und in noch recht jungen Jahren ordentlicher Professor der
Geschichte und der politischen Wissenschaften gewesen ist. Dieser Staatsmann
ist für uns hier am besten mit seinen eigenen Worten charakterisiert: „Die
Blume trägt nicht die Wurzel, aber die Wurzel die Blume." — „Das Morsche
muß fallen, aber das gute Alte muß in das Neue verflochten werden." „Die
Weltgeschichte ist auf ihrem ganzen Wege mit gescheiterten Regierungen besät.
Personen welken dahin, aber Ideen leben ewig. Und die ewige Idee des
Menschengeschlechts ist auf den harten Granit des Rechts gegründet/' So konnte
der mit der besten Sicherheit sprechen, der sich die Erkenntnis dieser Geschichts¬
werke unverdrossen an den ältesten Quellen selbst geholt hatte. So kann nur
einer denken, der auf dem platonischen und deutschen Idealismus süßt, und
nicht auf der gemeinen und engherzigen Nützlichkeitsmoral der Engländer, deren
Lehrbücher ihm der Sprache nach doch näher gelegen hätten. Der Humanismus
in Amerika verdankt diesem Präsidenten viel.

Sollte Deutschland da aufhören, wo Amerika jetzt anfängt? Aber das
Gymnasium braucht nicht mehr theoretisch verteidigt zu werden mit historischen Rück¬
weisen auf „anno dazumal" oder prophetischen Versprechen für ein problematisches
„dermaleinst". Die größte Zeit der deutschen Geschichte ist Gegenwart, bittere und
doch selige Gegenwart, und sie findet das Gymnasium in der vordersten Reihe.
Im Jubiläumsjahr unserer Befreiungskriege sagte der bayerische Oberstudienrat
Patin: „Glauben Sie mir, das Völklein, das aus unseren Gymnasien drängt,
ergießt sich, wenn der König ruft, wie ein Bergstrom ins Schlachtfeld und
opfert sein Blut, wie sie es von Griechen und Römern und Deutschen gelernt
haben und schließlich von allen Völkern, die auf ihre Ehre halten — 1913 so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/34>, abgerufen am 30.06.2024.