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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums

es erlebt, blutenden Herzens, daß es der Vaterlandslostgkeit und der gefährlichen
Vorbereitung antimonarchischer und demokratischer Gesinnung geziehen wurde!
Und damit das Maß voll werde, ist dem Gymnasium auch der Vorwurf anti-
christlicher und atheistischer Tendenzen nicht erspart geblieben, -- notabene:
dem Gymnasium, das noch heute die einzige Schule unserer Theologen ist.
Alle diese Anklagen sind längst von klugen Männern widerlegt worden, in
Vorträgen. Kongreß- und Parlamentsverhandlungen, in Zeitschriften und Büchern
und "nebenbei" täglich durch das bessere Beispiel. Aber manche feste Stellung
hatte bereits dem Ansturm blindwütiger und starker Gegner zum Opfer fallen
müssen. Es war nötig geworden, daß sich gegen jene entweder perfiden (wofür
es, wie Goethe sagte, Gott sei Dank kein deutsches Wort gibt) oder kurzsichtigen
Angriffe und Verdächtigungen die besten, treuesten Patrioten sammelten. Ein
Abwehrbund der Freunde des humanistischen Gymnasiums mußte gegründet
werden in der Zeit sich überstürzender Reformen, -- ein Bund der Idealisten
zum Kampfe gegen die demagogischen Schlagwortschreier derRealisten, Materialisten,
"Monisten". Die Gefahr war größer und vor allem allgemeiner, als viele
ahnten. Ich brauche nur den Namen Ostwald zu nennen, um daran zu erinnern,
daß es den Kampf gegen dieselben Männer galt, die noch im vorigen Jahre
mit dem Schein der Wissenschaftlichkeit und dem Köder einer Steuer¬
ersparnis den sogenannten "Massenstreik gegen die Landeskirche" in Szene gesetzt
haben. Inzwischen ist die stille Arbeit jenes Bundes reich gesegnet gewesen.
Aus allen Kreisen, nicht etwa nur aus der "Zunft" der Philologen, sondern
auch aus den Kreisen der Kaufleute und Industriellen, der Naturwissenschaftler
und Ärzte, der Ingenieure, der Offiziere und der Staatsmänner, der Künstler,
kamen sie freiwillig zum Eidzeugnis für ihr altes Gymnasium, um jene Unken¬
rufe zu übertönen. Es war freilich höchste Zeit, sich zu wehren. Schon hatten
sich im Auslande Stimmen erhoben, die unsere Einbußen der humanistischen
Bildungsform, der gerade Deutschland seine Entwicklung verdankte, als ein
Symptom des kulturellen Niedergangs beurteilten, zum Teil schon frohlockend
begrüßten. Es verdient gerade heute aus den internen Mitteilungen der Freunde
des humanistischen Gymnasiums einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu werden,
was vor etwa 20 Jahren ein englischer Kaufmann zu einem deutschen Rechts¬
anwalt sagte:

"Wir Engländer sehen mit Befremden, daß sich bei Ihnen in Deutschland
ein Umschwung im Schulbetriebe zuungunsten der alten Sprachen zu vollziehen
beginnt. Gerade um die eingehende Beschäftigung mit dem Lateinischen und
Griechischen, wie sie auf Ihrem Gymnasium stattfindet, haben wir Sie immer
beneidet. Wir sind in solchen Materialismus und solche Oberflächlichkeit in der
Betrachtung der uns umgebenden Welt versunken, daß ich Ihnen nur sagen
kann: wenn Sie eine so materialistische, oberflächliche und rohe Generation
auch bei sich großzüchten wollen, so fahren Sie auf dem betretenen Wege fort
und hemmen Sie weiter den Betrieb der alten Sprachen!"


Die Feuerprobe des humanistischen Gymnasiums

es erlebt, blutenden Herzens, daß es der Vaterlandslostgkeit und der gefährlichen
Vorbereitung antimonarchischer und demokratischer Gesinnung geziehen wurde!
Und damit das Maß voll werde, ist dem Gymnasium auch der Vorwurf anti-
christlicher und atheistischer Tendenzen nicht erspart geblieben, — notabene:
dem Gymnasium, das noch heute die einzige Schule unserer Theologen ist.
Alle diese Anklagen sind längst von klugen Männern widerlegt worden, in
Vorträgen. Kongreß- und Parlamentsverhandlungen, in Zeitschriften und Büchern
und „nebenbei" täglich durch das bessere Beispiel. Aber manche feste Stellung
hatte bereits dem Ansturm blindwütiger und starker Gegner zum Opfer fallen
müssen. Es war nötig geworden, daß sich gegen jene entweder perfiden (wofür
es, wie Goethe sagte, Gott sei Dank kein deutsches Wort gibt) oder kurzsichtigen
Angriffe und Verdächtigungen die besten, treuesten Patrioten sammelten. Ein
Abwehrbund der Freunde des humanistischen Gymnasiums mußte gegründet
werden in der Zeit sich überstürzender Reformen, — ein Bund der Idealisten
zum Kampfe gegen die demagogischen Schlagwortschreier derRealisten, Materialisten,
„Monisten". Die Gefahr war größer und vor allem allgemeiner, als viele
ahnten. Ich brauche nur den Namen Ostwald zu nennen, um daran zu erinnern,
daß es den Kampf gegen dieselben Männer galt, die noch im vorigen Jahre
mit dem Schein der Wissenschaftlichkeit und dem Köder einer Steuer¬
ersparnis den sogenannten „Massenstreik gegen die Landeskirche" in Szene gesetzt
haben. Inzwischen ist die stille Arbeit jenes Bundes reich gesegnet gewesen.
Aus allen Kreisen, nicht etwa nur aus der „Zunft" der Philologen, sondern
auch aus den Kreisen der Kaufleute und Industriellen, der Naturwissenschaftler
und Ärzte, der Ingenieure, der Offiziere und der Staatsmänner, der Künstler,
kamen sie freiwillig zum Eidzeugnis für ihr altes Gymnasium, um jene Unken¬
rufe zu übertönen. Es war freilich höchste Zeit, sich zu wehren. Schon hatten
sich im Auslande Stimmen erhoben, die unsere Einbußen der humanistischen
Bildungsform, der gerade Deutschland seine Entwicklung verdankte, als ein
Symptom des kulturellen Niedergangs beurteilten, zum Teil schon frohlockend
begrüßten. Es verdient gerade heute aus den internen Mitteilungen der Freunde
des humanistischen Gymnasiums einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu werden,
was vor etwa 20 Jahren ein englischer Kaufmann zu einem deutschen Rechts¬
anwalt sagte:

„Wir Engländer sehen mit Befremden, daß sich bei Ihnen in Deutschland
ein Umschwung im Schulbetriebe zuungunsten der alten Sprachen zu vollziehen
beginnt. Gerade um die eingehende Beschäftigung mit dem Lateinischen und
Griechischen, wie sie auf Ihrem Gymnasium stattfindet, haben wir Sie immer
beneidet. Wir sind in solchen Materialismus und solche Oberflächlichkeit in der
Betrachtung der uns umgebenden Welt versunken, daß ich Ihnen nur sagen
kann: wenn Sie eine so materialistische, oberflächliche und rohe Generation
auch bei sich großzüchten wollen, so fahren Sie auf dem betretenen Wege fort
und hemmen Sie weiter den Betrieb der alten Sprachen!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/33>, abgerufen am 30.06.2024.