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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das englische Schuldkonto bei Luien und Türken

englischen Überzeugung. Als aber die Buren am Neujahrstage 1896 dem
britischen Piratenzug bei Krügersdorp ein ebenso jähes wie schimpfliches Ende
bereiteten, wuschen die Londoner und die Kapstädter Regierung ihre Hände in
Unschuld und wußten von gar nichts, was freilich nicht hinderte, daß Jameson
später Premierminister der Kapkolonie wurde. Da die Perfidie versagte, griff
man nun zur rohen Gewalt: der schreckliche Burenkrieg der Jahre l899 bis
1902 zwang die Buren endgültig ins Joch der britischen Freiheit -- endgültig,
so schien es, bis nun mit einem Male alle Erinnerung an sechsundsechzig Jahre
englischer Niederträchtigkeiten, die Erinnerung an Konzentrationslager und Mord-
brennereieu der Robertsschen und Kitchenerschen "Helden" wieder erwacht zu sein
scheint und von dem zurzeit in seiner Bewegungsfühigkeit arg gehemmten
Britenreich die Abrechnung fordert. Was mögen die nächsten Monate in Süd¬
afrika bringen? Wir Deutschen müssen von Herzen wünschen, daß der wieder¬
auflebende Burenkrieg den Verlauf von 1881 nimmt. Aber England weiß:
es geht um Diamantminen und Goldfelder; wer kann sagen, ob da das edle
Krämervolk nicht schließlich Deutschland Deutschland sein läßt und sich mit allen
Kräften seines Portemonnais wehrt!

Und nicht nur in Südafrika droht ein gefährlicher Angriff auf Englands
verwundbarste und edelste Stelle, den Geldsack, sondern auch die unglaubliche
Anmaßung der Türkei, die das seit dreiunddreißig Jahren von England "zeit¬
weilig" verwaltete Ägypten zurückfordert, droht ein Loch in die Geldtasche zu
reißen, denn der Suezkanal, diese Lebensader des englischen Handels, ist von
den türkischen Heeren schwer bedroht. Auch hier scheint die Nemesis sich zu
regen für alle die Sünden, die England sich der Türkei gegenüber, dem gesamten
Islam gegenüber hat zu schulden kommen lassen. Die Erinnerung wird wach
an den Tag von Navarin, da die englisch-französische Flotte mitten im Frieden
die türkisch - ägyptische Flotte vernichtete (20. Oktober 1827), was das heuchlerische
Albion freilich nicht hinderte, drei Monate später die nunmehr zur See
unschädlich gemachte Türkei ihrer warmen Freundschaft zu versichern und das
"widerwärtige Ereignis" von Navarin als ein Mißverständnis hinzustellen!
Die Erinnerung wird wach un den Berliner Kongreß, wo die Türkei genötigt
wurde, Cypern an England abzutreten, obwohl dies am russisch-türkischen Kriege,
den der Berliner Kongreß beschloß, gar nicht teilgenommen hatte. Vor allem
aber wird die Erinnerung wach an die schmachvollen Vorgänge des Jahres
1882, als England es sür nötig befand, einen Vorwand zu konstruieren, um
Ägypten und den Suezkanal in "zeitweilige" Verwahrung zu nehmen. Eine
an sich nicht übermäßige bedeutende Pöbeldemonstration in Alexandria am
11. Juni 1382 gegen die Fremden, die sogar der englische Gesandte nur als
einen rasch vorübergehenden "Krawall" bezeichnete, mußte herhalten, um
Englands Festsetzung in Ägypten zu ermöglichen. Da man freilich unmöglich
auf Grund jenes Vorfalls mehrere Wochen später Truppen in der längst schon
wieder ruhigen Stadt landen konnte, mußte ein neuer, ernsterer Zwischenfall


Das englische Schuldkonto bei Luien und Türken

englischen Überzeugung. Als aber die Buren am Neujahrstage 1896 dem
britischen Piratenzug bei Krügersdorp ein ebenso jähes wie schimpfliches Ende
bereiteten, wuschen die Londoner und die Kapstädter Regierung ihre Hände in
Unschuld und wußten von gar nichts, was freilich nicht hinderte, daß Jameson
später Premierminister der Kapkolonie wurde. Da die Perfidie versagte, griff
man nun zur rohen Gewalt: der schreckliche Burenkrieg der Jahre l899 bis
1902 zwang die Buren endgültig ins Joch der britischen Freiheit — endgültig,
so schien es, bis nun mit einem Male alle Erinnerung an sechsundsechzig Jahre
englischer Niederträchtigkeiten, die Erinnerung an Konzentrationslager und Mord-
brennereieu der Robertsschen und Kitchenerschen „Helden" wieder erwacht zu sein
scheint und von dem zurzeit in seiner Bewegungsfühigkeit arg gehemmten
Britenreich die Abrechnung fordert. Was mögen die nächsten Monate in Süd¬
afrika bringen? Wir Deutschen müssen von Herzen wünschen, daß der wieder¬
auflebende Burenkrieg den Verlauf von 1881 nimmt. Aber England weiß:
es geht um Diamantminen und Goldfelder; wer kann sagen, ob da das edle
Krämervolk nicht schließlich Deutschland Deutschland sein läßt und sich mit allen
Kräften seines Portemonnais wehrt!

Und nicht nur in Südafrika droht ein gefährlicher Angriff auf Englands
verwundbarste und edelste Stelle, den Geldsack, sondern auch die unglaubliche
Anmaßung der Türkei, die das seit dreiunddreißig Jahren von England „zeit¬
weilig" verwaltete Ägypten zurückfordert, droht ein Loch in die Geldtasche zu
reißen, denn der Suezkanal, diese Lebensader des englischen Handels, ist von
den türkischen Heeren schwer bedroht. Auch hier scheint die Nemesis sich zu
regen für alle die Sünden, die England sich der Türkei gegenüber, dem gesamten
Islam gegenüber hat zu schulden kommen lassen. Die Erinnerung wird wach
an den Tag von Navarin, da die englisch-französische Flotte mitten im Frieden
die türkisch - ägyptische Flotte vernichtete (20. Oktober 1827), was das heuchlerische
Albion freilich nicht hinderte, drei Monate später die nunmehr zur See
unschädlich gemachte Türkei ihrer warmen Freundschaft zu versichern und das
„widerwärtige Ereignis" von Navarin als ein Mißverständnis hinzustellen!
Die Erinnerung wird wach un den Berliner Kongreß, wo die Türkei genötigt
wurde, Cypern an England abzutreten, obwohl dies am russisch-türkischen Kriege,
den der Berliner Kongreß beschloß, gar nicht teilgenommen hatte. Vor allem
aber wird die Erinnerung wach an die schmachvollen Vorgänge des Jahres
1882, als England es sür nötig befand, einen Vorwand zu konstruieren, um
Ägypten und den Suezkanal in „zeitweilige" Verwahrung zu nehmen. Eine
an sich nicht übermäßige bedeutende Pöbeldemonstration in Alexandria am
11. Juni 1382 gegen die Fremden, die sogar der englische Gesandte nur als
einen rasch vorübergehenden „Krawall" bezeichnete, mußte herhalten, um
Englands Festsetzung in Ägypten zu ermöglichen. Da man freilich unmöglich
auf Grund jenes Vorfalls mehrere Wochen später Truppen in der längst schon
wieder ruhigen Stadt landen konnte, mußte ein neuer, ernsterer Zwischenfall


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[0336] Das englische Schuldkonto bei Luien und Türken englischen Überzeugung. Als aber die Buren am Neujahrstage 1896 dem britischen Piratenzug bei Krügersdorp ein ebenso jähes wie schimpfliches Ende bereiteten, wuschen die Londoner und die Kapstädter Regierung ihre Hände in Unschuld und wußten von gar nichts, was freilich nicht hinderte, daß Jameson später Premierminister der Kapkolonie wurde. Da die Perfidie versagte, griff man nun zur rohen Gewalt: der schreckliche Burenkrieg der Jahre l899 bis 1902 zwang die Buren endgültig ins Joch der britischen Freiheit — endgültig, so schien es, bis nun mit einem Male alle Erinnerung an sechsundsechzig Jahre englischer Niederträchtigkeiten, die Erinnerung an Konzentrationslager und Mord- brennereieu der Robertsschen und Kitchenerschen „Helden" wieder erwacht zu sein scheint und von dem zurzeit in seiner Bewegungsfühigkeit arg gehemmten Britenreich die Abrechnung fordert. Was mögen die nächsten Monate in Süd¬ afrika bringen? Wir Deutschen müssen von Herzen wünschen, daß der wieder¬ auflebende Burenkrieg den Verlauf von 1881 nimmt. Aber England weiß: es geht um Diamantminen und Goldfelder; wer kann sagen, ob da das edle Krämervolk nicht schließlich Deutschland Deutschland sein läßt und sich mit allen Kräften seines Portemonnais wehrt! Und nicht nur in Südafrika droht ein gefährlicher Angriff auf Englands verwundbarste und edelste Stelle, den Geldsack, sondern auch die unglaubliche Anmaßung der Türkei, die das seit dreiunddreißig Jahren von England „zeit¬ weilig" verwaltete Ägypten zurückfordert, droht ein Loch in die Geldtasche zu reißen, denn der Suezkanal, diese Lebensader des englischen Handels, ist von den türkischen Heeren schwer bedroht. Auch hier scheint die Nemesis sich zu regen für alle die Sünden, die England sich der Türkei gegenüber, dem gesamten Islam gegenüber hat zu schulden kommen lassen. Die Erinnerung wird wach an den Tag von Navarin, da die englisch-französische Flotte mitten im Frieden die türkisch - ägyptische Flotte vernichtete (20. Oktober 1827), was das heuchlerische Albion freilich nicht hinderte, drei Monate später die nunmehr zur See unschädlich gemachte Türkei ihrer warmen Freundschaft zu versichern und das „widerwärtige Ereignis" von Navarin als ein Mißverständnis hinzustellen! Die Erinnerung wird wach un den Berliner Kongreß, wo die Türkei genötigt wurde, Cypern an England abzutreten, obwohl dies am russisch-türkischen Kriege, den der Berliner Kongreß beschloß, gar nicht teilgenommen hatte. Vor allem aber wird die Erinnerung wach an die schmachvollen Vorgänge des Jahres 1882, als England es sür nötig befand, einen Vorwand zu konstruieren, um Ägypten und den Suezkanal in „zeitweilige" Verwahrung zu nehmen. Eine an sich nicht übermäßige bedeutende Pöbeldemonstration in Alexandria am 11. Juni 1382 gegen die Fremden, die sogar der englische Gesandte nur als einen rasch vorübergehenden „Krawall" bezeichnete, mußte herhalten, um Englands Festsetzung in Ägypten zu ermöglichen. Da man freilich unmöglich auf Grund jenes Vorfalls mehrere Wochen später Truppen in der längst schon wieder ruhigen Stadt landen konnte, mußte ein neuer, ernsterer Zwischenfall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/336>, abgerufen am 25.08.2024.