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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das englische Schuldkonto bei Buren und Türken

wanderte abermals aus, um der verhaßten Britenherrschaft zu entgehen.
Lediglich um diesen Flüchtlingen einen Streich zu spielen und es ihnen unmöglich
zu machen, sich der Oberhoheit des "völkerbefreienden" Greater Britain zu
entziehen, schuf sich England in Pondolcmd, Griqualand und Basutoland
"Schutzstaaten" und garantierte überdies dem Zuluhäuptling, daß sich nördlich
von Tugela keine Weißen ansiedeln dürften. Die gehetzten Buren flüchteten
sich nunmehr ins Gebiet zwischen dem Vaal- und dem Oranjefluß. Und siehe
da: am 3. Januar 1843 erklärte die englische Regierung dies Gebiet sei als
"Oranje River Sovereignty" ebenfalls britisches Gebiet. Die Buren versuchten
bewaffneten Widerstand, die "Aufständischen" wurden aber bei Boomplaats am
29. August 1848 blutig davon überzeugt, daß die Auffassung der englischen
Regierung zu Recht bestand. Nochmals wichen die Buren weiter zurück, bis
über den Vaal, aber die Briten hätten in ihrer Manie, die Völker mit oder
ohne ihren Willen zu "beglücken", auch jetzt noch nicht innegehalten, wurden
jedoch durch einen neuen gefährlichen Kaffernkrieg bald auch durch den Krimkrieg
gezwungen, ihr Vorhaben noch zu vertagen: 1832 wurde Transvaal, 1854 der
Oranje-Freistaat als unabhängig von ihnen anerkannt. Dafür waren sie aber
mit Erfolg bemüht, den Burenstaaten überall den Weg zum Meer abzuschneiden.
Das Unglück der Buren wurden dann die Diamanten- und Goldfunde in
ihren neuen Besitzungen. Als 1867 die ersten Diamanten gefunden wurden,
war es für England einfach eine Unmöglichkeit, ein so kostbares Gebiet
in fremden Händen zu wissen. Getreu seiner historischen Mission als
"Beschützer der kleinen und schwachen Staaten" wurde daher die Unter¬
jochungspolitik aufs neue fortgesetzt. Das Diamantengebiet von Kimberley
war den Buren schon 1871 durch einen echt britischen Gaunerstreich abgetropft
worden. Dann sandte die Kapregierung 1876 einen Beauftragten, Shepstone,
nach Prätoria, um der Transvaalregierung als "Ratgeber" zur Seite zu stehen,
und als Shepstone etwas heimisch geworden war, erklärte er, auf Grund einer
geheimen Weisung aus Kapstadt, am 12. Mürz 1887 plötzlich die Transvaal¬
republik für "annektiert"! Grund: das böse Deutschland hätte die Burenstaaten
annektiert, wenn ihm England nicht zuvorgekommen wäre I Die Buren hofften
naiverweise noch geraume Zeit, daß die Londoner Regierung als die nach
ihrer eigenen Meinung berufenste und gewohnheitsmäßige Hüterin des
Völkerrechts das schreiende Unrecht gutmachen würde; als sie sich aber hierin
-- selbstverständlich -- getäuscht sahen, griffen sie zu den Waffen und errangen
sich am glorreichen Tage von Majuba-Hill (27. Februar 1881) aufs neue die
Freiheit. Vielleicht wäre sie ihnen erhalten geblieben, wenn nicht das Unglück
zu dem Diamantensegen von 1867 seit 1884 auch noch die Auffindung eines
fabelhaften Goldreichtums in Transvaal gefügt hätte. Dieser Umstand machte
es unvermeidlich, daß die Buren mit oder ohne.ihren Willen der Segnungen
des Greater Britain teilhaftig gemacht werden mußten. Der feige Jamesonsche
Überfall auf die Buren ohne jede Kriegserklärung war die erste Folge dieser


2 t*
Das englische Schuldkonto bei Buren und Türken

wanderte abermals aus, um der verhaßten Britenherrschaft zu entgehen.
Lediglich um diesen Flüchtlingen einen Streich zu spielen und es ihnen unmöglich
zu machen, sich der Oberhoheit des „völkerbefreienden" Greater Britain zu
entziehen, schuf sich England in Pondolcmd, Griqualand und Basutoland
„Schutzstaaten" und garantierte überdies dem Zuluhäuptling, daß sich nördlich
von Tugela keine Weißen ansiedeln dürften. Die gehetzten Buren flüchteten
sich nunmehr ins Gebiet zwischen dem Vaal- und dem Oranjefluß. Und siehe
da: am 3. Januar 1843 erklärte die englische Regierung dies Gebiet sei als
„Oranje River Sovereignty" ebenfalls britisches Gebiet. Die Buren versuchten
bewaffneten Widerstand, die „Aufständischen" wurden aber bei Boomplaats am
29. August 1848 blutig davon überzeugt, daß die Auffassung der englischen
Regierung zu Recht bestand. Nochmals wichen die Buren weiter zurück, bis
über den Vaal, aber die Briten hätten in ihrer Manie, die Völker mit oder
ohne ihren Willen zu „beglücken", auch jetzt noch nicht innegehalten, wurden
jedoch durch einen neuen gefährlichen Kaffernkrieg bald auch durch den Krimkrieg
gezwungen, ihr Vorhaben noch zu vertagen: 1832 wurde Transvaal, 1854 der
Oranje-Freistaat als unabhängig von ihnen anerkannt. Dafür waren sie aber
mit Erfolg bemüht, den Burenstaaten überall den Weg zum Meer abzuschneiden.
Das Unglück der Buren wurden dann die Diamanten- und Goldfunde in
ihren neuen Besitzungen. Als 1867 die ersten Diamanten gefunden wurden,
war es für England einfach eine Unmöglichkeit, ein so kostbares Gebiet
in fremden Händen zu wissen. Getreu seiner historischen Mission als
„Beschützer der kleinen und schwachen Staaten" wurde daher die Unter¬
jochungspolitik aufs neue fortgesetzt. Das Diamantengebiet von Kimberley
war den Buren schon 1871 durch einen echt britischen Gaunerstreich abgetropft
worden. Dann sandte die Kapregierung 1876 einen Beauftragten, Shepstone,
nach Prätoria, um der Transvaalregierung als „Ratgeber" zur Seite zu stehen,
und als Shepstone etwas heimisch geworden war, erklärte er, auf Grund einer
geheimen Weisung aus Kapstadt, am 12. Mürz 1887 plötzlich die Transvaal¬
republik für „annektiert"! Grund: das böse Deutschland hätte die Burenstaaten
annektiert, wenn ihm England nicht zuvorgekommen wäre I Die Buren hofften
naiverweise noch geraume Zeit, daß die Londoner Regierung als die nach
ihrer eigenen Meinung berufenste und gewohnheitsmäßige Hüterin des
Völkerrechts das schreiende Unrecht gutmachen würde; als sie sich aber hierin
— selbstverständlich — getäuscht sahen, griffen sie zu den Waffen und errangen
sich am glorreichen Tage von Majuba-Hill (27. Februar 1881) aufs neue die
Freiheit. Vielleicht wäre sie ihnen erhalten geblieben, wenn nicht das Unglück
zu dem Diamantensegen von 1867 seit 1884 auch noch die Auffindung eines
fabelhaften Goldreichtums in Transvaal gefügt hätte. Dieser Umstand machte
es unvermeidlich, daß die Buren mit oder ohne.ihren Willen der Segnungen
des Greater Britain teilhaftig gemacht werden mußten. Der feige Jamesonsche
Überfall auf die Buren ohne jede Kriegserklärung war die erste Folge dieser


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[0335] Das englische Schuldkonto bei Buren und Türken wanderte abermals aus, um der verhaßten Britenherrschaft zu entgehen. Lediglich um diesen Flüchtlingen einen Streich zu spielen und es ihnen unmöglich zu machen, sich der Oberhoheit des „völkerbefreienden" Greater Britain zu entziehen, schuf sich England in Pondolcmd, Griqualand und Basutoland „Schutzstaaten" und garantierte überdies dem Zuluhäuptling, daß sich nördlich von Tugela keine Weißen ansiedeln dürften. Die gehetzten Buren flüchteten sich nunmehr ins Gebiet zwischen dem Vaal- und dem Oranjefluß. Und siehe da: am 3. Januar 1843 erklärte die englische Regierung dies Gebiet sei als „Oranje River Sovereignty" ebenfalls britisches Gebiet. Die Buren versuchten bewaffneten Widerstand, die „Aufständischen" wurden aber bei Boomplaats am 29. August 1848 blutig davon überzeugt, daß die Auffassung der englischen Regierung zu Recht bestand. Nochmals wichen die Buren weiter zurück, bis über den Vaal, aber die Briten hätten in ihrer Manie, die Völker mit oder ohne ihren Willen zu „beglücken", auch jetzt noch nicht innegehalten, wurden jedoch durch einen neuen gefährlichen Kaffernkrieg bald auch durch den Krimkrieg gezwungen, ihr Vorhaben noch zu vertagen: 1832 wurde Transvaal, 1854 der Oranje-Freistaat als unabhängig von ihnen anerkannt. Dafür waren sie aber mit Erfolg bemüht, den Burenstaaten überall den Weg zum Meer abzuschneiden. Das Unglück der Buren wurden dann die Diamanten- und Goldfunde in ihren neuen Besitzungen. Als 1867 die ersten Diamanten gefunden wurden, war es für England einfach eine Unmöglichkeit, ein so kostbares Gebiet in fremden Händen zu wissen. Getreu seiner historischen Mission als „Beschützer der kleinen und schwachen Staaten" wurde daher die Unter¬ jochungspolitik aufs neue fortgesetzt. Das Diamantengebiet von Kimberley war den Buren schon 1871 durch einen echt britischen Gaunerstreich abgetropft worden. Dann sandte die Kapregierung 1876 einen Beauftragten, Shepstone, nach Prätoria, um der Transvaalregierung als „Ratgeber" zur Seite zu stehen, und als Shepstone etwas heimisch geworden war, erklärte er, auf Grund einer geheimen Weisung aus Kapstadt, am 12. Mürz 1887 plötzlich die Transvaal¬ republik für „annektiert"! Grund: das böse Deutschland hätte die Burenstaaten annektiert, wenn ihm England nicht zuvorgekommen wäre I Die Buren hofften naiverweise noch geraume Zeit, daß die Londoner Regierung als die nach ihrer eigenen Meinung berufenste und gewohnheitsmäßige Hüterin des Völkerrechts das schreiende Unrecht gutmachen würde; als sie sich aber hierin — selbstverständlich — getäuscht sahen, griffen sie zu den Waffen und errangen sich am glorreichen Tage von Majuba-Hill (27. Februar 1881) aufs neue die Freiheit. Vielleicht wäre sie ihnen erhalten geblieben, wenn nicht das Unglück zu dem Diamantensegen von 1867 seit 1884 auch noch die Auffindung eines fabelhaften Goldreichtums in Transvaal gefügt hätte. Dieser Umstand machte es unvermeidlich, daß die Buren mit oder ohne.ihren Willen der Segnungen des Greater Britain teilhaftig gemacht werden mußten. Der feige Jamesonsche Überfall auf die Buren ohne jede Kriegserklärung war die erste Folge dieser 2 t*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/335>, abgerufen am 01.10.2024.