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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das englische Schuldkonto bei Buren und Türken

künstlich geschaffen werden, der eine Truppenlandung und Besetzung von
Alexandria "zum Schutze der ansässigen Europäer" rechtfertigte. Lediglich zu
diesem Zwecke nahmen englische Kriegsschiffe unter einem unglaublich nichtigen
Vorwand -- angeblich fühlten sie sich im Hafen von Alexandria durch einige
steinbeladene Schiffe "gefährdet" -- das schmachvolle Bombardement von
Alexandria am 11. Juli 1882 vor. Selbstverständlich rief die Beschießung der
so gut wie völlig wehrlosen Stadt bei der einheimischen Bevölkerung neue Aus-
brüche von Fremdenhaß hervor, die Europäer gerieten allerdings in ernste
Gefahr, und nun hatte England den gewünschten Grund, "im Namen der
Zivilisation" einzuschreiten: am 15. Juli wurde Alexandria besetzt und, um
gleich reinen Tisch zu machen, nahm man das übrige Ägypten mit in Besitz.
Am 13. September wurden die ägyptischen Truppen, die sür die menschen-
freundlichen Absichten der Engländer kein Verständnis hatten, bei Tel-el-Kebir
besiegt, und zwei Tage später wurde das ganze Land, unbeschadet seiner Zu¬
gehörigkeit zur Türkei, "einstweilen von den Engländern in Verwaltung ge¬
nommen." In den seither verflossenen dreiunddreißig Jahren sind alle Anfragen,
wann das "Einstweilen" aufhören möge, ausweichend beantwortet, alle Auf¬
forderungen der Türkei, ihren Besitz zurückzuerstatten, unter leeren Ausflüchten
abgelehnt worden. Mit dem Ausbruch des Weltkrieges hat England völlig
die Maske abgeworfen, hat Ägypten als erobertes Land behandelt, die
diplomatischen Vertreter Deutschlands und Österreichs ausgewiesen, ein englischer
Ukas hat dem Vizekönig die Rückkehr in sein Reich einfach verboten, ein anderer
schließlich gar von einem türkischen Angriff auf den "englischen Besitz Ägypten"
gesprochen. Das Maß ist nun voll, die Türkei will sich ihr Eigentum mit
Gewalt wiederholen: "Der Retter naht, er rüstet sich zum Kampf."

Und nicht nur um Ägypten geht der Kampf, sondern um die Vorherrschaft
in der mohammedanischen Welt überhaupt. Der ganze Islam will sich in
einer beispiellos furchtbaren Explosion gegen seine Unterdrücker England, Ru߬
land. Frankreich erheben, in allererster Linie aber gegen den gefährlichsten Feind,
gegen England.

Im Rahmen dieses Aussatzes ist es nicht möglich, alle die Attentate auch
nur aufzuzählen, die England aä majorsm Zloriam Kntannias gegen mo¬
hammedanische Interessen begangen hat. Nur einige wenige besonders ins Auge
fallende Handlungen seien hervorgehoben. Soweit türkisches Gebiet in Frage
kommt, richteten sich Englands Taten außer gegen Ägypten vornehmlich gegen
Arabien und Mesopotamien, zwei Länder, in denen sich England seit langem
völlig als Herr im Haufe fühlt. staatsrechtlich gehört zwar bisher nur Aden
mit einigem Hinterland zum britischen Reich. Die Engländer bekamen 1838
Appetit auf diesen wichtigen Platz, der die kommende Suezstraße militärisch
vollkommen beherrschte. Infolgedessen nahm man einen der an der arabischen
Küste stets vorgekommenen Fälle von Beraubung Schiffbrüchiger zum Anlaß, um von
dem kleinen arabischen Sultan von Aden nicht nur Schadenersatz, sondern auch --


Das englische Schuldkonto bei Buren und Türken

künstlich geschaffen werden, der eine Truppenlandung und Besetzung von
Alexandria „zum Schutze der ansässigen Europäer" rechtfertigte. Lediglich zu
diesem Zwecke nahmen englische Kriegsschiffe unter einem unglaublich nichtigen
Vorwand — angeblich fühlten sie sich im Hafen von Alexandria durch einige
steinbeladene Schiffe „gefährdet" — das schmachvolle Bombardement von
Alexandria am 11. Juli 1882 vor. Selbstverständlich rief die Beschießung der
so gut wie völlig wehrlosen Stadt bei der einheimischen Bevölkerung neue Aus-
brüche von Fremdenhaß hervor, die Europäer gerieten allerdings in ernste
Gefahr, und nun hatte England den gewünschten Grund, „im Namen der
Zivilisation" einzuschreiten: am 15. Juli wurde Alexandria besetzt und, um
gleich reinen Tisch zu machen, nahm man das übrige Ägypten mit in Besitz.
Am 13. September wurden die ägyptischen Truppen, die sür die menschen-
freundlichen Absichten der Engländer kein Verständnis hatten, bei Tel-el-Kebir
besiegt, und zwei Tage später wurde das ganze Land, unbeschadet seiner Zu¬
gehörigkeit zur Türkei, „einstweilen von den Engländern in Verwaltung ge¬
nommen." In den seither verflossenen dreiunddreißig Jahren sind alle Anfragen,
wann das „Einstweilen" aufhören möge, ausweichend beantwortet, alle Auf¬
forderungen der Türkei, ihren Besitz zurückzuerstatten, unter leeren Ausflüchten
abgelehnt worden. Mit dem Ausbruch des Weltkrieges hat England völlig
die Maske abgeworfen, hat Ägypten als erobertes Land behandelt, die
diplomatischen Vertreter Deutschlands und Österreichs ausgewiesen, ein englischer
Ukas hat dem Vizekönig die Rückkehr in sein Reich einfach verboten, ein anderer
schließlich gar von einem türkischen Angriff auf den „englischen Besitz Ägypten"
gesprochen. Das Maß ist nun voll, die Türkei will sich ihr Eigentum mit
Gewalt wiederholen: „Der Retter naht, er rüstet sich zum Kampf."

Und nicht nur um Ägypten geht der Kampf, sondern um die Vorherrschaft
in der mohammedanischen Welt überhaupt. Der ganze Islam will sich in
einer beispiellos furchtbaren Explosion gegen seine Unterdrücker England, Ru߬
land. Frankreich erheben, in allererster Linie aber gegen den gefährlichsten Feind,
gegen England.

Im Rahmen dieses Aussatzes ist es nicht möglich, alle die Attentate auch
nur aufzuzählen, die England aä majorsm Zloriam Kntannias gegen mo¬
hammedanische Interessen begangen hat. Nur einige wenige besonders ins Auge
fallende Handlungen seien hervorgehoben. Soweit türkisches Gebiet in Frage
kommt, richteten sich Englands Taten außer gegen Ägypten vornehmlich gegen
Arabien und Mesopotamien, zwei Länder, in denen sich England seit langem
völlig als Herr im Haufe fühlt. staatsrechtlich gehört zwar bisher nur Aden
mit einigem Hinterland zum britischen Reich. Die Engländer bekamen 1838
Appetit auf diesen wichtigen Platz, der die kommende Suezstraße militärisch
vollkommen beherrschte. Infolgedessen nahm man einen der an der arabischen
Küste stets vorgekommenen Fälle von Beraubung Schiffbrüchiger zum Anlaß, um von
dem kleinen arabischen Sultan von Aden nicht nur Schadenersatz, sondern auch —


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[0337] Das englische Schuldkonto bei Buren und Türken künstlich geschaffen werden, der eine Truppenlandung und Besetzung von Alexandria „zum Schutze der ansässigen Europäer" rechtfertigte. Lediglich zu diesem Zwecke nahmen englische Kriegsschiffe unter einem unglaublich nichtigen Vorwand — angeblich fühlten sie sich im Hafen von Alexandria durch einige steinbeladene Schiffe „gefährdet" — das schmachvolle Bombardement von Alexandria am 11. Juli 1882 vor. Selbstverständlich rief die Beschießung der so gut wie völlig wehrlosen Stadt bei der einheimischen Bevölkerung neue Aus- brüche von Fremdenhaß hervor, die Europäer gerieten allerdings in ernste Gefahr, und nun hatte England den gewünschten Grund, „im Namen der Zivilisation" einzuschreiten: am 15. Juli wurde Alexandria besetzt und, um gleich reinen Tisch zu machen, nahm man das übrige Ägypten mit in Besitz. Am 13. September wurden die ägyptischen Truppen, die sür die menschen- freundlichen Absichten der Engländer kein Verständnis hatten, bei Tel-el-Kebir besiegt, und zwei Tage später wurde das ganze Land, unbeschadet seiner Zu¬ gehörigkeit zur Türkei, „einstweilen von den Engländern in Verwaltung ge¬ nommen." In den seither verflossenen dreiunddreißig Jahren sind alle Anfragen, wann das „Einstweilen" aufhören möge, ausweichend beantwortet, alle Auf¬ forderungen der Türkei, ihren Besitz zurückzuerstatten, unter leeren Ausflüchten abgelehnt worden. Mit dem Ausbruch des Weltkrieges hat England völlig die Maske abgeworfen, hat Ägypten als erobertes Land behandelt, die diplomatischen Vertreter Deutschlands und Österreichs ausgewiesen, ein englischer Ukas hat dem Vizekönig die Rückkehr in sein Reich einfach verboten, ein anderer schließlich gar von einem türkischen Angriff auf den „englischen Besitz Ägypten" gesprochen. Das Maß ist nun voll, die Türkei will sich ihr Eigentum mit Gewalt wiederholen: „Der Retter naht, er rüstet sich zum Kampf." Und nicht nur um Ägypten geht der Kampf, sondern um die Vorherrschaft in der mohammedanischen Welt überhaupt. Der ganze Islam will sich in einer beispiellos furchtbaren Explosion gegen seine Unterdrücker England, Ru߬ land. Frankreich erheben, in allererster Linie aber gegen den gefährlichsten Feind, gegen England. Im Rahmen dieses Aussatzes ist es nicht möglich, alle die Attentate auch nur aufzuzählen, die England aä majorsm Zloriam Kntannias gegen mo¬ hammedanische Interessen begangen hat. Nur einige wenige besonders ins Auge fallende Handlungen seien hervorgehoben. Soweit türkisches Gebiet in Frage kommt, richteten sich Englands Taten außer gegen Ägypten vornehmlich gegen Arabien und Mesopotamien, zwei Länder, in denen sich England seit langem völlig als Herr im Haufe fühlt. staatsrechtlich gehört zwar bisher nur Aden mit einigem Hinterland zum britischen Reich. Die Engländer bekamen 1838 Appetit auf diesen wichtigen Platz, der die kommende Suezstraße militärisch vollkommen beherrschte. Infolgedessen nahm man einen der an der arabischen Küste stets vorgekommenen Fälle von Beraubung Schiffbrüchiger zum Anlaß, um von dem kleinen arabischen Sultan von Aden nicht nur Schadenersatz, sondern auch —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/337>, abgerufen am 21.06.2024.