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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das englische Schuldkonto bei Buren und Türken

und reißt den ganzen Islam mit sich, auch die Buren erheben sich zu neuem
Freiheitskampf, und allein der Name Dewet genügt, um alle jene seltsame
Romantik der Jahre 1899 bis 1902 aufs neue erwachen zu lassen.

"Die Weltgeschichte ist das Weltgericht" -- das wird man in England
vermutlich schon in wenigen Monaten verspüren, wenn all das Übermaß von
Perfidie und Brutalität, das die englische Politik der letzten hundert Jahre
ausgelöst hat, in einer gewaltigen Katastrophe seine gerechte Sühne findet. --
Bei uns in Deutschland weiß das große Publikum ja viel zu wenig von den
unglaublich unmoralischen Mitteln, mit denen sich England, die Bibel in der
Hand und die Menschenliebe auf der Zunge, sein riesenhaftes Kolonialreich
erschachert und ergaunert hat. Eine soeben erschienene Broschüre "Unser Vetter
Tartüffe oder Wie England seine Kolonien erwarb" (Berlin - Wilmersdorf,
H. Packeis Verlag) läßt in dieser Beziehung einen Einblick von geradezu
fürchterlicher Deutlichkeit tun. Wer sich darüber ereifert, daß die Türken ein
gefährliches Spiel treiben, indem auch sie in den Weltkrieg eingreifen, wer sich
darüber entrüstet, daß die Buren, trotz des Friedens von Vereeniging, die
Waffen aufs neue gegen ihre "Herren" kehren, denen sie Treue gelobt haben,
der verfolge die historischen Ereignisse an Hand dieser historischen Darlegungen,
und er wird, wenn er noch einen Funken von Scham und Anstand im Leibe
hat, verstummen oder die nunmehrige Vergeltung gerecht nennen. Betrachten
wir hier nur in kurzen Zügen das Schuldregister, das die Briten sich den Buren
und den Türken gegenüber haben zu schulden kommen lassen und das nun
hoffentlich auf Heller und Pfennig beglichen werden wird.

Als der Friede von Vereemging am 31. Mai 1902 dem gewaltigen letzten
Freiheitskampf der Buren ein Ende machte und die Selbständigkeit der Buren¬
republik erlosch, da sprach man wohl vom Abschluß eines sechsundsechzigjährigen
Kampfes zwischen Buren und Briten -- die nunmehrigen Vorkommnisse zeigen
freilich, daß es noch immer kein Abschluß war und daß das letzte Kapitel der
Burentragödie noch nicht geschrieben ist, ja, daß in letzter Stunde das düstre
Trauerspiel sich vielleicht doch noch in ein freundliches Schauspiel mit ver¬
söhnenden Schluß verwandelt. Woraus setzt sich das britische Burenschuldkonto
zusammen? Hören wir!

Im Jahre 1836 begannen die holländischen Buren der Kapkolonie, die
unzufrieden mit der seit 1806 britischen Verwaltung des Landes waren, aus¬
zuwandern und siedelten sich, nach furchtbaren Kämpfen mit Eingeborenen,
1838 in dem noch herrenlosen Natal an, wo sie einen Freistaat gründeten.
Kaum waren die ersten Grundlagen geschaffen, da erklärte England Natal als
ihm gehöriges Land. Grund: die Buren seien britische Untertanen. Natürlich
waren die Bewohner des neuen Freistaates wenig geneigt, sich die englische
Logik zu eigen zu machen, die, im Grunde genommen, auf die Proklamierung
der Leibeigenschaft hinauslief, aber britische Truppen rückten in Natal ein,
1843 war das Land endgültig englische Kolonie! Ein großer Teil der Buren


Das englische Schuldkonto bei Buren und Türken

und reißt den ganzen Islam mit sich, auch die Buren erheben sich zu neuem
Freiheitskampf, und allein der Name Dewet genügt, um alle jene seltsame
Romantik der Jahre 1899 bis 1902 aufs neue erwachen zu lassen.

„Die Weltgeschichte ist das Weltgericht" — das wird man in England
vermutlich schon in wenigen Monaten verspüren, wenn all das Übermaß von
Perfidie und Brutalität, das die englische Politik der letzten hundert Jahre
ausgelöst hat, in einer gewaltigen Katastrophe seine gerechte Sühne findet. —
Bei uns in Deutschland weiß das große Publikum ja viel zu wenig von den
unglaublich unmoralischen Mitteln, mit denen sich England, die Bibel in der
Hand und die Menschenliebe auf der Zunge, sein riesenhaftes Kolonialreich
erschachert und ergaunert hat. Eine soeben erschienene Broschüre „Unser Vetter
Tartüffe oder Wie England seine Kolonien erwarb" (Berlin - Wilmersdorf,
H. Packeis Verlag) läßt in dieser Beziehung einen Einblick von geradezu
fürchterlicher Deutlichkeit tun. Wer sich darüber ereifert, daß die Türken ein
gefährliches Spiel treiben, indem auch sie in den Weltkrieg eingreifen, wer sich
darüber entrüstet, daß die Buren, trotz des Friedens von Vereeniging, die
Waffen aufs neue gegen ihre „Herren" kehren, denen sie Treue gelobt haben,
der verfolge die historischen Ereignisse an Hand dieser historischen Darlegungen,
und er wird, wenn er noch einen Funken von Scham und Anstand im Leibe
hat, verstummen oder die nunmehrige Vergeltung gerecht nennen. Betrachten
wir hier nur in kurzen Zügen das Schuldregister, das die Briten sich den Buren
und den Türken gegenüber haben zu schulden kommen lassen und das nun
hoffentlich auf Heller und Pfennig beglichen werden wird.

Als der Friede von Vereemging am 31. Mai 1902 dem gewaltigen letzten
Freiheitskampf der Buren ein Ende machte und die Selbständigkeit der Buren¬
republik erlosch, da sprach man wohl vom Abschluß eines sechsundsechzigjährigen
Kampfes zwischen Buren und Briten — die nunmehrigen Vorkommnisse zeigen
freilich, daß es noch immer kein Abschluß war und daß das letzte Kapitel der
Burentragödie noch nicht geschrieben ist, ja, daß in letzter Stunde das düstre
Trauerspiel sich vielleicht doch noch in ein freundliches Schauspiel mit ver¬
söhnenden Schluß verwandelt. Woraus setzt sich das britische Burenschuldkonto
zusammen? Hören wir!

Im Jahre 1836 begannen die holländischen Buren der Kapkolonie, die
unzufrieden mit der seit 1806 britischen Verwaltung des Landes waren, aus¬
zuwandern und siedelten sich, nach furchtbaren Kämpfen mit Eingeborenen,
1838 in dem noch herrenlosen Natal an, wo sie einen Freistaat gründeten.
Kaum waren die ersten Grundlagen geschaffen, da erklärte England Natal als
ihm gehöriges Land. Grund: die Buren seien britische Untertanen. Natürlich
waren die Bewohner des neuen Freistaates wenig geneigt, sich die englische
Logik zu eigen zu machen, die, im Grunde genommen, auf die Proklamierung
der Leibeigenschaft hinauslief, aber britische Truppen rückten in Natal ein,
1843 war das Land endgültig englische Kolonie! Ein großer Teil der Buren


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[0334] Das englische Schuldkonto bei Buren und Türken und reißt den ganzen Islam mit sich, auch die Buren erheben sich zu neuem Freiheitskampf, und allein der Name Dewet genügt, um alle jene seltsame Romantik der Jahre 1899 bis 1902 aufs neue erwachen zu lassen. „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht" — das wird man in England vermutlich schon in wenigen Monaten verspüren, wenn all das Übermaß von Perfidie und Brutalität, das die englische Politik der letzten hundert Jahre ausgelöst hat, in einer gewaltigen Katastrophe seine gerechte Sühne findet. — Bei uns in Deutschland weiß das große Publikum ja viel zu wenig von den unglaublich unmoralischen Mitteln, mit denen sich England, die Bibel in der Hand und die Menschenliebe auf der Zunge, sein riesenhaftes Kolonialreich erschachert und ergaunert hat. Eine soeben erschienene Broschüre „Unser Vetter Tartüffe oder Wie England seine Kolonien erwarb" (Berlin - Wilmersdorf, H. Packeis Verlag) läßt in dieser Beziehung einen Einblick von geradezu fürchterlicher Deutlichkeit tun. Wer sich darüber ereifert, daß die Türken ein gefährliches Spiel treiben, indem auch sie in den Weltkrieg eingreifen, wer sich darüber entrüstet, daß die Buren, trotz des Friedens von Vereeniging, die Waffen aufs neue gegen ihre „Herren" kehren, denen sie Treue gelobt haben, der verfolge die historischen Ereignisse an Hand dieser historischen Darlegungen, und er wird, wenn er noch einen Funken von Scham und Anstand im Leibe hat, verstummen oder die nunmehrige Vergeltung gerecht nennen. Betrachten wir hier nur in kurzen Zügen das Schuldregister, das die Briten sich den Buren und den Türken gegenüber haben zu schulden kommen lassen und das nun hoffentlich auf Heller und Pfennig beglichen werden wird. Als der Friede von Vereemging am 31. Mai 1902 dem gewaltigen letzten Freiheitskampf der Buren ein Ende machte und die Selbständigkeit der Buren¬ republik erlosch, da sprach man wohl vom Abschluß eines sechsundsechzigjährigen Kampfes zwischen Buren und Briten — die nunmehrigen Vorkommnisse zeigen freilich, daß es noch immer kein Abschluß war und daß das letzte Kapitel der Burentragödie noch nicht geschrieben ist, ja, daß in letzter Stunde das düstre Trauerspiel sich vielleicht doch noch in ein freundliches Schauspiel mit ver¬ söhnenden Schluß verwandelt. Woraus setzt sich das britische Burenschuldkonto zusammen? Hören wir! Im Jahre 1836 begannen die holländischen Buren der Kapkolonie, die unzufrieden mit der seit 1806 britischen Verwaltung des Landes waren, aus¬ zuwandern und siedelten sich, nach furchtbaren Kämpfen mit Eingeborenen, 1838 in dem noch herrenlosen Natal an, wo sie einen Freistaat gründeten. Kaum waren die ersten Grundlagen geschaffen, da erklärte England Natal als ihm gehöriges Land. Grund: die Buren seien britische Untertanen. Natürlich waren die Bewohner des neuen Freistaates wenig geneigt, sich die englische Logik zu eigen zu machen, die, im Grunde genommen, auf die Proklamierung der Leibeigenschaft hinauslief, aber britische Truppen rückten in Natal ein, 1843 war das Land endgültig englische Kolonie! Ein großer Teil der Buren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/334>, abgerufen am 01.07.2024.