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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Staatenbund von Nordeuropa

Standpunkt. Der Hauptschuldige dürfe doch nicht ungestraft ausgehen, die
Verführten könne man leichter davon kommen lassen, deswegen seien Gebiets¬
abtretungen von Österreich unerläßlich. Bismarck erwiderte: "Wir hätten nicht
eines Richteramtes zu walten, sondern deutsche Politik zu treiben. Österreichs
Rivalitätskampf gegen uns sei übrigens nicht strafbarer, als der unsrige gegen
Osterreich. Er wolle auch vermeiden, in dem künftigen deutschen Bundesverhältnis
verstümmelte Besitze zu sehen, in denen der Wunsch nach Wiedererlangung des
früheren Besitzes mit fremder Hilfe lebendig werden könne, es würden das
unzuverlässige Bundesgenossen werden. Es sei von hoher Wichtigkeit, ob die
Stimmung, die wir bei unseren Gegnern hinterließen, unversöhnlich, die Wunden,
die wir ihnen und ihrem Selbstgefühl geschlagen, unheilbar sein würden. Der
König wurde im Laufe der Erörterung fo erregt, daß der Vortrag abgebrochen
werden mußte. Der Ministerpräsident kehrte in sein Zimmer zurück in der
Stimmung, ob es nicht besser sei, aus dem offenstehenden, vier Stock hohen
Fenster zu fallen. Plötzlich trat der Kronprinz ein. Er erklärte sich bereit, mit
seinem Vater zu sprechen. Die Unterredung dauerte eine halbe Stunde. Dann
erging der Bescheid: "Nachdem mein Ministerpräsident mich vor dem Feinde
im Stich läßt, und ich hier außerstande bin, ihn zu ersetzen, habe ich die Frage
mit weinen Sohne erörtert und da sich derselbe der Auffassung des Minister¬
präsidenten angeschlossen hat, sehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen,
nach so glänzenden Siegen der Armee in diesen sauren Apfel zu beißen und
einen so schmachvollen Frieden anzunehmen." -- Für Bismarck war es trotz
der Schärfe der Ausdrücke eine erfreuliche Lösung der für ihn unerträglichen
Spannung und es verblieb ihm an den Vorgang nur die schmerzliche Erinnerung,
daß er seinen Herrn, den er liebte, so hatte verstimmen müssen.

Welch hohes Verdienst sich der damalige Ministerpräsident durch weise
Mäßigung und Selbstbeherrschung erworben hat. darüber ist heute kein Wort
zu verlieren. Nach dem französischen Kriege, 1871, lagen die Dinge anders.
Aber auch Frankreich gegenüber ging Fürst Bismarck nicht darauf aus. so viel
Gebietsabtretung wie möglich, durchzusetzen. Selbst der Besitz von Metz erschien
ihm nicht unbedingt wünschenswert. "Ich mag nicht so viele Franzosen in
unserem Haus, die nicht drin sein wollen. Es ist mit Belfort ebenso, auch
dort ist alles französisch."')

Wenn die Erinnerung an große Tage der Vergangenheit wachgerufen wird,
so geschieht es nicht in dem Sinne, als ob die Lehren jener Zeit unmittelbare
Anwendung auf die vielfach andersgearteten Verhältnisse der Gegenwart finden
könnten. Es ist aber vielleicht nützlich, darauf hinzuweisen, daß der Meister
der Staatskunst allezeit ebenso maßvoll, wie entschlossen war. daß er sich auch
von dem größten Erfolg nicht blenden ließ, fondern darüber hinaus weit in
die Zukunft blickte, auf der Höhe des Triumphes unerschütterlich in Ruhe und



") Moritz Busch, Graf Bismarck und seine Leute. Band II, Seite 373.
Grenzboten IV 1914
Staatenbund von Nordeuropa

Standpunkt. Der Hauptschuldige dürfe doch nicht ungestraft ausgehen, die
Verführten könne man leichter davon kommen lassen, deswegen seien Gebiets¬
abtretungen von Österreich unerläßlich. Bismarck erwiderte: „Wir hätten nicht
eines Richteramtes zu walten, sondern deutsche Politik zu treiben. Österreichs
Rivalitätskampf gegen uns sei übrigens nicht strafbarer, als der unsrige gegen
Osterreich. Er wolle auch vermeiden, in dem künftigen deutschen Bundesverhältnis
verstümmelte Besitze zu sehen, in denen der Wunsch nach Wiedererlangung des
früheren Besitzes mit fremder Hilfe lebendig werden könne, es würden das
unzuverlässige Bundesgenossen werden. Es sei von hoher Wichtigkeit, ob die
Stimmung, die wir bei unseren Gegnern hinterließen, unversöhnlich, die Wunden,
die wir ihnen und ihrem Selbstgefühl geschlagen, unheilbar sein würden. Der
König wurde im Laufe der Erörterung fo erregt, daß der Vortrag abgebrochen
werden mußte. Der Ministerpräsident kehrte in sein Zimmer zurück in der
Stimmung, ob es nicht besser sei, aus dem offenstehenden, vier Stock hohen
Fenster zu fallen. Plötzlich trat der Kronprinz ein. Er erklärte sich bereit, mit
seinem Vater zu sprechen. Die Unterredung dauerte eine halbe Stunde. Dann
erging der Bescheid: „Nachdem mein Ministerpräsident mich vor dem Feinde
im Stich läßt, und ich hier außerstande bin, ihn zu ersetzen, habe ich die Frage
mit weinen Sohne erörtert und da sich derselbe der Auffassung des Minister¬
präsidenten angeschlossen hat, sehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen,
nach so glänzenden Siegen der Armee in diesen sauren Apfel zu beißen und
einen so schmachvollen Frieden anzunehmen." — Für Bismarck war es trotz
der Schärfe der Ausdrücke eine erfreuliche Lösung der für ihn unerträglichen
Spannung und es verblieb ihm an den Vorgang nur die schmerzliche Erinnerung,
daß er seinen Herrn, den er liebte, so hatte verstimmen müssen.

Welch hohes Verdienst sich der damalige Ministerpräsident durch weise
Mäßigung und Selbstbeherrschung erworben hat. darüber ist heute kein Wort
zu verlieren. Nach dem französischen Kriege, 1871, lagen die Dinge anders.
Aber auch Frankreich gegenüber ging Fürst Bismarck nicht darauf aus. so viel
Gebietsabtretung wie möglich, durchzusetzen. Selbst der Besitz von Metz erschien
ihm nicht unbedingt wünschenswert. „Ich mag nicht so viele Franzosen in
unserem Haus, die nicht drin sein wollen. Es ist mit Belfort ebenso, auch
dort ist alles französisch."')

Wenn die Erinnerung an große Tage der Vergangenheit wachgerufen wird,
so geschieht es nicht in dem Sinne, als ob die Lehren jener Zeit unmittelbare
Anwendung auf die vielfach andersgearteten Verhältnisse der Gegenwart finden
könnten. Es ist aber vielleicht nützlich, darauf hinzuweisen, daß der Meister
der Staatskunst allezeit ebenso maßvoll, wie entschlossen war. daß er sich auch
von dem größten Erfolg nicht blenden ließ, fondern darüber hinaus weit in
die Zukunft blickte, auf der Höhe des Triumphes unerschütterlich in Ruhe und



") Moritz Busch, Graf Bismarck und seine Leute. Band II, Seite 373.
Grenzboten IV 1914
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[0317] Staatenbund von Nordeuropa Standpunkt. Der Hauptschuldige dürfe doch nicht ungestraft ausgehen, die Verführten könne man leichter davon kommen lassen, deswegen seien Gebiets¬ abtretungen von Österreich unerläßlich. Bismarck erwiderte: „Wir hätten nicht eines Richteramtes zu walten, sondern deutsche Politik zu treiben. Österreichs Rivalitätskampf gegen uns sei übrigens nicht strafbarer, als der unsrige gegen Osterreich. Er wolle auch vermeiden, in dem künftigen deutschen Bundesverhältnis verstümmelte Besitze zu sehen, in denen der Wunsch nach Wiedererlangung des früheren Besitzes mit fremder Hilfe lebendig werden könne, es würden das unzuverlässige Bundesgenossen werden. Es sei von hoher Wichtigkeit, ob die Stimmung, die wir bei unseren Gegnern hinterließen, unversöhnlich, die Wunden, die wir ihnen und ihrem Selbstgefühl geschlagen, unheilbar sein würden. Der König wurde im Laufe der Erörterung fo erregt, daß der Vortrag abgebrochen werden mußte. Der Ministerpräsident kehrte in sein Zimmer zurück in der Stimmung, ob es nicht besser sei, aus dem offenstehenden, vier Stock hohen Fenster zu fallen. Plötzlich trat der Kronprinz ein. Er erklärte sich bereit, mit seinem Vater zu sprechen. Die Unterredung dauerte eine halbe Stunde. Dann erging der Bescheid: „Nachdem mein Ministerpräsident mich vor dem Feinde im Stich läßt, und ich hier außerstande bin, ihn zu ersetzen, habe ich die Frage mit weinen Sohne erörtert und da sich derselbe der Auffassung des Minister¬ präsidenten angeschlossen hat, sehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen, nach so glänzenden Siegen der Armee in diesen sauren Apfel zu beißen und einen so schmachvollen Frieden anzunehmen." — Für Bismarck war es trotz der Schärfe der Ausdrücke eine erfreuliche Lösung der für ihn unerträglichen Spannung und es verblieb ihm an den Vorgang nur die schmerzliche Erinnerung, daß er seinen Herrn, den er liebte, so hatte verstimmen müssen. Welch hohes Verdienst sich der damalige Ministerpräsident durch weise Mäßigung und Selbstbeherrschung erworben hat. darüber ist heute kein Wort zu verlieren. Nach dem französischen Kriege, 1871, lagen die Dinge anders. Aber auch Frankreich gegenüber ging Fürst Bismarck nicht darauf aus. so viel Gebietsabtretung wie möglich, durchzusetzen. Selbst der Besitz von Metz erschien ihm nicht unbedingt wünschenswert. „Ich mag nicht so viele Franzosen in unserem Haus, die nicht drin sein wollen. Es ist mit Belfort ebenso, auch dort ist alles französisch."') Wenn die Erinnerung an große Tage der Vergangenheit wachgerufen wird, so geschieht es nicht in dem Sinne, als ob die Lehren jener Zeit unmittelbare Anwendung auf die vielfach andersgearteten Verhältnisse der Gegenwart finden könnten. Es ist aber vielleicht nützlich, darauf hinzuweisen, daß der Meister der Staatskunst allezeit ebenso maßvoll, wie entschlossen war. daß er sich auch von dem größten Erfolg nicht blenden ließ, fondern darüber hinaus weit in die Zukunft blickte, auf der Höhe des Triumphes unerschütterlich in Ruhe und ") Moritz Busch, Graf Bismarck und seine Leute. Band II, Seite 373. Grenzboten IV 1914

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/317>, abgerufen am 04.07.2024.