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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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^"taatenbund von Nordeuropa
Justizrat Lambcrgcr von

in 3. Juli 1866 wurde die Schlacht bei Königgrätz geschlagen.
In der Nacht zum 5. Juli traf im Hauptquartier ein Telegramm
des Kaisers Napoleon ein: Der Kaiser Franz Joseph habe ihm
Venetien abgetreten und seine Vermittlung angerufen; der glänzende
Erfolg der Waffen des Königs nötige ihn, aus seiner bisherigen
Zurückhaltung herauszutreten.") Sogleich entschloß sich der Ministerpräsident,
den Frieden "aus der Basis der territorialen Integrität Österreichs" anzuraten;
im Falle französischer Einmischung müsse unter mäßigen Bedingungen sofort
Friede und womöglich ein Bündnis geschlossen werden, um Frankreich anzugreifen.
Im Hinblick auf spätere Beziehungen sollte indessen jede kränkende Erinnerung
für das österreichische Ehrgefühl, namentlich ein triumphierender Einzug in
Wien, vermieden wenden. Mit dieser Ansicht stand Bismarck im Hauptquartier
allein, sämtliche Generale und der König selbst waren dagegen; man bezeichnete
ihn als den "Questenberg im Lager". Am 23. Juli fand unter dem Vorsitz
des Königs Kriegsrat statt. Der Kriegsrat entschied gegen Bismarck. Er stand
schweigend auf, ging in sein anstoßendes Schlafzimmer und wurde von heftigem
Weinkrampf befallen. Als er sich erholt hatte, arbeitete er eine Denkschrift aus
und bat am Schlüsse den König, bei Weiterführung des Krieges ihn seiner
Ämter zu entheben. "Osterreich schwer zu verwunden, dauernde Bitterkeit und
Revanchebedürfnis mehr als nötig, zu hinterlassen, müßten wir vermeiden, viel¬
mehr uns die Möglichkeit, uns mit dem heutigen Gegner wieder zu befreunden,
wahren und jedenfalls den österreichischen Staat als einen Stein im europäischen
Schachbrett und die Erneuerung guter Beziehungen mit demselben als einen für
uns offenzuhaltenden Schachzug ansehen. Wenn Österreich schwer geschädigt
werde, so würde es der Bundesgenosse Frankreichs und jedes Gegners werden."
An der Hand der ausführlichen Denkschrift hielt Bismarck am folgenden Tage
dem König Vortrag. Er entwickelte alle politischen und militärischen Gründe,
die gegen eine Fortsetzung des Krieges sprachen; obenan stand die Rücksicht auf
die zu erwartende Einmischung Frankreichs. König Wilhelm verblieb auf seinem



*) Vgl., auch für das Folgende: Fürst Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart
1013. Kapitel 20, Abschnitt IV und V.


^»taatenbund von Nordeuropa
Justizrat Lambcrgcr von

in 3. Juli 1866 wurde die Schlacht bei Königgrätz geschlagen.
In der Nacht zum 5. Juli traf im Hauptquartier ein Telegramm
des Kaisers Napoleon ein: Der Kaiser Franz Joseph habe ihm
Venetien abgetreten und seine Vermittlung angerufen; der glänzende
Erfolg der Waffen des Königs nötige ihn, aus seiner bisherigen
Zurückhaltung herauszutreten.") Sogleich entschloß sich der Ministerpräsident,
den Frieden „aus der Basis der territorialen Integrität Österreichs" anzuraten;
im Falle französischer Einmischung müsse unter mäßigen Bedingungen sofort
Friede und womöglich ein Bündnis geschlossen werden, um Frankreich anzugreifen.
Im Hinblick auf spätere Beziehungen sollte indessen jede kränkende Erinnerung
für das österreichische Ehrgefühl, namentlich ein triumphierender Einzug in
Wien, vermieden wenden. Mit dieser Ansicht stand Bismarck im Hauptquartier
allein, sämtliche Generale und der König selbst waren dagegen; man bezeichnete
ihn als den „Questenberg im Lager". Am 23. Juli fand unter dem Vorsitz
des Königs Kriegsrat statt. Der Kriegsrat entschied gegen Bismarck. Er stand
schweigend auf, ging in sein anstoßendes Schlafzimmer und wurde von heftigem
Weinkrampf befallen. Als er sich erholt hatte, arbeitete er eine Denkschrift aus
und bat am Schlüsse den König, bei Weiterführung des Krieges ihn seiner
Ämter zu entheben. „Osterreich schwer zu verwunden, dauernde Bitterkeit und
Revanchebedürfnis mehr als nötig, zu hinterlassen, müßten wir vermeiden, viel¬
mehr uns die Möglichkeit, uns mit dem heutigen Gegner wieder zu befreunden,
wahren und jedenfalls den österreichischen Staat als einen Stein im europäischen
Schachbrett und die Erneuerung guter Beziehungen mit demselben als einen für
uns offenzuhaltenden Schachzug ansehen. Wenn Österreich schwer geschädigt
werde, so würde es der Bundesgenosse Frankreichs und jedes Gegners werden."
An der Hand der ausführlichen Denkschrift hielt Bismarck am folgenden Tage
dem König Vortrag. Er entwickelte alle politischen und militärischen Gründe,
die gegen eine Fortsetzung des Krieges sprachen; obenan stand die Rücksicht auf
die zu erwartende Einmischung Frankreichs. König Wilhelm verblieb auf seinem



*) Vgl., auch für das Folgende: Fürst Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart
1013. Kapitel 20, Abschnitt IV und V.
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[0316] [Abbildung] ^»taatenbund von Nordeuropa Justizrat Lambcrgcr von in 3. Juli 1866 wurde die Schlacht bei Königgrätz geschlagen. In der Nacht zum 5. Juli traf im Hauptquartier ein Telegramm des Kaisers Napoleon ein: Der Kaiser Franz Joseph habe ihm Venetien abgetreten und seine Vermittlung angerufen; der glänzende Erfolg der Waffen des Königs nötige ihn, aus seiner bisherigen Zurückhaltung herauszutreten.") Sogleich entschloß sich der Ministerpräsident, den Frieden „aus der Basis der territorialen Integrität Österreichs" anzuraten; im Falle französischer Einmischung müsse unter mäßigen Bedingungen sofort Friede und womöglich ein Bündnis geschlossen werden, um Frankreich anzugreifen. Im Hinblick auf spätere Beziehungen sollte indessen jede kränkende Erinnerung für das österreichische Ehrgefühl, namentlich ein triumphierender Einzug in Wien, vermieden wenden. Mit dieser Ansicht stand Bismarck im Hauptquartier allein, sämtliche Generale und der König selbst waren dagegen; man bezeichnete ihn als den „Questenberg im Lager". Am 23. Juli fand unter dem Vorsitz des Königs Kriegsrat statt. Der Kriegsrat entschied gegen Bismarck. Er stand schweigend auf, ging in sein anstoßendes Schlafzimmer und wurde von heftigem Weinkrampf befallen. Als er sich erholt hatte, arbeitete er eine Denkschrift aus und bat am Schlüsse den König, bei Weiterführung des Krieges ihn seiner Ämter zu entheben. „Osterreich schwer zu verwunden, dauernde Bitterkeit und Revanchebedürfnis mehr als nötig, zu hinterlassen, müßten wir vermeiden, viel¬ mehr uns die Möglichkeit, uns mit dem heutigen Gegner wieder zu befreunden, wahren und jedenfalls den österreichischen Staat als einen Stein im europäischen Schachbrett und die Erneuerung guter Beziehungen mit demselben als einen für uns offenzuhaltenden Schachzug ansehen. Wenn Österreich schwer geschädigt werde, so würde es der Bundesgenosse Frankreichs und jedes Gegners werden." An der Hand der ausführlichen Denkschrift hielt Bismarck am folgenden Tage dem König Vortrag. Er entwickelte alle politischen und militärischen Gründe, die gegen eine Fortsetzung des Krieges sprachen; obenan stand die Rücksicht auf die zu erwartende Einmischung Frankreichs. König Wilhelm verblieb auf seinem *) Vgl., auch für das Folgende: Fürst Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1013. Kapitel 20, Abschnitt IV und V.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/316>, abgerufen am 04.07.2024.