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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

einem Aufopfern die Rede sein, da die Koloraturen zu dem heroischen Inhalt
des Textes passen.

Noch gar manches, was auf Mozart, den Künstler, ein Helles Licht wirft,
wäre aus den Briefen auszuziehen; doch müssen wir uns an dem Beigebrachten
genügen lassen. Auch müssen wir es uns versagen, auf die zahlreichen Briefe
des Vaters und auf die wenigen der Mutter, der Schwester und der Gattin
näher einzugehen. Nur sei noch erwähnt, daß sich unter den Briefen Mozarts
auch der italienisch abgefaßte vom 1. September 1785 findet, in welchem er
Handn seine in langsamer Arbeit entstandenen sechs Streichquartette zueignet,
die bedeutendsten, die er geschrieben hat, und unter den Briefen des Vaters
derjenige, in welchem er seiner Tochter am 17. Februar des gleichen Jahres von
Wien aus die Worte Handns berichtet: "Ich sage Ihnen vor Gott, als ein
ehrlicher Mann, Ihr Sohn ist der größte Komponist, den ich von Person und dem
Namen nach kenne; er hat Geschmack und überdies die größte Kompositionswissen-
schast," einen Ausspruch, der ihm wie die Krönung seines Lebens erscheinen mußte.

Genau hundert Jahre nach Mozart richtete ein anderer österreichischer
Musiker von Wien aus seine Briefe an Eltern und Geschwister. Manche auf
der Gemeinsamkeit des Vaterlandes beruhende Äußerlichkeiten und manche
Schicksale beider Künstler könnten zu einem Vergleich herausfordern. Noch immer
werden die Eltern mit "Sie" angeredet und die Briefe mit der Formel "Ich
küsse Ihnen die Hände" beschlossen. Beiden Männern blieb es nicht erspart,
die Sorge ums tägliche Brot kennen zu lernen. Und doch, welche grundlegenden
Unterschiede auch abgesehen von der unermeßlich höheren Begabung und der einzig
dastehenden Universalität Mozarts! Dieser war nicht nur zum Musiker ge¬
boren, sondern wurde auch von früh auf dazu erzogen; Hugo Wolf dagegen
(Hugo Wolf, Familienbriefe, herausgegeben von Edmund von Heimer,
Breitkopf und Härtel. Leipzig, 1912) mußte sich die Erlaubnis. Musiker zu werden,
erkämpfen. Von seinem Konflikt und seiner zeitweiligen Resignation legen die
Briefe aus seinen Gvmnasialjahren Zeugnis ab. Doch obgleich seine Eltern
seinen Neigungen schließlich nachgaben, scheint er weder damals noch später zu innerer
Harmonie gelangt zu sein. Mozart war sich deutlich bewußt, ein gottbegnadeter
Künstler zu sein. Aber auch in den Zeiten des gespanntesten Verhältnisses zu
seinem Vater vergaß er niemals die Ehrerbietung gegen denselben. Wolf dagegen
war kleinlich-eitel, nicht nur vernarrt in jede seiner Kompositionen, sondern auch
stolz auf äußere Vorteile, welche ihm seine Wohltäter hatten zukommen lassen,
und bediente sich seinen Eltern gegenüber, die ihm seine ungünstige materielle
Lage nach Möglichkeit zu erleichtern suchten, häufig eines unangenehm hoch¬
fahrenden Tones, wobei freilich einige sehr schöne Briefe an seine Mutter
auszunehmen sind. Im Hinblick auf die furchtbare Katastrophe, welche über
Wolf hereinbrach und ihn schon sechs Jahre vor seinem Tode geistig sterben
ließ, widerstrebt es mir, auf die Briefsammlung näher einzugehen, die in
künstlerischer Beziehung nur von geringem Interesse ist.


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einem Aufopfern die Rede sein, da die Koloraturen zu dem heroischen Inhalt
des Textes passen.

Noch gar manches, was auf Mozart, den Künstler, ein Helles Licht wirft,
wäre aus den Briefen auszuziehen; doch müssen wir uns an dem Beigebrachten
genügen lassen. Auch müssen wir es uns versagen, auf die zahlreichen Briefe
des Vaters und auf die wenigen der Mutter, der Schwester und der Gattin
näher einzugehen. Nur sei noch erwähnt, daß sich unter den Briefen Mozarts
auch der italienisch abgefaßte vom 1. September 1785 findet, in welchem er
Handn seine in langsamer Arbeit entstandenen sechs Streichquartette zueignet,
die bedeutendsten, die er geschrieben hat, und unter den Briefen des Vaters
derjenige, in welchem er seiner Tochter am 17. Februar des gleichen Jahres von
Wien aus die Worte Handns berichtet: „Ich sage Ihnen vor Gott, als ein
ehrlicher Mann, Ihr Sohn ist der größte Komponist, den ich von Person und dem
Namen nach kenne; er hat Geschmack und überdies die größte Kompositionswissen-
schast," einen Ausspruch, der ihm wie die Krönung seines Lebens erscheinen mußte.

Genau hundert Jahre nach Mozart richtete ein anderer österreichischer
Musiker von Wien aus seine Briefe an Eltern und Geschwister. Manche auf
der Gemeinsamkeit des Vaterlandes beruhende Äußerlichkeiten und manche
Schicksale beider Künstler könnten zu einem Vergleich herausfordern. Noch immer
werden die Eltern mit „Sie" angeredet und die Briefe mit der Formel „Ich
küsse Ihnen die Hände" beschlossen. Beiden Männern blieb es nicht erspart,
die Sorge ums tägliche Brot kennen zu lernen. Und doch, welche grundlegenden
Unterschiede auch abgesehen von der unermeßlich höheren Begabung und der einzig
dastehenden Universalität Mozarts! Dieser war nicht nur zum Musiker ge¬
boren, sondern wurde auch von früh auf dazu erzogen; Hugo Wolf dagegen
(Hugo Wolf, Familienbriefe, herausgegeben von Edmund von Heimer,
Breitkopf und Härtel. Leipzig, 1912) mußte sich die Erlaubnis. Musiker zu werden,
erkämpfen. Von seinem Konflikt und seiner zeitweiligen Resignation legen die
Briefe aus seinen Gvmnasialjahren Zeugnis ab. Doch obgleich seine Eltern
seinen Neigungen schließlich nachgaben, scheint er weder damals noch später zu innerer
Harmonie gelangt zu sein. Mozart war sich deutlich bewußt, ein gottbegnadeter
Künstler zu sein. Aber auch in den Zeiten des gespanntesten Verhältnisses zu
seinem Vater vergaß er niemals die Ehrerbietung gegen denselben. Wolf dagegen
war kleinlich-eitel, nicht nur vernarrt in jede seiner Kompositionen, sondern auch
stolz auf äußere Vorteile, welche ihm seine Wohltäter hatten zukommen lassen,
und bediente sich seinen Eltern gegenüber, die ihm seine ungünstige materielle
Lage nach Möglichkeit zu erleichtern suchten, häufig eines unangenehm hoch¬
fahrenden Tones, wobei freilich einige sehr schöne Briefe an seine Mutter
auszunehmen sind. Im Hinblick auf die furchtbare Katastrophe, welche über
Wolf hereinbrach und ihn schon sechs Jahre vor seinem Tode geistig sterben
ließ, widerstrebt es mir, auf die Briefsammlung näher einzugehen, die in
künstlerischer Beziehung nur von geringem Interesse ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/299>, abgerufen am 02.07.2024.