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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

wovon ich selbst ein Zeuge war? Weil da ganz die Musik herrscht und man
darüber alles vergißt. Um so mehr muß ja eine Opera gefallen, wo der Plan
des Stückes gut ausgearbeitet, die Wörter aber nur bloß für die Musik geschrieben
sind und nicht hier und dort einem elenden Reime zu gefallen (die doch, bei
Gott, zum Wert einer theatralischen Vorstellung, es mag sein, was es wolle,
gar nichts beitragen, wohl aber eher Schaden bringen) Worte setzen oder ganze
Strophen, die des Komponisten seine ganze Idee verderben." Daß bei Mozart
die musikalischen Ideen weit weniger durch den sprachlichen Ausdruck als durch
die Gemütsbewegungen der handelnden Personen hervorgerufen' werden, daß
er aber bei engstem Anschluß an diese innere Beschaffenheit des Textes stets
darauf bedacht ist, die Grenzen seiner Kunst nicht zu überschreiten, zeigen uns
seine Mitteilungen über Osmins Arie "Solche hergelaufne Lassen": "Die
Uria habe ich dem Herrn Stephanie (dies war der Verfasser des Textes) ganz
angegeben, und die Hauptsache der Musik davon war schon fertig, ehe Stephanie
ein Wort davon wußte." Und wenige Zeilen später: "Das ,Drum beim
Barte des Propheten' ist zwar im nämlichen Tempo, aber mit geschwinden
Noten -- und da sein Zorn immer wächst, so muß, da man glaubt, die Arie
sei schon zu Ende, das ^.He^ro assai ganz in einem andern Zeitmaß und in
einem andern Ton (gleich Tonart) eben den besten Effekt machen: denn ein
Mensch, der sich in einem so heftigen Zorn befindet, überschreitet alle Ordnung,
Maß und Ziel; er kennt sich nicht, so muß sich auch die Musik nicht mehr
kennen. Weil aber die Leidenschaften, heftig oder nicht, niemalen bis zum
Ekel ausgedrückt sein müssen, und die Musik auch in der schaudervollsten Lage
das Ohr niemalen beleidigen, sondern doch dabei vergnügen muß. folglich allzeit
Musik bleiben muß, so habe ich keinen fremden Ton zum -- (zum Ton der
Uria) --, sondern einen befreundeten dazu, aber nicht den nächsten, v minor,
fondern den weiteren, ^ minor, gewählt." Ist das nicht ein Stück gesündester
Ästhetik? Man sehe sich nun einmal die höchst originelle Arie an mit ihrer
zweifachen Steigerung bei "Drum beim Barte" und bei "Erst gespießt und
dann gehangen", womit der in ^ moll stehende Schlußteil beginnt. Auch
über sein Verfahren bei der Komposition der Arie Belmonts "O wie ängstlich,
o wie feurig" legt Mozart Rechenschaft ab. Hier konnte er dem Text Schritt
für Schritt folgen, da dessen verschiedene Wendungen dem Musiker entgegen¬
kamen. Von Konstanzens Arie "Ach, ich liebte, war so glücklich" sagt er, er
habe sie ein wenig der geläufigen Gurgel der Mademoiselle Cavalieri aufge¬
opfert; "Trennung war mein banges Los, und nun schwimmt mein Aug' in
Tränen" habe er, "soviel es eine welsche Bravourarie zulasse, auszudrücken
gesucht". In der Tat hat die Arie nicht nur in den Koloraturen, sondern als
Ganzes italienisches Gepräge, und die angeführte Stelle hätte der Meister in
anderem Zusammenhang viel ergreifender verloren können. Bekanntlich ist auch
Konstanzens zweite Arie "Martern aller Arten", welche Mozart übrigens nicht
erwähnt, ein glänzendes Koloraiurstück. Aber hier kann wohl weniger von


Neue Bücher über Musik

wovon ich selbst ein Zeuge war? Weil da ganz die Musik herrscht und man
darüber alles vergißt. Um so mehr muß ja eine Opera gefallen, wo der Plan
des Stückes gut ausgearbeitet, die Wörter aber nur bloß für die Musik geschrieben
sind und nicht hier und dort einem elenden Reime zu gefallen (die doch, bei
Gott, zum Wert einer theatralischen Vorstellung, es mag sein, was es wolle,
gar nichts beitragen, wohl aber eher Schaden bringen) Worte setzen oder ganze
Strophen, die des Komponisten seine ganze Idee verderben." Daß bei Mozart
die musikalischen Ideen weit weniger durch den sprachlichen Ausdruck als durch
die Gemütsbewegungen der handelnden Personen hervorgerufen' werden, daß
er aber bei engstem Anschluß an diese innere Beschaffenheit des Textes stets
darauf bedacht ist, die Grenzen seiner Kunst nicht zu überschreiten, zeigen uns
seine Mitteilungen über Osmins Arie „Solche hergelaufne Lassen": „Die
Uria habe ich dem Herrn Stephanie (dies war der Verfasser des Textes) ganz
angegeben, und die Hauptsache der Musik davon war schon fertig, ehe Stephanie
ein Wort davon wußte." Und wenige Zeilen später: „Das ,Drum beim
Barte des Propheten' ist zwar im nämlichen Tempo, aber mit geschwinden
Noten — und da sein Zorn immer wächst, so muß, da man glaubt, die Arie
sei schon zu Ende, das ^.He^ro assai ganz in einem andern Zeitmaß und in
einem andern Ton (gleich Tonart) eben den besten Effekt machen: denn ein
Mensch, der sich in einem so heftigen Zorn befindet, überschreitet alle Ordnung,
Maß und Ziel; er kennt sich nicht, so muß sich auch die Musik nicht mehr
kennen. Weil aber die Leidenschaften, heftig oder nicht, niemalen bis zum
Ekel ausgedrückt sein müssen, und die Musik auch in der schaudervollsten Lage
das Ohr niemalen beleidigen, sondern doch dabei vergnügen muß. folglich allzeit
Musik bleiben muß, so habe ich keinen fremden Ton zum — (zum Ton der
Uria) —, sondern einen befreundeten dazu, aber nicht den nächsten, v minor,
fondern den weiteren, ^ minor, gewählt." Ist das nicht ein Stück gesündester
Ästhetik? Man sehe sich nun einmal die höchst originelle Arie an mit ihrer
zweifachen Steigerung bei „Drum beim Barte" und bei „Erst gespießt und
dann gehangen", womit der in ^ moll stehende Schlußteil beginnt. Auch
über sein Verfahren bei der Komposition der Arie Belmonts „O wie ängstlich,
o wie feurig" legt Mozart Rechenschaft ab. Hier konnte er dem Text Schritt
für Schritt folgen, da dessen verschiedene Wendungen dem Musiker entgegen¬
kamen. Von Konstanzens Arie „Ach, ich liebte, war so glücklich" sagt er, er
habe sie ein wenig der geläufigen Gurgel der Mademoiselle Cavalieri aufge¬
opfert; „Trennung war mein banges Los, und nun schwimmt mein Aug' in
Tränen" habe er, „soviel es eine welsche Bravourarie zulasse, auszudrücken
gesucht". In der Tat hat die Arie nicht nur in den Koloraturen, sondern als
Ganzes italienisches Gepräge, und die angeführte Stelle hätte der Meister in
anderem Zusammenhang viel ergreifender verloren können. Bekanntlich ist auch
Konstanzens zweite Arie „Martern aller Arten", welche Mozart übrigens nicht
erwähnt, ein glänzendes Koloraiurstück. Aber hier kann wohl weniger von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/298>, abgerufen am 04.07.2024.