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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Neue Bücher über Musik

etwa im Stile Glucks, schaffen können, wenn er in Paris einen Auftrag erhallen
hätte. Seine Bemühungen, in Leu französischen Stil einzudringen, von welchen
in den Briefen die Rede ist, sowie vieles im "Idomeneo" berechtigen zu dieser
Annahme.

Heute wissen wir, daß bei allem Anschluß an den durch Sprache und
Text vorgezeichneten Stil das Beste in Mozarts Opern, sowohl italienischen als
auch deutschen, sein persönlichstes Eigentum ist. Es ist interessant zu sehen,
daß dies schon die Zeitgenossen bemerkten und zwar bereits an dem 1780 für
München, aber auf einen italienischen Text geschriebenen "Idomeneo". der als
sein erstes Meisterwerk für die Bühne gilt. Mozart erzählt, wie sich der Tenorist
Raaff. ein älterer, bekannter und zweifellos tüchtiger Sänger, darüber beklagte,
daß in einem Quartett der Stimme zu wenig Gelegenheit zur Entfaltung ge¬
geben werde, und fügt bei: "Als wenn man in einem Quartetts nicht viel¬
mehr reden als singen sollte." Dann teilt er mit, was er Raaff zur Antwort
gab: "Ich habe mich (Sie) bei Ihren zwei Arien alle Mühe gegeben. Sie
recht zu bedienen -- werde es auch bei der dritten tun -- und hoffe, es zu¬
standezubringen: aber was Terzetten und Quartetten anbelangt, muß man dem
Compositeur seinen freien Willen lassen." Wir beobachten hier den Kampf
zwischen dem einseitig italienisch gebildeten Sänger, welcher verlangt, daß die
Kompositionen seinen persönlichen Fähigkeiten angepaßt werden, und einer auf
dramatische Belebtheit und folglich auf Unterordnung des einzelnen Sängers
unter das Ganze ausgehenden Richtung, welche Mozart von jetzt an mit immer
größerer Entschiedenheit vertrat. Sie bekundet sich vor allem in den Ensemble-
sützen, in welchen verschiedene Charaktere und verschiedene Interessen zusammen¬
stoßen, und deren Verpflanzung aus der Buffooper in die ernste Oper um
jene Zeit von mehreren Seiten her in Angriff genommen wurde, während
Gluck in erster Linie die dramatische Wahrheit des Einzelgesanges und der von
einer einheitlichen Stimmung beherrschten Chormassc erstrebte. Als Mozart
den "Idomeneo" einstudierte, gab ihm der Vater den Rat. jedes einzelne
Orchestermitglied durch Lobsprüche anzufeuern; denn "Ich kenne Deine Schreib¬
art; es gehört bei allen Instrumenten die unausgesetzte, erstaunlichste Aufmerk¬
samkeit dazu, und es ist eben kein Spaß, wenn das Orchester wenigstens drei
Stunden mit solchem Fleiß und Aufmerksamkeit angespannt sein muß." Leopold
Mozart erkannte also sehr wohl, daß sein Sohn die Orchesterbegleitung weit
reicher und lebendiger ausgestattete als seine italienischen Vorgänger.

Am ausführlichsten äußert sich Mozart über die Art seines Schaffens und
über die Grundsätze, die ihn dabei leiteten, während der Komposition der
"Entführung". Da finden wir den berühmt gewordenen, häufig zitierten Satz:
"Bei einer Opera muß schlechterdings die Poesie der Musik gehorsame Tochter
sein." Was damit gemeint ist, ergibt sich mit aller wünschenswerten Klarheit
aus dem Weiteren: "Warum gefallen denn die welschen komischen Opern
überall? Mit allem dem Elend, was das Buch anbelangt, sogar in Paris,


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etwa im Stile Glucks, schaffen können, wenn er in Paris einen Auftrag erhallen
hätte. Seine Bemühungen, in Leu französischen Stil einzudringen, von welchen
in den Briefen die Rede ist, sowie vieles im „Idomeneo" berechtigen zu dieser
Annahme.

Heute wissen wir, daß bei allem Anschluß an den durch Sprache und
Text vorgezeichneten Stil das Beste in Mozarts Opern, sowohl italienischen als
auch deutschen, sein persönlichstes Eigentum ist. Es ist interessant zu sehen,
daß dies schon die Zeitgenossen bemerkten und zwar bereits an dem 1780 für
München, aber auf einen italienischen Text geschriebenen „Idomeneo". der als
sein erstes Meisterwerk für die Bühne gilt. Mozart erzählt, wie sich der Tenorist
Raaff. ein älterer, bekannter und zweifellos tüchtiger Sänger, darüber beklagte,
daß in einem Quartett der Stimme zu wenig Gelegenheit zur Entfaltung ge¬
geben werde, und fügt bei: „Als wenn man in einem Quartetts nicht viel¬
mehr reden als singen sollte." Dann teilt er mit, was er Raaff zur Antwort
gab: „Ich habe mich (Sie) bei Ihren zwei Arien alle Mühe gegeben. Sie
recht zu bedienen — werde es auch bei der dritten tun — und hoffe, es zu¬
standezubringen: aber was Terzetten und Quartetten anbelangt, muß man dem
Compositeur seinen freien Willen lassen." Wir beobachten hier den Kampf
zwischen dem einseitig italienisch gebildeten Sänger, welcher verlangt, daß die
Kompositionen seinen persönlichen Fähigkeiten angepaßt werden, und einer auf
dramatische Belebtheit und folglich auf Unterordnung des einzelnen Sängers
unter das Ganze ausgehenden Richtung, welche Mozart von jetzt an mit immer
größerer Entschiedenheit vertrat. Sie bekundet sich vor allem in den Ensemble-
sützen, in welchen verschiedene Charaktere und verschiedene Interessen zusammen¬
stoßen, und deren Verpflanzung aus der Buffooper in die ernste Oper um
jene Zeit von mehreren Seiten her in Angriff genommen wurde, während
Gluck in erster Linie die dramatische Wahrheit des Einzelgesanges und der von
einer einheitlichen Stimmung beherrschten Chormassc erstrebte. Als Mozart
den „Idomeneo" einstudierte, gab ihm der Vater den Rat. jedes einzelne
Orchestermitglied durch Lobsprüche anzufeuern; denn „Ich kenne Deine Schreib¬
art; es gehört bei allen Instrumenten die unausgesetzte, erstaunlichste Aufmerk¬
samkeit dazu, und es ist eben kein Spaß, wenn das Orchester wenigstens drei
Stunden mit solchem Fleiß und Aufmerksamkeit angespannt sein muß." Leopold
Mozart erkannte also sehr wohl, daß sein Sohn die Orchesterbegleitung weit
reicher und lebendiger ausgestattete als seine italienischen Vorgänger.

Am ausführlichsten äußert sich Mozart über die Art seines Schaffens und
über die Grundsätze, die ihn dabei leiteten, während der Komposition der
„Entführung". Da finden wir den berühmt gewordenen, häufig zitierten Satz:
„Bei einer Opera muß schlechterdings die Poesie der Musik gehorsame Tochter
sein." Was damit gemeint ist, ergibt sich mit aller wünschenswerten Klarheit
aus dem Weiteren: „Warum gefallen denn die welschen komischen Opern
überall? Mit allem dem Elend, was das Buch anbelangt, sogar in Paris,


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[0297] Neue Bücher über Musik etwa im Stile Glucks, schaffen können, wenn er in Paris einen Auftrag erhallen hätte. Seine Bemühungen, in Leu französischen Stil einzudringen, von welchen in den Briefen die Rede ist, sowie vieles im „Idomeneo" berechtigen zu dieser Annahme. Heute wissen wir, daß bei allem Anschluß an den durch Sprache und Text vorgezeichneten Stil das Beste in Mozarts Opern, sowohl italienischen als auch deutschen, sein persönlichstes Eigentum ist. Es ist interessant zu sehen, daß dies schon die Zeitgenossen bemerkten und zwar bereits an dem 1780 für München, aber auf einen italienischen Text geschriebenen „Idomeneo". der als sein erstes Meisterwerk für die Bühne gilt. Mozart erzählt, wie sich der Tenorist Raaff. ein älterer, bekannter und zweifellos tüchtiger Sänger, darüber beklagte, daß in einem Quartett der Stimme zu wenig Gelegenheit zur Entfaltung ge¬ geben werde, und fügt bei: „Als wenn man in einem Quartetts nicht viel¬ mehr reden als singen sollte." Dann teilt er mit, was er Raaff zur Antwort gab: „Ich habe mich (Sie) bei Ihren zwei Arien alle Mühe gegeben. Sie recht zu bedienen — werde es auch bei der dritten tun — und hoffe, es zu¬ standezubringen: aber was Terzetten und Quartetten anbelangt, muß man dem Compositeur seinen freien Willen lassen." Wir beobachten hier den Kampf zwischen dem einseitig italienisch gebildeten Sänger, welcher verlangt, daß die Kompositionen seinen persönlichen Fähigkeiten angepaßt werden, und einer auf dramatische Belebtheit und folglich auf Unterordnung des einzelnen Sängers unter das Ganze ausgehenden Richtung, welche Mozart von jetzt an mit immer größerer Entschiedenheit vertrat. Sie bekundet sich vor allem in den Ensemble- sützen, in welchen verschiedene Charaktere und verschiedene Interessen zusammen¬ stoßen, und deren Verpflanzung aus der Buffooper in die ernste Oper um jene Zeit von mehreren Seiten her in Angriff genommen wurde, während Gluck in erster Linie die dramatische Wahrheit des Einzelgesanges und der von einer einheitlichen Stimmung beherrschten Chormassc erstrebte. Als Mozart den „Idomeneo" einstudierte, gab ihm der Vater den Rat. jedes einzelne Orchestermitglied durch Lobsprüche anzufeuern; denn „Ich kenne Deine Schreib¬ art; es gehört bei allen Instrumenten die unausgesetzte, erstaunlichste Aufmerk¬ samkeit dazu, und es ist eben kein Spaß, wenn das Orchester wenigstens drei Stunden mit solchem Fleiß und Aufmerksamkeit angespannt sein muß." Leopold Mozart erkannte also sehr wohl, daß sein Sohn die Orchesterbegleitung weit reicher und lebendiger ausgestattete als seine italienischen Vorgänger. Am ausführlichsten äußert sich Mozart über die Art seines Schaffens und über die Grundsätze, die ihn dabei leiteten, während der Komposition der „Entführung". Da finden wir den berühmt gewordenen, häufig zitierten Satz: „Bei einer Opera muß schlechterdings die Poesie der Musik gehorsame Tochter sein." Was damit gemeint ist, ergibt sich mit aller wünschenswerten Klarheit aus dem Weiteren: „Warum gefallen denn die welschen komischen Opern überall? Mit allem dem Elend, was das Buch anbelangt, sogar in Paris,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/297>, abgerufen am 04.07.2024.