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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das belgische Problem

zu einer ungeheuren Last für das im Kolonisteren ungeübte Mutterland werden
zu lassen, dessen Bewohnern es garnicht einfiel, sich in dem afrikanischen
Belgien ansässig zu machen-- ich glaube selbst zu wissen, sagte ich, daß damals
in den höchsten Kreisen der Regierung der eventuelle Verkauf des Kongo erwogen
wurde. Und zwar hätte man es Deutschland gegönnt, der Käufer zu sein, weil
man zu jener Zeit, nach dem Beispiele Leopolds des Zweiten, in Belgien noch
nicht gut auf England zu sprechen war. Leider war die Klausel des Vorkaufs¬
rechts für Frankreich nicht aus der Welt zu schaffen. Die sogenannte Kongo¬
presse machte auf Betreiben Frankreichs denn auch sofort gewaltigen Lärm und ver¬
langte, daß Belgien den Kongo selbst verwalte. Das geschah, und die klaffende
Wunde des jährlichen Kostenpunktes der Kolonie hat sich von Jahr zu Jahr
mehr geöffnet. Ich will damit sagen, daß die Wegnahme des Kongo durch
Deutschland heute als eine Art Kriegssteuerzahlung des unterlegenen Belgien
betrachtet und damit des Vorkaufsrecht Frankreichs auf die einfachste Weise aus
der Welt geschafft werden könnte. Damit hätte auch England für "sein" Afrika
den Lohn, den seine Anmaßungen daselbst verdienen.

Es ist der berechtigte, auch schon deutscherseits laut gewordene Wunsch,
daß Belgien unter keinen Umständen seine augenblickliche Gestaltung behalten
dürfte, was auch, wie betont, nicht geschehen laeni. Es ist verständlich, daß
man das schwer erkämpfte Lüttich, das uns gleichsam zum siegreichen Fanat
für einen glücklichen Feldzug wurde, nicht wieder herausgeben möchte. Wirt¬
schaftlich ist die Lütticher Provinz von hoher Bedeutung, auch hat sie unmittel¬
baren Anschluß an den rheinischen Jndustriebezirk. Militärisch würde Lüttich
in unseren Händen zu einem uneinnehmbaren Bollwerk gegen Frankreich werden
und die gesamten Ardennen bis Glock und Sedan hinunter beherrschen. Ferner
würde für uns ausschlaggebend sein, was mit Antwerpen geschehen soll. Endlich
sei man soweit, ohne es gewollt oder herbeigeführt zu haben, so meint man
allgemein, daß der deutsche Fleiß, dem der Scheidehafen seine Blüte verdankt,
durch die völlige Einverleibung desselben in das Deutsche Reich seinen gerechten
Lohn findet. Es wäre ja zweifellos, daß Antwerpen unter deutscher Verwaltung
bald der größte europäische Handelshafen werden würde, der es schon jetzt wäre,
hätten die belgischen innerpolitischen Streitigkeiten seine Entwicklung nicht auf¬
gehalten. Alles das wäre sehr schön und einfach zu lösen. Man könnte
Belgien die Küste mit Antwerpen und Lüttich nehmen, ihm als mehr oder
weniger einzige Lebensquelle die Kohlenbezirke lassen, es gegen Nordfrankreich,
soweit dort noch vlämische Elemente sitzen, vorstoßen und es als Pufferstaat
sein Leben fristen lassen. Es ist aber auf der anderen Seite nicht zu vergessen,
daß an Belgiens Grenzen Holland und Luxemburg sitzen. Beide Staaten haben
uns, trotzdem sie uns offenkundig nicht lieben, ihre Neutralitätstreue bewahrt.
Holland besonders hat materiell durch die Beobachtung seiner Neutralität und
das Piratentum Englands großen Schaden erlitten, den es aus Prozeß "und
Repressalienwege" gegen England nie vergütet erhalten wird. Ehe man


Grenzboten IV 1914 S
Das belgische Problem

zu einer ungeheuren Last für das im Kolonisteren ungeübte Mutterland werden
zu lassen, dessen Bewohnern es garnicht einfiel, sich in dem afrikanischen
Belgien ansässig zu machen— ich glaube selbst zu wissen, sagte ich, daß damals
in den höchsten Kreisen der Regierung der eventuelle Verkauf des Kongo erwogen
wurde. Und zwar hätte man es Deutschland gegönnt, der Käufer zu sein, weil
man zu jener Zeit, nach dem Beispiele Leopolds des Zweiten, in Belgien noch
nicht gut auf England zu sprechen war. Leider war die Klausel des Vorkaufs¬
rechts für Frankreich nicht aus der Welt zu schaffen. Die sogenannte Kongo¬
presse machte auf Betreiben Frankreichs denn auch sofort gewaltigen Lärm und ver¬
langte, daß Belgien den Kongo selbst verwalte. Das geschah, und die klaffende
Wunde des jährlichen Kostenpunktes der Kolonie hat sich von Jahr zu Jahr
mehr geöffnet. Ich will damit sagen, daß die Wegnahme des Kongo durch
Deutschland heute als eine Art Kriegssteuerzahlung des unterlegenen Belgien
betrachtet und damit des Vorkaufsrecht Frankreichs auf die einfachste Weise aus
der Welt geschafft werden könnte. Damit hätte auch England für „sein" Afrika
den Lohn, den seine Anmaßungen daselbst verdienen.

Es ist der berechtigte, auch schon deutscherseits laut gewordene Wunsch,
daß Belgien unter keinen Umständen seine augenblickliche Gestaltung behalten
dürfte, was auch, wie betont, nicht geschehen laeni. Es ist verständlich, daß
man das schwer erkämpfte Lüttich, das uns gleichsam zum siegreichen Fanat
für einen glücklichen Feldzug wurde, nicht wieder herausgeben möchte. Wirt¬
schaftlich ist die Lütticher Provinz von hoher Bedeutung, auch hat sie unmittel¬
baren Anschluß an den rheinischen Jndustriebezirk. Militärisch würde Lüttich
in unseren Händen zu einem uneinnehmbaren Bollwerk gegen Frankreich werden
und die gesamten Ardennen bis Glock und Sedan hinunter beherrschen. Ferner
würde für uns ausschlaggebend sein, was mit Antwerpen geschehen soll. Endlich
sei man soweit, ohne es gewollt oder herbeigeführt zu haben, so meint man
allgemein, daß der deutsche Fleiß, dem der Scheidehafen seine Blüte verdankt,
durch die völlige Einverleibung desselben in das Deutsche Reich seinen gerechten
Lohn findet. Es wäre ja zweifellos, daß Antwerpen unter deutscher Verwaltung
bald der größte europäische Handelshafen werden würde, der es schon jetzt wäre,
hätten die belgischen innerpolitischen Streitigkeiten seine Entwicklung nicht auf¬
gehalten. Alles das wäre sehr schön und einfach zu lösen. Man könnte
Belgien die Küste mit Antwerpen und Lüttich nehmen, ihm als mehr oder
weniger einzige Lebensquelle die Kohlenbezirke lassen, es gegen Nordfrankreich,
soweit dort noch vlämische Elemente sitzen, vorstoßen und es als Pufferstaat
sein Leben fristen lassen. Es ist aber auf der anderen Seite nicht zu vergessen,
daß an Belgiens Grenzen Holland und Luxemburg sitzen. Beide Staaten haben
uns, trotzdem sie uns offenkundig nicht lieben, ihre Neutralitätstreue bewahrt.
Holland besonders hat materiell durch die Beobachtung seiner Neutralität und
das Piratentum Englands großen Schaden erlitten, den es aus Prozeß „und
Repressalienwege" gegen England nie vergütet erhalten wird. Ehe man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/29>, abgerufen am 30.06.2024.