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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das belgische Problem

Belgien für England in das Gewicht --, und daß wir ihn in Zukunft dort
nicht mehr zwischen unseren Füßen finden dürfen.

Es ist die Forderung aufgestellt worden, man müßte radikal vorgehen
und Belgien einfach als Reichsland in das Deutsche Reich einverleiben.
Gleichsam als Strafe für seinen Neutralitätsbruch. In diesem Falle
würden voraussichtlich viele unbequeme Elemente es vorziehen, nach Frankreich
und England auszuwandern, was der Verdeutschung des Landes sehr zu statten
käme. Ich bin selbst fest überzeugt, daß die Zurückbleibenden, sowohl Wallonen
wie Vlamen, sich sehr bald in die deutsche Organisation. Disziplin und Zivili¬
sation fügen würden, namentlich sobald sie sähen, daß ihr Verdienst, der durch
das deutsche Währnngssnstem ohnehin um 20 Prozent steigen würde, höher
sein würde, als er heute lst. Allerdings käme für diese neuen Unter¬
tanen ein Umstand in Betracht, vor dem ihnen belgischerseits schon immer Angst
gemacht worden war: die Steuerfrage, die ja bisher in Belgien für den Haus¬
halt verhältnismäßig wenig in Frage kam. Weiter wäre zu bedenken, daß
in Belgien so gut wie gar kein Platz mehr ist für neue Kolonisten; diese aber
müßten doch, und nicht zu wenig, dorthin gezogen werden, um eine gute Rassen-
mischung für uns hervorzubringen. Belgien ist bekanntlich das am dichtesten
bevölkerte Land Europas, denn es entfallen auf den Quadratkilometer ungefähr
zweihundertzweiundfünfzig Einwohner. Am dichtesten sitzen sie in den Jndustrie-
und Kohlengrubenbezirken, und es ist nicht zu erwarten, daß hier die wirtschaft¬
liche Ausbeutung unier deutschem Regiment noch einträglicher betrieben werden
könnte. Dagegen bin ich der festen Überzeugung, daß in Belgien landwirtschaftlich,
sowohl auf dem Hochplateau der Ardennen, wie in den flandrischen und
Antwerpener Ebenen und Kempen, Boden und Viehzucht viel straffer und
moderner in die Hand genommen werden könnten. Ich habe bereits auf die
Wichtigkeit Antwerpens und der Küste hingewiesen. Was uns aber vor allem
bei einer bedingungslosen Auflösung des Königreichs Belgiens zufiele, wäre
jenes ungeheure afrikanische Kongoreich. Nähme man zugleich Frankreich
Marokko ab. so hätte man endlich, wenn auch mit teurem Blute erkauft, jene
afrikanische Zentralkolonie an drei Meeren, die wir schon längst hätten haben
sollen, um Englands Macht in Afrika zu brechen. Wir gebrauchen dieses
schwarze Reich für unser neues Deutschland. Schrieb nicht auch der Staats¬
sekretär Dr. Sols erst dieser Tage, er hege schon jetzt vom Standpunkte seines
Ressorts den Wunsch, daß die Friedenspalme für ein größeres Deutschland
zuerst in Afrika gepflanzt werden möchte. Dieser Wunsch scheint mir demnach
bereits ein Wille zu sein, eine unumgängliche Notwendigkeit für das deutsche
Weltreich.

Nun kann aber auch die Kongofrage, unabhängig vom Fortbestehen
Belgiens als selbständiger Staat, gelöst werden. Ich glaube selbst zu wissen,
daß in den ersten Jahren nach dem Tode Leopolds des Zweiten, als man
nicht ein und aus wußte, was im Kongo beginnen, um die Kolonie nicht


Das belgische Problem

Belgien für England in das Gewicht —, und daß wir ihn in Zukunft dort
nicht mehr zwischen unseren Füßen finden dürfen.

Es ist die Forderung aufgestellt worden, man müßte radikal vorgehen
und Belgien einfach als Reichsland in das Deutsche Reich einverleiben.
Gleichsam als Strafe für seinen Neutralitätsbruch. In diesem Falle
würden voraussichtlich viele unbequeme Elemente es vorziehen, nach Frankreich
und England auszuwandern, was der Verdeutschung des Landes sehr zu statten
käme. Ich bin selbst fest überzeugt, daß die Zurückbleibenden, sowohl Wallonen
wie Vlamen, sich sehr bald in die deutsche Organisation. Disziplin und Zivili¬
sation fügen würden, namentlich sobald sie sähen, daß ihr Verdienst, der durch
das deutsche Währnngssnstem ohnehin um 20 Prozent steigen würde, höher
sein würde, als er heute lst. Allerdings käme für diese neuen Unter¬
tanen ein Umstand in Betracht, vor dem ihnen belgischerseits schon immer Angst
gemacht worden war: die Steuerfrage, die ja bisher in Belgien für den Haus¬
halt verhältnismäßig wenig in Frage kam. Weiter wäre zu bedenken, daß
in Belgien so gut wie gar kein Platz mehr ist für neue Kolonisten; diese aber
müßten doch, und nicht zu wenig, dorthin gezogen werden, um eine gute Rassen-
mischung für uns hervorzubringen. Belgien ist bekanntlich das am dichtesten
bevölkerte Land Europas, denn es entfallen auf den Quadratkilometer ungefähr
zweihundertzweiundfünfzig Einwohner. Am dichtesten sitzen sie in den Jndustrie-
und Kohlengrubenbezirken, und es ist nicht zu erwarten, daß hier die wirtschaft¬
liche Ausbeutung unier deutschem Regiment noch einträglicher betrieben werden
könnte. Dagegen bin ich der festen Überzeugung, daß in Belgien landwirtschaftlich,
sowohl auf dem Hochplateau der Ardennen, wie in den flandrischen und
Antwerpener Ebenen und Kempen, Boden und Viehzucht viel straffer und
moderner in die Hand genommen werden könnten. Ich habe bereits auf die
Wichtigkeit Antwerpens und der Küste hingewiesen. Was uns aber vor allem
bei einer bedingungslosen Auflösung des Königreichs Belgiens zufiele, wäre
jenes ungeheure afrikanische Kongoreich. Nähme man zugleich Frankreich
Marokko ab. so hätte man endlich, wenn auch mit teurem Blute erkauft, jene
afrikanische Zentralkolonie an drei Meeren, die wir schon längst hätten haben
sollen, um Englands Macht in Afrika zu brechen. Wir gebrauchen dieses
schwarze Reich für unser neues Deutschland. Schrieb nicht auch der Staats¬
sekretär Dr. Sols erst dieser Tage, er hege schon jetzt vom Standpunkte seines
Ressorts den Wunsch, daß die Friedenspalme für ein größeres Deutschland
zuerst in Afrika gepflanzt werden möchte. Dieser Wunsch scheint mir demnach
bereits ein Wille zu sein, eine unumgängliche Notwendigkeit für das deutsche
Weltreich.

Nun kann aber auch die Kongofrage, unabhängig vom Fortbestehen
Belgiens als selbständiger Staat, gelöst werden. Ich glaube selbst zu wissen,
daß in den ersten Jahren nach dem Tode Leopolds des Zweiten, als man
nicht ein und aus wußte, was im Kongo beginnen, um die Kolonie nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/28>, abgerufen am 30.06.2024.