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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Fürsten auf fremden und Ausländer auf deutschen Thronen

sondern auch alle Mitglieder des landesherrlichen Hauses reichsunmittelbar, also
der landesherrlichen Gesetzgebung gar nicht unterworfen waren. Das alte
Reich griff unausgesetzt durch Eventualbelehnungen, Ächtungen, Bestätigung
oder versagte Bestätigung von Familienverträgen und Erbverbrüderungen in
das einzelstaatliche Thronfolgerecht ein. Innerhalb des Einzelstaates war der
Landesherr für jede Änderung des Erbrechts an Land und Leuten auf freie
Verständigung mit seinen Söhnen, Brüdern und Vettern angewiesen. Ein
Landesgesetz konnte damals jedenfalls nicht agnatische Rechte auf die Erbfolge
vernichten.

Solche Jahrhunderte hindurch eingewurzelte Rechtsvorstellungen wirken
auch noch fort, nachdem ihr innerer Grund fortgefallen ist. Heutzutage sind
Land und Leute kein ererbtes Familiengut mehr, sondern der Monarch ist Träger
der Staatspersönlichkeit, die sich vermöge der Thronfolge innerhalb seiner
Familie forterbt. Mit Auflösung des alten Reiches haben auch die Angehörigen
der landesherrlichen Familie ihre frühere Neichsunmittelbarkeit verloren und sind
Staatsangehörige geworden. Alle die Gründe, die früher für die Unentziehbarkeit
agnatischen Thronfolgerechtes gegen den Willen der Agnaten sprachen, sind also
fortgefallen.

Allerdings beruht das Thronfolgerecht nicht auf den Verfassungsurkunden,
aber es ist durch die Verfassungsurkunden gesetzlich geregelt. Die Verfassungs-
urkundeu geben aber den einzigen Weg an, auf dem sie geändert werden können,
nämlich durch Landesgesetz in den besonderen Formen der Verfassungsänderung.
Eine Zustimmung der Mitglieder des landesherrlichen Hauses war weder zum
Erlasse der Verfassungsurkunden erforderlich, noch bedarf es solcher zu ihrer
Änderung. Der Verfassungsbruch König Ernst Augusts von Hannover von
1837, der sich an die von seinem Vorgänger erlassene Verfassung nicht gebunden
erachtete, weil er ihr als Agnat nicht zugestimmt hatte, und weil er nach patri-
monialer Anschauung in einer Verfassung eine Verschlechterung des Familien¬
gutes sah. erregte schon damals die tiefste Entrüstung der öffentlichen Meinung
und war eben ein Staatsstreich.

Der moderne Staat hat religiöse, sittliche, physische Grenzen seiner Macht.
Rechtlich ist er, in den verfassungsmäßigen Formen handelnd, unbeschränkt und
unbeschränkbar. So kann er aus Gründen des öffentlichen Wohles auch wohl¬
erworbene Rechte vernichten. Denn noch immer gilt der Satz des alten Natur¬
rechtes: Z^IuZ publlLg, suprema Isx s8to.

Freilich soll der Staat sich gerade bei Änderung des Thronfolgerechtes,
einer der wichtigsten Grundlagen des staatlichen Organismus, die größte Zurück¬
haltung auferlegen und nicht leichtfertig einer Strömung der Tagesmeinung
zuliebe am Bestehenden rütteln. Aber wenn jedes andere wohl erworbene
Recht dem öffentlichen Wohle weichen maß, so braucht die Souveränität der
Verfassungsgesetzgebung auch vor aguatischem Thronfolgerechte nicht Halt zu
machen. Und welcher Grund des öffentlichen Wohles könnte wohl mehr ins


Deutsche Fürsten auf fremden und Ausländer auf deutschen Thronen

sondern auch alle Mitglieder des landesherrlichen Hauses reichsunmittelbar, also
der landesherrlichen Gesetzgebung gar nicht unterworfen waren. Das alte
Reich griff unausgesetzt durch Eventualbelehnungen, Ächtungen, Bestätigung
oder versagte Bestätigung von Familienverträgen und Erbverbrüderungen in
das einzelstaatliche Thronfolgerecht ein. Innerhalb des Einzelstaates war der
Landesherr für jede Änderung des Erbrechts an Land und Leuten auf freie
Verständigung mit seinen Söhnen, Brüdern und Vettern angewiesen. Ein
Landesgesetz konnte damals jedenfalls nicht agnatische Rechte auf die Erbfolge
vernichten.

Solche Jahrhunderte hindurch eingewurzelte Rechtsvorstellungen wirken
auch noch fort, nachdem ihr innerer Grund fortgefallen ist. Heutzutage sind
Land und Leute kein ererbtes Familiengut mehr, sondern der Monarch ist Träger
der Staatspersönlichkeit, die sich vermöge der Thronfolge innerhalb seiner
Familie forterbt. Mit Auflösung des alten Reiches haben auch die Angehörigen
der landesherrlichen Familie ihre frühere Neichsunmittelbarkeit verloren und sind
Staatsangehörige geworden. Alle die Gründe, die früher für die Unentziehbarkeit
agnatischen Thronfolgerechtes gegen den Willen der Agnaten sprachen, sind also
fortgefallen.

Allerdings beruht das Thronfolgerecht nicht auf den Verfassungsurkunden,
aber es ist durch die Verfassungsurkunden gesetzlich geregelt. Die Verfassungs-
urkundeu geben aber den einzigen Weg an, auf dem sie geändert werden können,
nämlich durch Landesgesetz in den besonderen Formen der Verfassungsänderung.
Eine Zustimmung der Mitglieder des landesherrlichen Hauses war weder zum
Erlasse der Verfassungsurkunden erforderlich, noch bedarf es solcher zu ihrer
Änderung. Der Verfassungsbruch König Ernst Augusts von Hannover von
1837, der sich an die von seinem Vorgänger erlassene Verfassung nicht gebunden
erachtete, weil er ihr als Agnat nicht zugestimmt hatte, und weil er nach patri-
monialer Anschauung in einer Verfassung eine Verschlechterung des Familien¬
gutes sah. erregte schon damals die tiefste Entrüstung der öffentlichen Meinung
und war eben ein Staatsstreich.

Der moderne Staat hat religiöse, sittliche, physische Grenzen seiner Macht.
Rechtlich ist er, in den verfassungsmäßigen Formen handelnd, unbeschränkt und
unbeschränkbar. So kann er aus Gründen des öffentlichen Wohles auch wohl¬
erworbene Rechte vernichten. Denn noch immer gilt der Satz des alten Natur¬
rechtes: Z^IuZ publlLg, suprema Isx s8to.

Freilich soll der Staat sich gerade bei Änderung des Thronfolgerechtes,
einer der wichtigsten Grundlagen des staatlichen Organismus, die größte Zurück¬
haltung auferlegen und nicht leichtfertig einer Strömung der Tagesmeinung
zuliebe am Bestehenden rütteln. Aber wenn jedes andere wohl erworbene
Recht dem öffentlichen Wohle weichen maß, so braucht die Souveränität der
Verfassungsgesetzgebung auch vor aguatischem Thronfolgerechte nicht Halt zu
machen. Und welcher Grund des öffentlichen Wohles könnte wohl mehr ins


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[0289] Deutsche Fürsten auf fremden und Ausländer auf deutschen Thronen sondern auch alle Mitglieder des landesherrlichen Hauses reichsunmittelbar, also der landesherrlichen Gesetzgebung gar nicht unterworfen waren. Das alte Reich griff unausgesetzt durch Eventualbelehnungen, Ächtungen, Bestätigung oder versagte Bestätigung von Familienverträgen und Erbverbrüderungen in das einzelstaatliche Thronfolgerecht ein. Innerhalb des Einzelstaates war der Landesherr für jede Änderung des Erbrechts an Land und Leuten auf freie Verständigung mit seinen Söhnen, Brüdern und Vettern angewiesen. Ein Landesgesetz konnte damals jedenfalls nicht agnatische Rechte auf die Erbfolge vernichten. Solche Jahrhunderte hindurch eingewurzelte Rechtsvorstellungen wirken auch noch fort, nachdem ihr innerer Grund fortgefallen ist. Heutzutage sind Land und Leute kein ererbtes Familiengut mehr, sondern der Monarch ist Träger der Staatspersönlichkeit, die sich vermöge der Thronfolge innerhalb seiner Familie forterbt. Mit Auflösung des alten Reiches haben auch die Angehörigen der landesherrlichen Familie ihre frühere Neichsunmittelbarkeit verloren und sind Staatsangehörige geworden. Alle die Gründe, die früher für die Unentziehbarkeit agnatischen Thronfolgerechtes gegen den Willen der Agnaten sprachen, sind also fortgefallen. Allerdings beruht das Thronfolgerecht nicht auf den Verfassungsurkunden, aber es ist durch die Verfassungsurkunden gesetzlich geregelt. Die Verfassungs- urkundeu geben aber den einzigen Weg an, auf dem sie geändert werden können, nämlich durch Landesgesetz in den besonderen Formen der Verfassungsänderung. Eine Zustimmung der Mitglieder des landesherrlichen Hauses war weder zum Erlasse der Verfassungsurkunden erforderlich, noch bedarf es solcher zu ihrer Änderung. Der Verfassungsbruch König Ernst Augusts von Hannover von 1837, der sich an die von seinem Vorgänger erlassene Verfassung nicht gebunden erachtete, weil er ihr als Agnat nicht zugestimmt hatte, und weil er nach patri- monialer Anschauung in einer Verfassung eine Verschlechterung des Familien¬ gutes sah. erregte schon damals die tiefste Entrüstung der öffentlichen Meinung und war eben ein Staatsstreich. Der moderne Staat hat religiöse, sittliche, physische Grenzen seiner Macht. Rechtlich ist er, in den verfassungsmäßigen Formen handelnd, unbeschränkt und unbeschränkbar. So kann er aus Gründen des öffentlichen Wohles auch wohl¬ erworbene Rechte vernichten. Denn noch immer gilt der Satz des alten Natur¬ rechtes: Z^IuZ publlLg, suprema Isx s8to. Freilich soll der Staat sich gerade bei Änderung des Thronfolgerechtes, einer der wichtigsten Grundlagen des staatlichen Organismus, die größte Zurück¬ haltung auferlegen und nicht leichtfertig einer Strömung der Tagesmeinung zuliebe am Bestehenden rütteln. Aber wenn jedes andere wohl erworbene Recht dem öffentlichen Wohle weichen maß, so braucht die Souveränität der Verfassungsgesetzgebung auch vor aguatischem Thronfolgerechte nicht Halt zu machen. Und welcher Grund des öffentlichen Wohles könnte wohl mehr ins

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/289>, abgerufen am 02.07.2024.