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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Fürsten auf fremden und Ausländer auf deutschen Thronen

Als unsere Freundschaft zu England noch in der Maienblüte stand und
der Herzog von Edinburg zur Regierung in Sachsen-Koburg-Gotha berufen
wurde, tauchten schon Vorschläge auf, man solle durch ein Neichsgesetz alle
fremden Prinzen von deutschen Thronen ausschließen. Diese Bestrebungen
werden sich jetzt in verstärktem Maße wiederholen. Denn in der Tat wäre es
ein für das deutsche Volksbewußtsein unerträglicher Zustand, Nüssen, Engländer
und Belgier auf deutschen Thronen zu sehen.

Ein Neichsgesetz würde den gordischen Knoten auf einmal durchhauen.
Allerdings ist dabei eine Schwierigkeit. Das Reich ist dazu nicht zuständig.
Die Regelung des Thronfolgerechtes ist allein Sache des Einzelstaates. Allein
das Reich kann nach Artikel 78 der Reichsverfassung jederzeit seine Zuständig¬
keit erweitern, wenn im Bundesrate nicht 14 Stimmen dagegen sind. Doch
eine Ausdehnung der Zuständigkeit des Reiches auf einzelstaatliches Thronfolge¬
recht würde berechtigte Empfindungen der deutschen Dynastien verletzen. Und
solange der Einzelstaat in dieser Hinsicht seine Pflicht erfüllt, liegt in der
Tat zu einem Eingreifen des Reiches kein Grund vor.

Schon bisher ist es ja dem Einzelstaate gelungen, die Gefahr ferner zu
rücken. Aber sie muß ganz beseitigt werden.

Demgegenüber spielt das Legitimitätsprinzip oder das göttliche Recht der
Monarchie keine Rolle. Unsere deutschen Landesherren nennen sich "von Gottes
Gnaden". Das bedeutet nicht eine besondere göttliche Einsetzung der Monarchie.
Denn jede Obrigkeit ist nach den Worten des Apostels Paulus von Gott ver¬
ordnet. Der Zusatz bedeutet nur die Unabhängigkeit der Monarchie von jeder
höheren irdischen Gewalt im Gegensatz zu den Staaten der Volkssouveränität,
wo der Monarch ein solcher nicht nur "von Gottes Gnaden", sondern auch
"durch den Willen der Nation" ist. Von dem verblendeten Gottesgnadentum
der Stuarts und Bourbonen, die allen geschichtlichen Tatsachen zum Trotze auf
ihr göttliches Recht pochten, haben sich auch die deutschen Landesherren im
wesentlichen stets freigehalten und ihre Stellung im Sinne des ersten branden¬
burgischen Hohenzollern aufgefaßt als die "von Gottes schlichtem Amtmann an
dem Fürstentume". Und wie alle und jede Obrigkeit von Gott verordnet ist,
so beruht nie und nimmer eine bestimmte Thronfolge, wonach etwa gar Aus¬
länder auf deutschen Fürstenthronen zugelassen werden müßten, auf göttlicher
Offenbarung. Ein solches göttliches Recht gibt es nicht.

Viel stärker als das Legitimitätsprinzip sprach von jeher in Deutschland
gegen die Unentziehbarkeit des agnatischen Rechtes die patrimonialstaatliche
Auffassung von Land und Leuten als eines ererbten Familiengutes, das nach
den Grundsätzen des Privatrechtes beurteilt wurde. Wie bei einem privaten
Familienfideikommisse galt die landesherrliche Familie gewissermaßen als Ober¬
eigentümerin, der derzeitige Landesherr als Nutznießer und Vertreter seines
Hauses. Der Landesherr durfte in die Erbrechte seiner Agnaten um so weniger
eingreifen, als nach den Grundsätzen des alten Reiches nicht nur der Landesherr,


Deutsche Fürsten auf fremden und Ausländer auf deutschen Thronen

Als unsere Freundschaft zu England noch in der Maienblüte stand und
der Herzog von Edinburg zur Regierung in Sachsen-Koburg-Gotha berufen
wurde, tauchten schon Vorschläge auf, man solle durch ein Neichsgesetz alle
fremden Prinzen von deutschen Thronen ausschließen. Diese Bestrebungen
werden sich jetzt in verstärktem Maße wiederholen. Denn in der Tat wäre es
ein für das deutsche Volksbewußtsein unerträglicher Zustand, Nüssen, Engländer
und Belgier auf deutschen Thronen zu sehen.

Ein Neichsgesetz würde den gordischen Knoten auf einmal durchhauen.
Allerdings ist dabei eine Schwierigkeit. Das Reich ist dazu nicht zuständig.
Die Regelung des Thronfolgerechtes ist allein Sache des Einzelstaates. Allein
das Reich kann nach Artikel 78 der Reichsverfassung jederzeit seine Zuständig¬
keit erweitern, wenn im Bundesrate nicht 14 Stimmen dagegen sind. Doch
eine Ausdehnung der Zuständigkeit des Reiches auf einzelstaatliches Thronfolge¬
recht würde berechtigte Empfindungen der deutschen Dynastien verletzen. Und
solange der Einzelstaat in dieser Hinsicht seine Pflicht erfüllt, liegt in der
Tat zu einem Eingreifen des Reiches kein Grund vor.

Schon bisher ist es ja dem Einzelstaate gelungen, die Gefahr ferner zu
rücken. Aber sie muß ganz beseitigt werden.

Demgegenüber spielt das Legitimitätsprinzip oder das göttliche Recht der
Monarchie keine Rolle. Unsere deutschen Landesherren nennen sich „von Gottes
Gnaden". Das bedeutet nicht eine besondere göttliche Einsetzung der Monarchie.
Denn jede Obrigkeit ist nach den Worten des Apostels Paulus von Gott ver¬
ordnet. Der Zusatz bedeutet nur die Unabhängigkeit der Monarchie von jeder
höheren irdischen Gewalt im Gegensatz zu den Staaten der Volkssouveränität,
wo der Monarch ein solcher nicht nur „von Gottes Gnaden", sondern auch
„durch den Willen der Nation" ist. Von dem verblendeten Gottesgnadentum
der Stuarts und Bourbonen, die allen geschichtlichen Tatsachen zum Trotze auf
ihr göttliches Recht pochten, haben sich auch die deutschen Landesherren im
wesentlichen stets freigehalten und ihre Stellung im Sinne des ersten branden¬
burgischen Hohenzollern aufgefaßt als die „von Gottes schlichtem Amtmann an
dem Fürstentume". Und wie alle und jede Obrigkeit von Gott verordnet ist,
so beruht nie und nimmer eine bestimmte Thronfolge, wonach etwa gar Aus¬
länder auf deutschen Fürstenthronen zugelassen werden müßten, auf göttlicher
Offenbarung. Ein solches göttliches Recht gibt es nicht.

Viel stärker als das Legitimitätsprinzip sprach von jeher in Deutschland
gegen die Unentziehbarkeit des agnatischen Rechtes die patrimonialstaatliche
Auffassung von Land und Leuten als eines ererbten Familiengutes, das nach
den Grundsätzen des Privatrechtes beurteilt wurde. Wie bei einem privaten
Familienfideikommisse galt die landesherrliche Familie gewissermaßen als Ober¬
eigentümerin, der derzeitige Landesherr als Nutznießer und Vertreter seines
Hauses. Der Landesherr durfte in die Erbrechte seiner Agnaten um so weniger
eingreifen, als nach den Grundsätzen des alten Reiches nicht nur der Landesherr,


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[0288] Deutsche Fürsten auf fremden und Ausländer auf deutschen Thronen Als unsere Freundschaft zu England noch in der Maienblüte stand und der Herzog von Edinburg zur Regierung in Sachsen-Koburg-Gotha berufen wurde, tauchten schon Vorschläge auf, man solle durch ein Neichsgesetz alle fremden Prinzen von deutschen Thronen ausschließen. Diese Bestrebungen werden sich jetzt in verstärktem Maße wiederholen. Denn in der Tat wäre es ein für das deutsche Volksbewußtsein unerträglicher Zustand, Nüssen, Engländer und Belgier auf deutschen Thronen zu sehen. Ein Neichsgesetz würde den gordischen Knoten auf einmal durchhauen. Allerdings ist dabei eine Schwierigkeit. Das Reich ist dazu nicht zuständig. Die Regelung des Thronfolgerechtes ist allein Sache des Einzelstaates. Allein das Reich kann nach Artikel 78 der Reichsverfassung jederzeit seine Zuständig¬ keit erweitern, wenn im Bundesrate nicht 14 Stimmen dagegen sind. Doch eine Ausdehnung der Zuständigkeit des Reiches auf einzelstaatliches Thronfolge¬ recht würde berechtigte Empfindungen der deutschen Dynastien verletzen. Und solange der Einzelstaat in dieser Hinsicht seine Pflicht erfüllt, liegt in der Tat zu einem Eingreifen des Reiches kein Grund vor. Schon bisher ist es ja dem Einzelstaate gelungen, die Gefahr ferner zu rücken. Aber sie muß ganz beseitigt werden. Demgegenüber spielt das Legitimitätsprinzip oder das göttliche Recht der Monarchie keine Rolle. Unsere deutschen Landesherren nennen sich „von Gottes Gnaden". Das bedeutet nicht eine besondere göttliche Einsetzung der Monarchie. Denn jede Obrigkeit ist nach den Worten des Apostels Paulus von Gott ver¬ ordnet. Der Zusatz bedeutet nur die Unabhängigkeit der Monarchie von jeder höheren irdischen Gewalt im Gegensatz zu den Staaten der Volkssouveränität, wo der Monarch ein solcher nicht nur „von Gottes Gnaden", sondern auch „durch den Willen der Nation" ist. Von dem verblendeten Gottesgnadentum der Stuarts und Bourbonen, die allen geschichtlichen Tatsachen zum Trotze auf ihr göttliches Recht pochten, haben sich auch die deutschen Landesherren im wesentlichen stets freigehalten und ihre Stellung im Sinne des ersten branden¬ burgischen Hohenzollern aufgefaßt als die „von Gottes schlichtem Amtmann an dem Fürstentume". Und wie alle und jede Obrigkeit von Gott verordnet ist, so beruht nie und nimmer eine bestimmte Thronfolge, wonach etwa gar Aus¬ länder auf deutschen Fürstenthronen zugelassen werden müßten, auf göttlicher Offenbarung. Ein solches göttliches Recht gibt es nicht. Viel stärker als das Legitimitätsprinzip sprach von jeher in Deutschland gegen die Unentziehbarkeit des agnatischen Rechtes die patrimonialstaatliche Auffassung von Land und Leuten als eines ererbten Familiengutes, das nach den Grundsätzen des Privatrechtes beurteilt wurde. Wie bei einem privaten Familienfideikommisse galt die landesherrliche Familie gewissermaßen als Ober¬ eigentümerin, der derzeitige Landesherr als Nutznießer und Vertreter seines Hauses. Der Landesherr durfte in die Erbrechte seiner Agnaten um so weniger eingreifen, als nach den Grundsätzen des alten Reiches nicht nur der Landesherr,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/288>, abgerufen am 04.07.2024.