Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Fürsten auf fremden und Ausländer auf deutschen Thronen

völlig entfremdet, wenn nicht feindlich sind, zur Thronfolge in einem deutschen
Einzelstaate berufen werden. Nicht nur das patriotische Empfinden des deutschen
Volkes wird dadurch auf das äußerste verletzt -- es ist mehr als bloße
Gefühlssache. Da die Staatsgewalt des Reiches in der Gesamtheit seiner
Fürsten und freien Städte ruht, und diese Gesamtheit ihr vornehmstes Organ
in dem Bundesrate hat, kann die Teilnahme von Ausländern an der Reichs¬
staatsgewalt zu einer unmittelbaren politischen Schädigung der Reichsinteressen
führen.

So besteht das großherzogliche Haus Oldenburg, die jüngste Linie des Gesamt¬
hauses, nur noch aus drei männnlichen Mitgliedern, dem Großherzoge, seinem unver¬
heirateten Bruder und dem minderjährigen Erbgroßherzoge, wozu noch einige
entfernte kinderlose Verwandte in Se. Petersburg kommen. Bei einem Aussterben
des Hauses, dessen Zukunft also nur noch auf dem Erbgroßherzoge beruht,
wäre das russische Kaiserhaus thronfolgeberechtigt. Der Zar als Großherzog
von Oldenburg könnte dann das Großherzogtum wie Finnland durch einen
russischen General regieren lassen, und dicht hinter dem Jadebusen säßen die
Russen. Und selbst wenn der Zar sich ausschließlich für Rußland als Väterchen
erhielt und Oldenburg einen Nikolai Nikolajewitsch und seiner montenegrinischen
Gattin als Landesvater und Landesmutter überließe, wäre die Sache nicht viel
gebessert. Glücklicherweise hat der Zar im Jahre 1903 für sich und alle
Großfürsten zugunsten der herzoglichen Linie Holstein-Glücksburg verzichtet, die
dann 1905 auch durch oldenburgisches Verfassungsgesetz berufen wurde, aber
freilich für sich und das russische Kaiserhaus alle Rechte vorbehalten, wenn auch
Holstein-Glücksburg fortfallen sollte. Damit ist die Gefahr wenigstens in weite
Ferne gerückt.

Ein anderer derart gefährdeter Bundesstaat ist Sachsen - Koburg - Gotha.
Nach dem kinderlosen Absterben Herzog Ernst des Zweiten folgte infolge Verzichts
des damaligen Fürsten von Wales, späteren Königs Eduard des Siebenten, des
letzteren Bruder, der Herzog von Edinburg, und ihm wieder sein Neffe, der
Herzog von Albany. Während der Herzog von Edinburg nur Engländer war,
steht der neue Herzog wenigstens durchaus auf national deutschem Boden und
fühlt sich nur als Deutscher. Mit seinen zwei jungen Söhnen ist wieder eine
rein deutsche Dynastie Koburg begründet. In der Tat würde es heute für das
deutsche Volksbewußtsein unerträglich sein, wenn wieder wie nach dem Tode
Herzog Ernst des Zweiten ein reiner Engländer auf den Thron des thüringischen
Staates berufen werden sollte, oder nun gar Belgier, Portugiesen oder Bulgaren,
die der großen Mehrheit der Bevölkerung auch konfessionell fern stehen. Gewiß
ist die Gefahr auch hier in weitere Ferne gerückt. Aber beseitigt ist sie damit
keineswegs.

Daß gerade die Dynastien von Rußland, England und Belgien Ansprüche
auf deutsche Throne haben, läßt alle Bedenken des Legitimitätsprinzips ver¬
schwinden.


18*
Deutsche Fürsten auf fremden und Ausländer auf deutschen Thronen

völlig entfremdet, wenn nicht feindlich sind, zur Thronfolge in einem deutschen
Einzelstaate berufen werden. Nicht nur das patriotische Empfinden des deutschen
Volkes wird dadurch auf das äußerste verletzt — es ist mehr als bloße
Gefühlssache. Da die Staatsgewalt des Reiches in der Gesamtheit seiner
Fürsten und freien Städte ruht, und diese Gesamtheit ihr vornehmstes Organ
in dem Bundesrate hat, kann die Teilnahme von Ausländern an der Reichs¬
staatsgewalt zu einer unmittelbaren politischen Schädigung der Reichsinteressen
führen.

So besteht das großherzogliche Haus Oldenburg, die jüngste Linie des Gesamt¬
hauses, nur noch aus drei männnlichen Mitgliedern, dem Großherzoge, seinem unver¬
heirateten Bruder und dem minderjährigen Erbgroßherzoge, wozu noch einige
entfernte kinderlose Verwandte in Se. Petersburg kommen. Bei einem Aussterben
des Hauses, dessen Zukunft also nur noch auf dem Erbgroßherzoge beruht,
wäre das russische Kaiserhaus thronfolgeberechtigt. Der Zar als Großherzog
von Oldenburg könnte dann das Großherzogtum wie Finnland durch einen
russischen General regieren lassen, und dicht hinter dem Jadebusen säßen die
Russen. Und selbst wenn der Zar sich ausschließlich für Rußland als Väterchen
erhielt und Oldenburg einen Nikolai Nikolajewitsch und seiner montenegrinischen
Gattin als Landesvater und Landesmutter überließe, wäre die Sache nicht viel
gebessert. Glücklicherweise hat der Zar im Jahre 1903 für sich und alle
Großfürsten zugunsten der herzoglichen Linie Holstein-Glücksburg verzichtet, die
dann 1905 auch durch oldenburgisches Verfassungsgesetz berufen wurde, aber
freilich für sich und das russische Kaiserhaus alle Rechte vorbehalten, wenn auch
Holstein-Glücksburg fortfallen sollte. Damit ist die Gefahr wenigstens in weite
Ferne gerückt.

Ein anderer derart gefährdeter Bundesstaat ist Sachsen - Koburg - Gotha.
Nach dem kinderlosen Absterben Herzog Ernst des Zweiten folgte infolge Verzichts
des damaligen Fürsten von Wales, späteren Königs Eduard des Siebenten, des
letzteren Bruder, der Herzog von Edinburg, und ihm wieder sein Neffe, der
Herzog von Albany. Während der Herzog von Edinburg nur Engländer war,
steht der neue Herzog wenigstens durchaus auf national deutschem Boden und
fühlt sich nur als Deutscher. Mit seinen zwei jungen Söhnen ist wieder eine
rein deutsche Dynastie Koburg begründet. In der Tat würde es heute für das
deutsche Volksbewußtsein unerträglich sein, wenn wieder wie nach dem Tode
Herzog Ernst des Zweiten ein reiner Engländer auf den Thron des thüringischen
Staates berufen werden sollte, oder nun gar Belgier, Portugiesen oder Bulgaren,
die der großen Mehrheit der Bevölkerung auch konfessionell fern stehen. Gewiß
ist die Gefahr auch hier in weitere Ferne gerückt. Aber beseitigt ist sie damit
keineswegs.

Daß gerade die Dynastien von Rußland, England und Belgien Ansprüche
auf deutsche Throne haben, läßt alle Bedenken des Legitimitätsprinzips ver¬
schwinden.


18*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329515"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsche Fürsten auf fremden und Ausländer auf deutschen Thronen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1004" prev="#ID_1003"> völlig entfremdet, wenn nicht feindlich sind, zur Thronfolge in einem deutschen<lb/>
Einzelstaate berufen werden. Nicht nur das patriotische Empfinden des deutschen<lb/>
Volkes wird dadurch auf das äußerste verletzt &#x2014; es ist mehr als bloße<lb/>
Gefühlssache. Da die Staatsgewalt des Reiches in der Gesamtheit seiner<lb/>
Fürsten und freien Städte ruht, und diese Gesamtheit ihr vornehmstes Organ<lb/>
in dem Bundesrate hat, kann die Teilnahme von Ausländern an der Reichs¬<lb/>
staatsgewalt zu einer unmittelbaren politischen Schädigung der Reichsinteressen<lb/>
führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1005"> So besteht das großherzogliche Haus Oldenburg, die jüngste Linie des Gesamt¬<lb/>
hauses, nur noch aus drei männnlichen Mitgliedern, dem Großherzoge, seinem unver¬<lb/>
heirateten Bruder und dem minderjährigen Erbgroßherzoge, wozu noch einige<lb/>
entfernte kinderlose Verwandte in Se. Petersburg kommen. Bei einem Aussterben<lb/>
des Hauses, dessen Zukunft also nur noch auf dem Erbgroßherzoge beruht,<lb/>
wäre das russische Kaiserhaus thronfolgeberechtigt. Der Zar als Großherzog<lb/>
von Oldenburg könnte dann das Großherzogtum wie Finnland durch einen<lb/>
russischen General regieren lassen, und dicht hinter dem Jadebusen säßen die<lb/>
Russen. Und selbst wenn der Zar sich ausschließlich für Rußland als Väterchen<lb/>
erhielt und Oldenburg einen Nikolai Nikolajewitsch und seiner montenegrinischen<lb/>
Gattin als Landesvater und Landesmutter überließe, wäre die Sache nicht viel<lb/>
gebessert. Glücklicherweise hat der Zar im Jahre 1903 für sich und alle<lb/>
Großfürsten zugunsten der herzoglichen Linie Holstein-Glücksburg verzichtet, die<lb/>
dann 1905 auch durch oldenburgisches Verfassungsgesetz berufen wurde, aber<lb/>
freilich für sich und das russische Kaiserhaus alle Rechte vorbehalten, wenn auch<lb/>
Holstein-Glücksburg fortfallen sollte. Damit ist die Gefahr wenigstens in weite<lb/>
Ferne gerückt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1006"> Ein anderer derart gefährdeter Bundesstaat ist Sachsen - Koburg - Gotha.<lb/>
Nach dem kinderlosen Absterben Herzog Ernst des Zweiten folgte infolge Verzichts<lb/>
des damaligen Fürsten von Wales, späteren Königs Eduard des Siebenten, des<lb/>
letzteren Bruder, der Herzog von Edinburg, und ihm wieder sein Neffe, der<lb/>
Herzog von Albany. Während der Herzog von Edinburg nur Engländer war,<lb/>
steht der neue Herzog wenigstens durchaus auf national deutschem Boden und<lb/>
fühlt sich nur als Deutscher. Mit seinen zwei jungen Söhnen ist wieder eine<lb/>
rein deutsche Dynastie Koburg begründet. In der Tat würde es heute für das<lb/>
deutsche Volksbewußtsein unerträglich sein, wenn wieder wie nach dem Tode<lb/>
Herzog Ernst des Zweiten ein reiner Engländer auf den Thron des thüringischen<lb/>
Staates berufen werden sollte, oder nun gar Belgier, Portugiesen oder Bulgaren,<lb/>
die der großen Mehrheit der Bevölkerung auch konfessionell fern stehen. Gewiß<lb/>
ist die Gefahr auch hier in weitere Ferne gerückt. Aber beseitigt ist sie damit<lb/>
keineswegs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1007"> Daß gerade die Dynastien von Rußland, England und Belgien Ansprüche<lb/>
auf deutsche Throne haben, läßt alle Bedenken des Legitimitätsprinzips ver¬<lb/>
schwinden.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 18*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] Deutsche Fürsten auf fremden und Ausländer auf deutschen Thronen völlig entfremdet, wenn nicht feindlich sind, zur Thronfolge in einem deutschen Einzelstaate berufen werden. Nicht nur das patriotische Empfinden des deutschen Volkes wird dadurch auf das äußerste verletzt — es ist mehr als bloße Gefühlssache. Da die Staatsgewalt des Reiches in der Gesamtheit seiner Fürsten und freien Städte ruht, und diese Gesamtheit ihr vornehmstes Organ in dem Bundesrate hat, kann die Teilnahme von Ausländern an der Reichs¬ staatsgewalt zu einer unmittelbaren politischen Schädigung der Reichsinteressen führen. So besteht das großherzogliche Haus Oldenburg, die jüngste Linie des Gesamt¬ hauses, nur noch aus drei männnlichen Mitgliedern, dem Großherzoge, seinem unver¬ heirateten Bruder und dem minderjährigen Erbgroßherzoge, wozu noch einige entfernte kinderlose Verwandte in Se. Petersburg kommen. Bei einem Aussterben des Hauses, dessen Zukunft also nur noch auf dem Erbgroßherzoge beruht, wäre das russische Kaiserhaus thronfolgeberechtigt. Der Zar als Großherzog von Oldenburg könnte dann das Großherzogtum wie Finnland durch einen russischen General regieren lassen, und dicht hinter dem Jadebusen säßen die Russen. Und selbst wenn der Zar sich ausschließlich für Rußland als Väterchen erhielt und Oldenburg einen Nikolai Nikolajewitsch und seiner montenegrinischen Gattin als Landesvater und Landesmutter überließe, wäre die Sache nicht viel gebessert. Glücklicherweise hat der Zar im Jahre 1903 für sich und alle Großfürsten zugunsten der herzoglichen Linie Holstein-Glücksburg verzichtet, die dann 1905 auch durch oldenburgisches Verfassungsgesetz berufen wurde, aber freilich für sich und das russische Kaiserhaus alle Rechte vorbehalten, wenn auch Holstein-Glücksburg fortfallen sollte. Damit ist die Gefahr wenigstens in weite Ferne gerückt. Ein anderer derart gefährdeter Bundesstaat ist Sachsen - Koburg - Gotha. Nach dem kinderlosen Absterben Herzog Ernst des Zweiten folgte infolge Verzichts des damaligen Fürsten von Wales, späteren Königs Eduard des Siebenten, des letzteren Bruder, der Herzog von Edinburg, und ihm wieder sein Neffe, der Herzog von Albany. Während der Herzog von Edinburg nur Engländer war, steht der neue Herzog wenigstens durchaus auf national deutschem Boden und fühlt sich nur als Deutscher. Mit seinen zwei jungen Söhnen ist wieder eine rein deutsche Dynastie Koburg begründet. In der Tat würde es heute für das deutsche Volksbewußtsein unerträglich sein, wenn wieder wie nach dem Tode Herzog Ernst des Zweiten ein reiner Engländer auf den Thron des thüringischen Staates berufen werden sollte, oder nun gar Belgier, Portugiesen oder Bulgaren, die der großen Mehrheit der Bevölkerung auch konfessionell fern stehen. Gewiß ist die Gefahr auch hier in weitere Ferne gerückt. Aber beseitigt ist sie damit keineswegs. Daß gerade die Dynastien von Rußland, England und Belgien Ansprüche auf deutsche Throne haben, läßt alle Bedenken des Legitimitätsprinzips ver¬ schwinden. 18*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/287>, abgerufen am 02.07.2024.