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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das belgische Problem

feuerwerk war der belgische Patriotismus jetzt auf der ganzen Linie festgelegt
und geknebelt worden. Nun konnten die deutschen Neutralitätsbrecher
kommen I Sie sollten keinen Abfall, kein Zaudern im belgischen Lager mehr
finden!----

So beschaffen war das Belgien bis zum Augenblick des Beginns des
Krieges. Ein, von außen betrachtet, scheinbar glückliches Land, im Innern
aber von sozialen Zersetzungen bedroht, deren äußerste Folgen nur durch den
hoch entwickelten Wohlstand noch hintenangehalten worden waren. Dieser Wohl¬
stand ist, wie offen herausgesagt werden muß, nicht nur durch Spekulation,
nationale Arbeit und die Ausbeutung vorhandener natürlicher Bodenschätze
herbeigeführt worden, sondern zum großen Teile erst durch die Einwanderung
deutscher und auch englischer Elemente, wie es denn auch wiederholt festgestellt
worden ist, daß viele hervorragende industrielle und wissenschaftliche
Eingeborene Belgiens väterlicherseits aus Deutschland stammen. Durch
die inneren Verhältnisse hat nun der Krieg einen Riß gemacht, der die früheren
Gegensätze und Voraussetzungen durchaus aufgehoben und vernichtet hat.
Belgien kann überhaupt nie mehr das sein, was es war, gleichviel wie sein zu¬
künftiges Staatswesen beschaffen sein wird. Es wäre vermessen, und auch
keiner unserer Staatslenker wird bereits daran gedacht haben, Absichten und
Pläne einer Neugestaltung zu entwickeln. Ein Problem, das, sozusagen, noch
nicht gegeben oder nur insofern gegeben ist, als die inneren Verhältnisse
Belgiens bereits immer problematischer wurden und auch ohne Krieg bald zur
Lösung gedrängt hätten, kann folgerichtig auch nicht gelöst werden. Es kann
nur diese und jene spätere Neuordnung der Dinge in Belgien als möglich und
wünschenswert bezeichnet werden. Und da häufen sich schon jetzt die Schwierig¬
keiten, vor die man in der Stunde der diplomatischen Entscheidungen gestellt
sein wird. So oder so, eines wird man deutscherseits in keinem Augenblick
außer acht lassen dürfen, nämlich, daß Belgien für uns einen unvergleichlichen
Wirtschaftlichen Faktor im europäischen Westen bedeutet, dessen Ausbeutung
uns bisher nicht genügend zugute kam, obwohl unsere Arbeit ihm zum großen
Teile zu seiner jetzigen Bedeutung verholfen hatte, und daß dessen Ertragsfähigkeit
unter einem zielbewußter Regiment verdreifacht werden kann. Die
Belgier, die z. B. einen wunderbaren Hafen und eine fast siebzig Kilo¬
meter lange Meeresküste besitzen, waren trotz aller Anstrengungen Leopolds des
Zweiten und des jetzigen Albert nie zu bewegen gewesen, eine nationale
Handelsflotte auf den Kiel zu bringen. Deutschland und England nahmen
über fünfundsiebzig Prozent des Gesamtverkehrs im Antwerpener Hafen für sich
in Anspruch. Wir haben also bei der politischen Neugestaltung der europäischen
Landkarte zu bedenken, daß der Belgier die natürlichen Reichtümer seines
Landes nicht genügend ausnutzte, daß wir in England einen sehr
interessierten und gefährlichen Nebenbuhler im Kampfe um den wirtschaftlichen
Vorrang in Belgien hatten -- auch dieser Umstand fiel bei der Allianz mit


Das belgische Problem

feuerwerk war der belgische Patriotismus jetzt auf der ganzen Linie festgelegt
und geknebelt worden. Nun konnten die deutschen Neutralitätsbrecher
kommen I Sie sollten keinen Abfall, kein Zaudern im belgischen Lager mehr
finden!--—

So beschaffen war das Belgien bis zum Augenblick des Beginns des
Krieges. Ein, von außen betrachtet, scheinbar glückliches Land, im Innern
aber von sozialen Zersetzungen bedroht, deren äußerste Folgen nur durch den
hoch entwickelten Wohlstand noch hintenangehalten worden waren. Dieser Wohl¬
stand ist, wie offen herausgesagt werden muß, nicht nur durch Spekulation,
nationale Arbeit und die Ausbeutung vorhandener natürlicher Bodenschätze
herbeigeführt worden, sondern zum großen Teile erst durch die Einwanderung
deutscher und auch englischer Elemente, wie es denn auch wiederholt festgestellt
worden ist, daß viele hervorragende industrielle und wissenschaftliche
Eingeborene Belgiens väterlicherseits aus Deutschland stammen. Durch
die inneren Verhältnisse hat nun der Krieg einen Riß gemacht, der die früheren
Gegensätze und Voraussetzungen durchaus aufgehoben und vernichtet hat.
Belgien kann überhaupt nie mehr das sein, was es war, gleichviel wie sein zu¬
künftiges Staatswesen beschaffen sein wird. Es wäre vermessen, und auch
keiner unserer Staatslenker wird bereits daran gedacht haben, Absichten und
Pläne einer Neugestaltung zu entwickeln. Ein Problem, das, sozusagen, noch
nicht gegeben oder nur insofern gegeben ist, als die inneren Verhältnisse
Belgiens bereits immer problematischer wurden und auch ohne Krieg bald zur
Lösung gedrängt hätten, kann folgerichtig auch nicht gelöst werden. Es kann
nur diese und jene spätere Neuordnung der Dinge in Belgien als möglich und
wünschenswert bezeichnet werden. Und da häufen sich schon jetzt die Schwierig¬
keiten, vor die man in der Stunde der diplomatischen Entscheidungen gestellt
sein wird. So oder so, eines wird man deutscherseits in keinem Augenblick
außer acht lassen dürfen, nämlich, daß Belgien für uns einen unvergleichlichen
Wirtschaftlichen Faktor im europäischen Westen bedeutet, dessen Ausbeutung
uns bisher nicht genügend zugute kam, obwohl unsere Arbeit ihm zum großen
Teile zu seiner jetzigen Bedeutung verholfen hatte, und daß dessen Ertragsfähigkeit
unter einem zielbewußter Regiment verdreifacht werden kann. Die
Belgier, die z. B. einen wunderbaren Hafen und eine fast siebzig Kilo¬
meter lange Meeresküste besitzen, waren trotz aller Anstrengungen Leopolds des
Zweiten und des jetzigen Albert nie zu bewegen gewesen, eine nationale
Handelsflotte auf den Kiel zu bringen. Deutschland und England nahmen
über fünfundsiebzig Prozent des Gesamtverkehrs im Antwerpener Hafen für sich
in Anspruch. Wir haben also bei der politischen Neugestaltung der europäischen
Landkarte zu bedenken, daß der Belgier die natürlichen Reichtümer seines
Landes nicht genügend ausnutzte, daß wir in England einen sehr
interessierten und gefährlichen Nebenbuhler im Kampfe um den wirtschaftlichen
Vorrang in Belgien hatten — auch dieser Umstand fiel bei der Allianz mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/27>, abgerufen am 30.06.2024.