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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Lthik und Politik

anderen der Gelüste an, die sie selbst hatten. Der Deutsche neigt gar nicht
dazu, andere zu vergewaltigen, wie man ihm andichtet, sondern liebt den Frieden
und bedarf zur Entfesselung des luror teutonieu8 eines moralisch gerechtfertigten
Anlasses, den ihm der klar geplante Überfall von rechts und links diesmal
reichlich gab. Das alles scheint mir klar und es mag vielen überflüssig scheinen,
es zu betonen; dennoch fehlt es nicht an entgegengesetzten Stimmen, die diesen
Krieg einfach als Machtfrage fassen und unter dem Zeichen des Amoralismus
Nietzsche zum Propheten dieser Zeiten und Erzieher zur Betätigung des "Willens
zur Macht" proklamieren. Dann hat sich also die "blonde Bestie" erhoben,
um sich durchzusetzen und die Kruppschen Kanonen sind nicht eine wichtige
Waffe, sondern das einzig beachtenswerte in diesen Zeiten.

Vor mir liegt ein Artikel "Wider die moralische Sentimentalität bei diesem
Kriege" und ein anderer mit folgenden Nietzsche-Zitaten: "Ihr sollt den Frieden
lieben als Mittel zu neuen Kriegen" und "Der gute Krieg ist es, der die Sache
heiligt." Nun sind diese Sätze zwar das Gegenteil von geistreich und einfache
Umdrehungen bekannter Gedanken. Nach diesem Rezept kann man alle Schrift¬
worte und Aphorismen auf den Kopf stellen und damit momentan verblüffen,
etwa: die Kanonen sind das erste Beweismittel der Könige; oder: wenn du
den Krieg willst, so bereite dich zum Frieden usw. ohne Ende. Allein die
Tendenz dieser Auslassungen, denen ich durch Zitierung nicht zu unverdienter
Verbreitung zu verhelfen gedenke, ist klar; man hat sich am Amoralismus
berauscht und will nun die ethischen Seiten unseres "gerechten" Krieges weg¬
demonstrieren.

Dann freilich hätte die Ethik einfach ihr Haupt zu verhüllen und zu warten,
bis das Gewitter vorüber ist; und sie dürfte sich auch von den Folgen einer
solchen reinen Kraftprobe gar nichts für ihre Ziele versprechen. Wiederum aber
hoffen viele und wohl die Besten unter uns gerade das: im Innern eine ethische
Läuterung unseres eigenen Volkes aus teilweiser Verflachung und Versumpfung;
nach außen die Wirkung des Beispiels etwa auf neutrale Völker, die teilweise
schon Tatsache ist. Denn die Stimmen von.Amerikanern, Schweden, Schweizern
usw., die uns bewundern und ihrer Hochachtung lauten Ausdruck gaben, sind
ehrlich, weil ohne Nutzen für die Betreffenden. Endlich gedenken wir doch, etwa
in eroberten Ländern, unsere Kultur zu verbreiten, die wir gerade ethisch höher
bewerten, als romanische und slawische; wir glauben an unsere -- wiederum
ethische -- Mission, wenn auch bescheidener als in Geibels Gedanken, die Welt
solle an unserm Wesen genesen; das alles wäre eitel Torheit, sobald an dem
Kriege nichts ist als eine große Rauferei. Dann wäre es sür die Ethik auch
völlig gleichgültig wer siegt; wenn wir uns nicht ethisch höher dünken, warum soll
dann nicht ebensogut der Russe oder Engländer die Welt beherrschen? Da es
mit dem Gleichgewicht in Europa endgültig vorbei ist, so muß einer der stärkste
sein und den Ton angeben; warum gerade wir, wenn wir an Stelle der
unerträglichen englischen Tyrannei und Anmaßung nur eine völlig gleichartige


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Lthik und Politik

anderen der Gelüste an, die sie selbst hatten. Der Deutsche neigt gar nicht
dazu, andere zu vergewaltigen, wie man ihm andichtet, sondern liebt den Frieden
und bedarf zur Entfesselung des luror teutonieu8 eines moralisch gerechtfertigten
Anlasses, den ihm der klar geplante Überfall von rechts und links diesmal
reichlich gab. Das alles scheint mir klar und es mag vielen überflüssig scheinen,
es zu betonen; dennoch fehlt es nicht an entgegengesetzten Stimmen, die diesen
Krieg einfach als Machtfrage fassen und unter dem Zeichen des Amoralismus
Nietzsche zum Propheten dieser Zeiten und Erzieher zur Betätigung des „Willens
zur Macht" proklamieren. Dann hat sich also die „blonde Bestie" erhoben,
um sich durchzusetzen und die Kruppschen Kanonen sind nicht eine wichtige
Waffe, sondern das einzig beachtenswerte in diesen Zeiten.

Vor mir liegt ein Artikel „Wider die moralische Sentimentalität bei diesem
Kriege" und ein anderer mit folgenden Nietzsche-Zitaten: „Ihr sollt den Frieden
lieben als Mittel zu neuen Kriegen" und „Der gute Krieg ist es, der die Sache
heiligt." Nun sind diese Sätze zwar das Gegenteil von geistreich und einfache
Umdrehungen bekannter Gedanken. Nach diesem Rezept kann man alle Schrift¬
worte und Aphorismen auf den Kopf stellen und damit momentan verblüffen,
etwa: die Kanonen sind das erste Beweismittel der Könige; oder: wenn du
den Krieg willst, so bereite dich zum Frieden usw. ohne Ende. Allein die
Tendenz dieser Auslassungen, denen ich durch Zitierung nicht zu unverdienter
Verbreitung zu verhelfen gedenke, ist klar; man hat sich am Amoralismus
berauscht und will nun die ethischen Seiten unseres „gerechten" Krieges weg¬
demonstrieren.

Dann freilich hätte die Ethik einfach ihr Haupt zu verhüllen und zu warten,
bis das Gewitter vorüber ist; und sie dürfte sich auch von den Folgen einer
solchen reinen Kraftprobe gar nichts für ihre Ziele versprechen. Wiederum aber
hoffen viele und wohl die Besten unter uns gerade das: im Innern eine ethische
Läuterung unseres eigenen Volkes aus teilweiser Verflachung und Versumpfung;
nach außen die Wirkung des Beispiels etwa auf neutrale Völker, die teilweise
schon Tatsache ist. Denn die Stimmen von.Amerikanern, Schweden, Schweizern
usw., die uns bewundern und ihrer Hochachtung lauten Ausdruck gaben, sind
ehrlich, weil ohne Nutzen für die Betreffenden. Endlich gedenken wir doch, etwa
in eroberten Ländern, unsere Kultur zu verbreiten, die wir gerade ethisch höher
bewerten, als romanische und slawische; wir glauben an unsere — wiederum
ethische — Mission, wenn auch bescheidener als in Geibels Gedanken, die Welt
solle an unserm Wesen genesen; das alles wäre eitel Torheit, sobald an dem
Kriege nichts ist als eine große Rauferei. Dann wäre es sür die Ethik auch
völlig gleichgültig wer siegt; wenn wir uns nicht ethisch höher dünken, warum soll
dann nicht ebensogut der Russe oder Engländer die Welt beherrschen? Da es
mit dem Gleichgewicht in Europa endgültig vorbei ist, so muß einer der stärkste
sein und den Ton angeben; warum gerade wir, wenn wir an Stelle der
unerträglichen englischen Tyrannei und Anmaßung nur eine völlig gleichartige


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[0271] Lthik und Politik anderen der Gelüste an, die sie selbst hatten. Der Deutsche neigt gar nicht dazu, andere zu vergewaltigen, wie man ihm andichtet, sondern liebt den Frieden und bedarf zur Entfesselung des luror teutonieu8 eines moralisch gerechtfertigten Anlasses, den ihm der klar geplante Überfall von rechts und links diesmal reichlich gab. Das alles scheint mir klar und es mag vielen überflüssig scheinen, es zu betonen; dennoch fehlt es nicht an entgegengesetzten Stimmen, die diesen Krieg einfach als Machtfrage fassen und unter dem Zeichen des Amoralismus Nietzsche zum Propheten dieser Zeiten und Erzieher zur Betätigung des „Willens zur Macht" proklamieren. Dann hat sich also die „blonde Bestie" erhoben, um sich durchzusetzen und die Kruppschen Kanonen sind nicht eine wichtige Waffe, sondern das einzig beachtenswerte in diesen Zeiten. Vor mir liegt ein Artikel „Wider die moralische Sentimentalität bei diesem Kriege" und ein anderer mit folgenden Nietzsche-Zitaten: „Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen" und „Der gute Krieg ist es, der die Sache heiligt." Nun sind diese Sätze zwar das Gegenteil von geistreich und einfache Umdrehungen bekannter Gedanken. Nach diesem Rezept kann man alle Schrift¬ worte und Aphorismen auf den Kopf stellen und damit momentan verblüffen, etwa: die Kanonen sind das erste Beweismittel der Könige; oder: wenn du den Krieg willst, so bereite dich zum Frieden usw. ohne Ende. Allein die Tendenz dieser Auslassungen, denen ich durch Zitierung nicht zu unverdienter Verbreitung zu verhelfen gedenke, ist klar; man hat sich am Amoralismus berauscht und will nun die ethischen Seiten unseres „gerechten" Krieges weg¬ demonstrieren. Dann freilich hätte die Ethik einfach ihr Haupt zu verhüllen und zu warten, bis das Gewitter vorüber ist; und sie dürfte sich auch von den Folgen einer solchen reinen Kraftprobe gar nichts für ihre Ziele versprechen. Wiederum aber hoffen viele und wohl die Besten unter uns gerade das: im Innern eine ethische Läuterung unseres eigenen Volkes aus teilweiser Verflachung und Versumpfung; nach außen die Wirkung des Beispiels etwa auf neutrale Völker, die teilweise schon Tatsache ist. Denn die Stimmen von.Amerikanern, Schweden, Schweizern usw., die uns bewundern und ihrer Hochachtung lauten Ausdruck gaben, sind ehrlich, weil ohne Nutzen für die Betreffenden. Endlich gedenken wir doch, etwa in eroberten Ländern, unsere Kultur zu verbreiten, die wir gerade ethisch höher bewerten, als romanische und slawische; wir glauben an unsere — wiederum ethische — Mission, wenn auch bescheidener als in Geibels Gedanken, die Welt solle an unserm Wesen genesen; das alles wäre eitel Torheit, sobald an dem Kriege nichts ist als eine große Rauferei. Dann wäre es sür die Ethik auch völlig gleichgültig wer siegt; wenn wir uns nicht ethisch höher dünken, warum soll dann nicht ebensogut der Russe oder Engländer die Welt beherrschen? Da es mit dem Gleichgewicht in Europa endgültig vorbei ist, so muß einer der stärkste sein und den Ton angeben; warum gerade wir, wenn wir an Stelle der unerträglichen englischen Tyrannei und Anmaßung nur eine völlig gleichartige 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/271>, abgerufen am 02.07.2024.