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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Ethik und Politik

deutsche zu setzen hätten? Aber nein, so denken wir nicht; wenn wir ehrlich
sind, glauben wir uns nicht nur im Besitz besserer Geschütze, sondern halten
uns auch für ethisch wertvoller, und nur dann Hai es einen Sinn und darf man
es wagen zu sagen: "Gott mit uns."

An der ethischen Stellungnahme hängt also auch die Entscheidung über die
ganze Qualität dieses größten Krieges der Weltgeschichte; und ich kann die
Hoffnung nicht lassen, die Mehrzahl meiner Volksgenossen möge jenen Sirenen¬
klängen ihr Ohr verschließen, die uns das Tiefste und Beste an diesem Furcht¬
baren, was wir erleben, eben die moralische Bedeutung, bestreiten und in reine
Machtfragen umlügen wollen. Wir begehren die Macht, jawohl, weil wir sie
wert sind, sie zu verdienen glauben und seinerzeit im Frieden zu beweisen
gedenken, daß wir das erste Kulturvolk der Welt sind; aber das ist Macht
mit Pflicht, Anspruch mit Ethos dahinter, und in diesem Sinne singen
wir auch: "Deutschland über alles in der Welt", was kein Tyrannengelüst
bedeutet.

Nun aber die verletzte Neutralität Belgiens, die manchem feinen Kopf im
In- und Ausland noch immer zu schaffen macht? Dafür nur ein Beispiel aus
einer Moralkasuistik. Ein Förster trifft im Wald einen Wilderer und sieht, daß
dieser auf ihn anlegt. Soll er wirklich warten, bis jener zuerst schießt und
dann im Sterben konstatieren, er sei völlig im Recht gewesen, in der Notwehr
zu schießen, habe aber leider keine Zeit mehr gehabt? Nein, Notwehr ist auch,
wenn man aus zweifellosen Anzeichen erkennt, daß einem Lebensgefahr droht;,
und daß wir wußten, daß die belgische Tür unseren Feinden offen stand, das
steht fest. Ebenso, daß uns ein Einfall von dort her ans Leben ging, weil er
schutzloses Land traf, keinen Festungsgürtel, wie wir ihn drüben fanden. Also
auch hier braucht sich der deutsche Ethiker nicht zu schämen.

Andere Ereignisse aber gibt es, auf die er stolz sein darf und, wenn auch
in gewohnter Bescheidenheit, ein wenig triumphieren. So kommt es uns doch
jetzt erst voll zum Bewußtsein, was es bedeuten will, daß unser Kaiser fünf¬
undzwanzig Jahre lang Frieden gehalten hat. Er kannte wie keiner im Land
die ungeheuren in unserer Armee schlummernden Kräfte; er kannte auch die
Reserve an Truppenführern, die Hindenburg und Kluck, Emmich, Beseler,
Fran?vis und wie sie alle heißen, deren Namen wir erst jetzt erfuhren, um sie
sofort zu unseren Besten zu zählen. Er teilte mit nur ganz wenigen die Kenntnis
der Kruppschen Geheimnisse, der 42 er, der Torpedos, die ganze Schiffe ver¬
nichten und noch eines, das noch an den Tag kommt. Er kannte endlich die
Flotte und ihre Mannschaft, wußte, daß er Leute hatte, wie den heute schon
sagenhaften Müller von der "Emden", Weddigen vom "U 9" und sie alle, denen
es ihre Kameraden sicher gleich tun, sobald sie Gelegenheit bekommen. Und
dennoch so lange Frieden, ja ein Einstecken mancher kleiner Demütigungen, eine
Bemühung um ihn fast über das Zeitmaß hinaus, das die Vorsicht im Juli
erforderte. Wer zweifelt, daß es ethische Motive, höchste Gewissenhaftigkeit,


Ethik und Politik

deutsche zu setzen hätten? Aber nein, so denken wir nicht; wenn wir ehrlich
sind, glauben wir uns nicht nur im Besitz besserer Geschütze, sondern halten
uns auch für ethisch wertvoller, und nur dann Hai es einen Sinn und darf man
es wagen zu sagen: „Gott mit uns."

An der ethischen Stellungnahme hängt also auch die Entscheidung über die
ganze Qualität dieses größten Krieges der Weltgeschichte; und ich kann die
Hoffnung nicht lassen, die Mehrzahl meiner Volksgenossen möge jenen Sirenen¬
klängen ihr Ohr verschließen, die uns das Tiefste und Beste an diesem Furcht¬
baren, was wir erleben, eben die moralische Bedeutung, bestreiten und in reine
Machtfragen umlügen wollen. Wir begehren die Macht, jawohl, weil wir sie
wert sind, sie zu verdienen glauben und seinerzeit im Frieden zu beweisen
gedenken, daß wir das erste Kulturvolk der Welt sind; aber das ist Macht
mit Pflicht, Anspruch mit Ethos dahinter, und in diesem Sinne singen
wir auch: „Deutschland über alles in der Welt", was kein Tyrannengelüst
bedeutet.

Nun aber die verletzte Neutralität Belgiens, die manchem feinen Kopf im
In- und Ausland noch immer zu schaffen macht? Dafür nur ein Beispiel aus
einer Moralkasuistik. Ein Förster trifft im Wald einen Wilderer und sieht, daß
dieser auf ihn anlegt. Soll er wirklich warten, bis jener zuerst schießt und
dann im Sterben konstatieren, er sei völlig im Recht gewesen, in der Notwehr
zu schießen, habe aber leider keine Zeit mehr gehabt? Nein, Notwehr ist auch,
wenn man aus zweifellosen Anzeichen erkennt, daß einem Lebensgefahr droht;,
und daß wir wußten, daß die belgische Tür unseren Feinden offen stand, das
steht fest. Ebenso, daß uns ein Einfall von dort her ans Leben ging, weil er
schutzloses Land traf, keinen Festungsgürtel, wie wir ihn drüben fanden. Also
auch hier braucht sich der deutsche Ethiker nicht zu schämen.

Andere Ereignisse aber gibt es, auf die er stolz sein darf und, wenn auch
in gewohnter Bescheidenheit, ein wenig triumphieren. So kommt es uns doch
jetzt erst voll zum Bewußtsein, was es bedeuten will, daß unser Kaiser fünf¬
undzwanzig Jahre lang Frieden gehalten hat. Er kannte wie keiner im Land
die ungeheuren in unserer Armee schlummernden Kräfte; er kannte auch die
Reserve an Truppenführern, die Hindenburg und Kluck, Emmich, Beseler,
Fran?vis und wie sie alle heißen, deren Namen wir erst jetzt erfuhren, um sie
sofort zu unseren Besten zu zählen. Er teilte mit nur ganz wenigen die Kenntnis
der Kruppschen Geheimnisse, der 42 er, der Torpedos, die ganze Schiffe ver¬
nichten und noch eines, das noch an den Tag kommt. Er kannte endlich die
Flotte und ihre Mannschaft, wußte, daß er Leute hatte, wie den heute schon
sagenhaften Müller von der „Emden", Weddigen vom „U 9" und sie alle, denen
es ihre Kameraden sicher gleich tun, sobald sie Gelegenheit bekommen. Und
dennoch so lange Frieden, ja ein Einstecken mancher kleiner Demütigungen, eine
Bemühung um ihn fast über das Zeitmaß hinaus, das die Vorsicht im Juli
erforderte. Wer zweifelt, daß es ethische Motive, höchste Gewissenhaftigkeit,


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[0272] Ethik und Politik deutsche zu setzen hätten? Aber nein, so denken wir nicht; wenn wir ehrlich sind, glauben wir uns nicht nur im Besitz besserer Geschütze, sondern halten uns auch für ethisch wertvoller, und nur dann Hai es einen Sinn und darf man es wagen zu sagen: „Gott mit uns." An der ethischen Stellungnahme hängt also auch die Entscheidung über die ganze Qualität dieses größten Krieges der Weltgeschichte; und ich kann die Hoffnung nicht lassen, die Mehrzahl meiner Volksgenossen möge jenen Sirenen¬ klängen ihr Ohr verschließen, die uns das Tiefste und Beste an diesem Furcht¬ baren, was wir erleben, eben die moralische Bedeutung, bestreiten und in reine Machtfragen umlügen wollen. Wir begehren die Macht, jawohl, weil wir sie wert sind, sie zu verdienen glauben und seinerzeit im Frieden zu beweisen gedenken, daß wir das erste Kulturvolk der Welt sind; aber das ist Macht mit Pflicht, Anspruch mit Ethos dahinter, und in diesem Sinne singen wir auch: „Deutschland über alles in der Welt", was kein Tyrannengelüst bedeutet. Nun aber die verletzte Neutralität Belgiens, die manchem feinen Kopf im In- und Ausland noch immer zu schaffen macht? Dafür nur ein Beispiel aus einer Moralkasuistik. Ein Förster trifft im Wald einen Wilderer und sieht, daß dieser auf ihn anlegt. Soll er wirklich warten, bis jener zuerst schießt und dann im Sterben konstatieren, er sei völlig im Recht gewesen, in der Notwehr zu schießen, habe aber leider keine Zeit mehr gehabt? Nein, Notwehr ist auch, wenn man aus zweifellosen Anzeichen erkennt, daß einem Lebensgefahr droht;, und daß wir wußten, daß die belgische Tür unseren Feinden offen stand, das steht fest. Ebenso, daß uns ein Einfall von dort her ans Leben ging, weil er schutzloses Land traf, keinen Festungsgürtel, wie wir ihn drüben fanden. Also auch hier braucht sich der deutsche Ethiker nicht zu schämen. Andere Ereignisse aber gibt es, auf die er stolz sein darf und, wenn auch in gewohnter Bescheidenheit, ein wenig triumphieren. So kommt es uns doch jetzt erst voll zum Bewußtsein, was es bedeuten will, daß unser Kaiser fünf¬ undzwanzig Jahre lang Frieden gehalten hat. Er kannte wie keiner im Land die ungeheuren in unserer Armee schlummernden Kräfte; er kannte auch die Reserve an Truppenführern, die Hindenburg und Kluck, Emmich, Beseler, Fran?vis und wie sie alle heißen, deren Namen wir erst jetzt erfuhren, um sie sofort zu unseren Besten zu zählen. Er teilte mit nur ganz wenigen die Kenntnis der Kruppschen Geheimnisse, der 42 er, der Torpedos, die ganze Schiffe ver¬ nichten und noch eines, das noch an den Tag kommt. Er kannte endlich die Flotte und ihre Mannschaft, wußte, daß er Leute hatte, wie den heute schon sagenhaften Müller von der „Emden", Weddigen vom „U 9" und sie alle, denen es ihre Kameraden sicher gleich tun, sobald sie Gelegenheit bekommen. Und dennoch so lange Frieden, ja ein Einstecken mancher kleiner Demütigungen, eine Bemühung um ihn fast über das Zeitmaß hinaus, das die Vorsicht im Juli erforderte. Wer zweifelt, daß es ethische Motive, höchste Gewissenhaftigkeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/272>, abgerufen am 04.07.2024.