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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Ethik und Politik

Unschuld längst an unsere Feinde verkauft hatte. Aber was einmal freche
Heuchelei und Vorwand war, das kann auch einmal echt und wahr werden,
und der Schutz schwacher Staaten durch stärkere in einer glücklicheren Zukunft
keine Lüge mehr sein.

Zweitens kann man auch von streng ethischem Standpunkte aus zweifeln,
ob es vernünftig ist, die wesenhaft ethischen Gebote des Völkerrechts getreulich
zu befolgen, wenn die Feinde sie ringsum mit Füßen treten, oder ob man
dabei bloß der Dumme ist. Für die standhafte Festhaltung der Moral spricht
der Gedanke der Selbstachtung; man entschließt sich schwer, Dinge zu tun, die
man verwirft und verachtet, um vor sich selbst anständig dazustehen und ohne
Erröten in seinen Spiegel gucken zu können. Aber dagegen spricht, daß man
dabei Gefahr läuft, von schamlosen Feinden einfach für albern gehalten zu
werden, die nicht begreifen, daß auch dem Idealisten einmal die Geduld reißen
und er Repressalien nötig finden kann, wenn rings um ihn jeder Tag einen
neuen Bruch des Völkerrechts bringt. Daß vor solcher Entscheidung unsere
Regierung in diesem Kriege steht, ist bekannt, und ich möchte nicht so verstanden
sein, als wollte ich skrupelloser Gegnern gegenüber einer weichherzigen Schwäche
das Wort reden. Man wird sicher einen Weg finden, Selbstachtung und nötige
Repressalien in ein gewisses Verhältnis zu bringen. Ich möchte vielmehr nach
dieser doppelten Einschränkung kurz zusehen, was sich aus der weltgeschichtlichen
Epoche, die wir seit einem Vierteljahr miterleben, für das Verhältnis von Ethik
und Politik lernen läßt, ohne zu beanspruchen, das Thema irgend zu erschöpfen.
Ich brauche dazu nur herauszuheben, wo sich meines Erachtens ein ethischer
Anspruch bewährt hat; in allem übrigen herrscht Staatsweisheit und politische
Klugheit, das weiß ich sehr wohl.

Zunächst der Krieg selbst. Die Mehrzahl der Deutschen ist überzeugt,
einen "gerechten" Krieg zu führen, sich gegen einen Angriff zu verteidigen und
nicht so verlogene Vorwünde nötig zu haben, wie unsere Gegner. Diese heucheln
moralische Gründe, werden aber nur von Neid, Habsucht und Ehrgeiz getrieben;
wir sind in der Notwehr und haben ethische Motive in Wahrheit und Wirk¬
lichkeit. Eben daraus schöpft unser Volk die Kraft gegen eine große Übermacht
auszuharren und alle Leiden eines Krieges mutig zu ertragen; in diesem Sinne
haben sich auch die bedeutendsten Köpfe unseres Volkes öffentlich ausgesprochen.
Übrigens läßt es sich auch beweisen, denn von Rußland und Frankreich begehrten
wir nichts und von England nur unseren "Platz an der Sonne"; und hätten wir
die Weltherrschaftspläne, die unsere Gegner uns aus ihren eigenen Gedanken heraus
andichten, so gab es bessere Gelegenheiten, die heute Verbündeten einzeln zu
überfallen, als sie schwach waren; während des Burenkrieges, des japanischen
Krieges und während der inneren Krisen in Frankreich.

Nicht der Pangermanismus ist eine geschichtliche Wahrheit, sondern der
Panslawismus und die englischen Weltherrschaftsansprüche; aber nach dem
Rezept, "haltet den Dieb" zu rufen, um selbst zu entwischen, klagten uns die


Ethik und Politik

Unschuld längst an unsere Feinde verkauft hatte. Aber was einmal freche
Heuchelei und Vorwand war, das kann auch einmal echt und wahr werden,
und der Schutz schwacher Staaten durch stärkere in einer glücklicheren Zukunft
keine Lüge mehr sein.

Zweitens kann man auch von streng ethischem Standpunkte aus zweifeln,
ob es vernünftig ist, die wesenhaft ethischen Gebote des Völkerrechts getreulich
zu befolgen, wenn die Feinde sie ringsum mit Füßen treten, oder ob man
dabei bloß der Dumme ist. Für die standhafte Festhaltung der Moral spricht
der Gedanke der Selbstachtung; man entschließt sich schwer, Dinge zu tun, die
man verwirft und verachtet, um vor sich selbst anständig dazustehen und ohne
Erröten in seinen Spiegel gucken zu können. Aber dagegen spricht, daß man
dabei Gefahr läuft, von schamlosen Feinden einfach für albern gehalten zu
werden, die nicht begreifen, daß auch dem Idealisten einmal die Geduld reißen
und er Repressalien nötig finden kann, wenn rings um ihn jeder Tag einen
neuen Bruch des Völkerrechts bringt. Daß vor solcher Entscheidung unsere
Regierung in diesem Kriege steht, ist bekannt, und ich möchte nicht so verstanden
sein, als wollte ich skrupelloser Gegnern gegenüber einer weichherzigen Schwäche
das Wort reden. Man wird sicher einen Weg finden, Selbstachtung und nötige
Repressalien in ein gewisses Verhältnis zu bringen. Ich möchte vielmehr nach
dieser doppelten Einschränkung kurz zusehen, was sich aus der weltgeschichtlichen
Epoche, die wir seit einem Vierteljahr miterleben, für das Verhältnis von Ethik
und Politik lernen läßt, ohne zu beanspruchen, das Thema irgend zu erschöpfen.
Ich brauche dazu nur herauszuheben, wo sich meines Erachtens ein ethischer
Anspruch bewährt hat; in allem übrigen herrscht Staatsweisheit und politische
Klugheit, das weiß ich sehr wohl.

Zunächst der Krieg selbst. Die Mehrzahl der Deutschen ist überzeugt,
einen „gerechten" Krieg zu führen, sich gegen einen Angriff zu verteidigen und
nicht so verlogene Vorwünde nötig zu haben, wie unsere Gegner. Diese heucheln
moralische Gründe, werden aber nur von Neid, Habsucht und Ehrgeiz getrieben;
wir sind in der Notwehr und haben ethische Motive in Wahrheit und Wirk¬
lichkeit. Eben daraus schöpft unser Volk die Kraft gegen eine große Übermacht
auszuharren und alle Leiden eines Krieges mutig zu ertragen; in diesem Sinne
haben sich auch die bedeutendsten Köpfe unseres Volkes öffentlich ausgesprochen.
Übrigens läßt es sich auch beweisen, denn von Rußland und Frankreich begehrten
wir nichts und von England nur unseren „Platz an der Sonne"; und hätten wir
die Weltherrschaftspläne, die unsere Gegner uns aus ihren eigenen Gedanken heraus
andichten, so gab es bessere Gelegenheiten, die heute Verbündeten einzeln zu
überfallen, als sie schwach waren; während des Burenkrieges, des japanischen
Krieges und während der inneren Krisen in Frankreich.

Nicht der Pangermanismus ist eine geschichtliche Wahrheit, sondern der
Panslawismus und die englischen Weltherrschaftsansprüche; aber nach dem
Rezept, „haltet den Dieb" zu rufen, um selbst zu entwischen, klagten uns die


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[0270] Ethik und Politik Unschuld längst an unsere Feinde verkauft hatte. Aber was einmal freche Heuchelei und Vorwand war, das kann auch einmal echt und wahr werden, und der Schutz schwacher Staaten durch stärkere in einer glücklicheren Zukunft keine Lüge mehr sein. Zweitens kann man auch von streng ethischem Standpunkte aus zweifeln, ob es vernünftig ist, die wesenhaft ethischen Gebote des Völkerrechts getreulich zu befolgen, wenn die Feinde sie ringsum mit Füßen treten, oder ob man dabei bloß der Dumme ist. Für die standhafte Festhaltung der Moral spricht der Gedanke der Selbstachtung; man entschließt sich schwer, Dinge zu tun, die man verwirft und verachtet, um vor sich selbst anständig dazustehen und ohne Erröten in seinen Spiegel gucken zu können. Aber dagegen spricht, daß man dabei Gefahr läuft, von schamlosen Feinden einfach für albern gehalten zu werden, die nicht begreifen, daß auch dem Idealisten einmal die Geduld reißen und er Repressalien nötig finden kann, wenn rings um ihn jeder Tag einen neuen Bruch des Völkerrechts bringt. Daß vor solcher Entscheidung unsere Regierung in diesem Kriege steht, ist bekannt, und ich möchte nicht so verstanden sein, als wollte ich skrupelloser Gegnern gegenüber einer weichherzigen Schwäche das Wort reden. Man wird sicher einen Weg finden, Selbstachtung und nötige Repressalien in ein gewisses Verhältnis zu bringen. Ich möchte vielmehr nach dieser doppelten Einschränkung kurz zusehen, was sich aus der weltgeschichtlichen Epoche, die wir seit einem Vierteljahr miterleben, für das Verhältnis von Ethik und Politik lernen läßt, ohne zu beanspruchen, das Thema irgend zu erschöpfen. Ich brauche dazu nur herauszuheben, wo sich meines Erachtens ein ethischer Anspruch bewährt hat; in allem übrigen herrscht Staatsweisheit und politische Klugheit, das weiß ich sehr wohl. Zunächst der Krieg selbst. Die Mehrzahl der Deutschen ist überzeugt, einen „gerechten" Krieg zu führen, sich gegen einen Angriff zu verteidigen und nicht so verlogene Vorwünde nötig zu haben, wie unsere Gegner. Diese heucheln moralische Gründe, werden aber nur von Neid, Habsucht und Ehrgeiz getrieben; wir sind in der Notwehr und haben ethische Motive in Wahrheit und Wirk¬ lichkeit. Eben daraus schöpft unser Volk die Kraft gegen eine große Übermacht auszuharren und alle Leiden eines Krieges mutig zu ertragen; in diesem Sinne haben sich auch die bedeutendsten Köpfe unseres Volkes öffentlich ausgesprochen. Übrigens läßt es sich auch beweisen, denn von Rußland und Frankreich begehrten wir nichts und von England nur unseren „Platz an der Sonne"; und hätten wir die Weltherrschaftspläne, die unsere Gegner uns aus ihren eigenen Gedanken heraus andichten, so gab es bessere Gelegenheiten, die heute Verbündeten einzeln zu überfallen, als sie schwach waren; während des Burenkrieges, des japanischen Krieges und während der inneren Krisen in Frankreich. Nicht der Pangermanismus ist eine geschichtliche Wahrheit, sondern der Panslawismus und die englischen Weltherrschaftsansprüche; aber nach dem Rezept, „haltet den Dieb" zu rufen, um selbst zu entwischen, klagten uns die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/270>, abgerufen am 30.06.2024.