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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das belgische Problem

die wir heute der Vertrauensseligkeit eines zu wenig umsichtigen Fürsten, der
Gewissenlosigkeit seiner Berater und dem entfesselten, rachsüchtigen Fanatismus
eines von Frankreich beschwatzten und betörten Volkes bringen müssen.

Da man nun unumstößliche Beweise dafür hat, daß es England und Frank¬
reich schon seit Jahren gelungen war, Belgien zu einem eventuellen Neutralitäts¬
bruche zu verleiten, glaube ich verstehen zu können, warum König Albert vor
ungefähr zwei Jahren die für Frankreich und Belgien so überraschende plötzliche
Einladung zur Jagd nach Potsdam erhielt, der bekanntlich eine Besichtigung seines
Dragonerregimentes in Lüneburg an der Seite des Generals von Emniich, des
späteren Helden von Lüttich, vorausging; warum ferner im Frühsommer dieses
Jahres Prinz Eitel Friedrich und, wenn ich nicht irre, auch Prinz Oskar oder
Adalbert, dem belgischen Königspaare plötzlich einen Besuch machten, ohne sich
aber länger als einen Tag in Brüssel aufzuhalten. Ist es denn so ganz aus¬
geschlossen, daß wir schon damals von der verblendeten Teilnahme Belgiens
an dem Komplott gegen unsere Sicherheit wußten und auf König Albert freund¬
schaftlich einzuwirken suchten? Damals ist nichts von dem Grunde dieser Besuche
in Berlin und Brüssel durchgesickert, keine beängstigenden Gerüchte von kriege¬
rischen Möglichkeiten drangen in die Öffentlichkeit und vermehrten die Besorgnisse,
die die Balkanwirren bereits zur Genüge hervorgerufen halten und wach hielten.
Wenn wir jedoch schon damals wissend waren und uns auf alle Möglichkeiten
vorbereiteten, wenn wir schon damals rechnen mußten, daß dem belgischen
Könige bereits die Hände gebunden waren, so kannten wir auch im voraus die
Antwort, die dieser auf Aufforderung zu freiem Durchmarsch unserer Truppen
durch Belgien geben würde und geben mußte. Unter dem Gesichtspunkte der
heutigen Ereignisse versteht man auch, weshalb der belgische Ministerpräsident
de Broqueville, als Handlanger Frankreichs, das Portefeuille des Kriegsministers,
der er noch ist, durchaus an sich reißen wollte und daß er nur durch eine
falsche Schilderung der Absichten Deutschlands den eingefleischter Wider¬
willen des größten Teiles der Klerikalen, seiner eigenen Partei also, gegen das
neue Militärgesetz sowohl, wie gegen die Unterhaltung eines schlagfertigen
Heeres überhaupt, brach. Die Abmachungen mit Frankreich und England
müssen bis dahin derartig geheim gehalten worden sein, daß selbst ein so ge¬
riebener Staatsmann, wie der Führer der klerikalen Mehrheit, Woeste, nichts
davon gewußt hat, sonst hätte sein Widerstand gegen das Wehrgesetz eher
kapituliert. Der König, der vordem militärischen Dingen e ! nur laues
Interesse entgegengebracht hatte, fühlte mit einem Male soldatische Neigungen in
sich und arbeitete mit seinen Generalen persönlich an dem neuen Mobili-
steruugsplane. Die Liberalen, die vor allem die Augen auf Frankreich gerichtet
hielten, während man unter den Klerikalen und Sozialisten auch deutschfreund¬
liche Männer bemerkte, erhielten die Zusicherung einer Neugestaltung der
kolonialen Verwaltung, mit der die Klerikalen, nach dem Beispiel Leopolds des
Zweiten, einen wahren und kostspieligen Nepotismus trieben und es glücklich


Das belgische Problem

die wir heute der Vertrauensseligkeit eines zu wenig umsichtigen Fürsten, der
Gewissenlosigkeit seiner Berater und dem entfesselten, rachsüchtigen Fanatismus
eines von Frankreich beschwatzten und betörten Volkes bringen müssen.

Da man nun unumstößliche Beweise dafür hat, daß es England und Frank¬
reich schon seit Jahren gelungen war, Belgien zu einem eventuellen Neutralitäts¬
bruche zu verleiten, glaube ich verstehen zu können, warum König Albert vor
ungefähr zwei Jahren die für Frankreich und Belgien so überraschende plötzliche
Einladung zur Jagd nach Potsdam erhielt, der bekanntlich eine Besichtigung seines
Dragonerregimentes in Lüneburg an der Seite des Generals von Emniich, des
späteren Helden von Lüttich, vorausging; warum ferner im Frühsommer dieses
Jahres Prinz Eitel Friedrich und, wenn ich nicht irre, auch Prinz Oskar oder
Adalbert, dem belgischen Königspaare plötzlich einen Besuch machten, ohne sich
aber länger als einen Tag in Brüssel aufzuhalten. Ist es denn so ganz aus¬
geschlossen, daß wir schon damals von der verblendeten Teilnahme Belgiens
an dem Komplott gegen unsere Sicherheit wußten und auf König Albert freund¬
schaftlich einzuwirken suchten? Damals ist nichts von dem Grunde dieser Besuche
in Berlin und Brüssel durchgesickert, keine beängstigenden Gerüchte von kriege¬
rischen Möglichkeiten drangen in die Öffentlichkeit und vermehrten die Besorgnisse,
die die Balkanwirren bereits zur Genüge hervorgerufen halten und wach hielten.
Wenn wir jedoch schon damals wissend waren und uns auf alle Möglichkeiten
vorbereiteten, wenn wir schon damals rechnen mußten, daß dem belgischen
Könige bereits die Hände gebunden waren, so kannten wir auch im voraus die
Antwort, die dieser auf Aufforderung zu freiem Durchmarsch unserer Truppen
durch Belgien geben würde und geben mußte. Unter dem Gesichtspunkte der
heutigen Ereignisse versteht man auch, weshalb der belgische Ministerpräsident
de Broqueville, als Handlanger Frankreichs, das Portefeuille des Kriegsministers,
der er noch ist, durchaus an sich reißen wollte und daß er nur durch eine
falsche Schilderung der Absichten Deutschlands den eingefleischter Wider¬
willen des größten Teiles der Klerikalen, seiner eigenen Partei also, gegen das
neue Militärgesetz sowohl, wie gegen die Unterhaltung eines schlagfertigen
Heeres überhaupt, brach. Die Abmachungen mit Frankreich und England
müssen bis dahin derartig geheim gehalten worden sein, daß selbst ein so ge¬
riebener Staatsmann, wie der Führer der klerikalen Mehrheit, Woeste, nichts
davon gewußt hat, sonst hätte sein Widerstand gegen das Wehrgesetz eher
kapituliert. Der König, der vordem militärischen Dingen e ! nur laues
Interesse entgegengebracht hatte, fühlte mit einem Male soldatische Neigungen in
sich und arbeitete mit seinen Generalen persönlich an dem neuen Mobili-
steruugsplane. Die Liberalen, die vor allem die Augen auf Frankreich gerichtet
hielten, während man unter den Klerikalen und Sozialisten auch deutschfreund¬
liche Männer bemerkte, erhielten die Zusicherung einer Neugestaltung der
kolonialen Verwaltung, mit der die Klerikalen, nach dem Beispiel Leopolds des
Zweiten, einen wahren und kostspieligen Nepotismus trieben und es glücklich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/25>, abgerufen am 30.06.2024.