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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das belgische Problem

junge König eine deutsche Mutter, die Schwester Königs Karl von Hohenzollern,
einen deutschen Schwager, Prinz Karl von Hohenzollern, hatte; daß er sich im
Hause des Herzogs Karl Theodor von Bayern in Gesellschaft unseres Kron¬
prinzen so wohl wie nirgendswo anders fühlte, und daß er schließlich dieses
Herzogs klügste Tochter Elisabeth aus wirklicher Liebe heimführte. Alle Vor¬
bedingungen für einen glücklichen Umschwung in Belgien zugunsten der Er¬
starkung der Gefühle für Deutschland schienen demnach gegeben. Leider aber
war Albert ein Träumer, ein König, dessen Ideal mit Ziel es war, den Volks¬
beglücker im demokratischen Sinne zu spielen. Er ließ deshalb die inneren und
äußeren Verhältnisse des Landes wie sie vordem waren, im guten Glauben
der politischen Sicherung desselben durch die Neutralitätsakte. Und es ist sür
jeden, der die schlichte Offenheit und Ehrlichkeit dieses Monarchen kennt, außer
Zweifel, daß er für seine Person und aus eigenem Antriebe loyal an denselben
festgehalten haben würde. Sein Unglück war, daß er nichts zu sagen hatte.
Leopold der Zweite hatte, wenn auch durch das Sprachrohr seines Ministeriums,
tatsächlich regiert. Albert aber war nur der Vollstrecker der Wünsche und Pläne
desselben. Er stand viel zu sehr auf verfassungstreuem Boden und besaß viel
zu wenig Energie und staatsmännische Kenntnisse, um vorderhand in ein¬
schneidenden Fragen anders zu denken als seine Minister. Sein Volk wußte,
daß er nie, wie sein Onkel, ein weit voraussehender, unternehmender "könig¬
licher" Kaufmann werden und das Land auf diese Weise weiter bereichern
würde. Trotzdem jubelte es ihm zu und verehrte ihn, einmal, weil dem Volke seine
Rechtschaffenheit nach der Verschlagenheit Leopolds des Zweiten wohltat; sodann, weil
seine volkstümliche Gesinnung den ohnehin demokratischen Neigungen der.Belgier
sympathisch war, und schließlich, weil er des Landes Anschluß an Frankreich,
wenn auch nicht gerade liebte, so doch auch nicht verurteilte oder unterband. Es
ist, um es hier gleich zu sagen, verständlich, daß solch ein Charakter, nachdem
er sich einmal zu einem deutschfeindlichen Bündnis aus politischen Gründen
hatte überreden lassen, auch dessen unselige Folgen mannhaft zu ertragen weiß,
und sollte er darüber zugrunde gehen. Er verdient nicht unsere Verachtung,
sondern diejenigen, die ihm die Lage anders vorgestellt und ihm Deutschland
als den hungrigen Verschlinger Belgiens geschildert haben. Weniger für
die Rettung der eigenen Krone, als vielmehr für die Erhaltung Belgiens als
unabhängiges Königreich, glaubte er sich verpflichtet, den Rat derer zu befolgen,
die es besser wissen wollten als er, was Deutschland im Schilde führte. Ich
teile durchaus die Meinung derer, die behaupten, daß die Poincarö, Grey und
der belgische Minister de Broqueville mit Leopold dem Zweiten nicht so leichtes Spiel
gehabt haben würden. Dessen gesamte kaufmännischen Instinkte wären in einem
so kritischen Augenblicke wach geworden, und in der Freude, daß er nun doch
den Anschluß an das Deutsche Reich erreichen könnte, wäre Leopold der Zweite
unter solchen Umständen vielleicht sehr billig zu haben gewesen. Jedenfalls wären
die unseligen Opfer an Menschenleben hüben und drüben vermieden worden,


Das belgische Problem

junge König eine deutsche Mutter, die Schwester Königs Karl von Hohenzollern,
einen deutschen Schwager, Prinz Karl von Hohenzollern, hatte; daß er sich im
Hause des Herzogs Karl Theodor von Bayern in Gesellschaft unseres Kron¬
prinzen so wohl wie nirgendswo anders fühlte, und daß er schließlich dieses
Herzogs klügste Tochter Elisabeth aus wirklicher Liebe heimführte. Alle Vor¬
bedingungen für einen glücklichen Umschwung in Belgien zugunsten der Er¬
starkung der Gefühle für Deutschland schienen demnach gegeben. Leider aber
war Albert ein Träumer, ein König, dessen Ideal mit Ziel es war, den Volks¬
beglücker im demokratischen Sinne zu spielen. Er ließ deshalb die inneren und
äußeren Verhältnisse des Landes wie sie vordem waren, im guten Glauben
der politischen Sicherung desselben durch die Neutralitätsakte. Und es ist sür
jeden, der die schlichte Offenheit und Ehrlichkeit dieses Monarchen kennt, außer
Zweifel, daß er für seine Person und aus eigenem Antriebe loyal an denselben
festgehalten haben würde. Sein Unglück war, daß er nichts zu sagen hatte.
Leopold der Zweite hatte, wenn auch durch das Sprachrohr seines Ministeriums,
tatsächlich regiert. Albert aber war nur der Vollstrecker der Wünsche und Pläne
desselben. Er stand viel zu sehr auf verfassungstreuem Boden und besaß viel
zu wenig Energie und staatsmännische Kenntnisse, um vorderhand in ein¬
schneidenden Fragen anders zu denken als seine Minister. Sein Volk wußte,
daß er nie, wie sein Onkel, ein weit voraussehender, unternehmender „könig¬
licher" Kaufmann werden und das Land auf diese Weise weiter bereichern
würde. Trotzdem jubelte es ihm zu und verehrte ihn, einmal, weil dem Volke seine
Rechtschaffenheit nach der Verschlagenheit Leopolds des Zweiten wohltat; sodann, weil
seine volkstümliche Gesinnung den ohnehin demokratischen Neigungen der.Belgier
sympathisch war, und schließlich, weil er des Landes Anschluß an Frankreich,
wenn auch nicht gerade liebte, so doch auch nicht verurteilte oder unterband. Es
ist, um es hier gleich zu sagen, verständlich, daß solch ein Charakter, nachdem
er sich einmal zu einem deutschfeindlichen Bündnis aus politischen Gründen
hatte überreden lassen, auch dessen unselige Folgen mannhaft zu ertragen weiß,
und sollte er darüber zugrunde gehen. Er verdient nicht unsere Verachtung,
sondern diejenigen, die ihm die Lage anders vorgestellt und ihm Deutschland
als den hungrigen Verschlinger Belgiens geschildert haben. Weniger für
die Rettung der eigenen Krone, als vielmehr für die Erhaltung Belgiens als
unabhängiges Königreich, glaubte er sich verpflichtet, den Rat derer zu befolgen,
die es besser wissen wollten als er, was Deutschland im Schilde führte. Ich
teile durchaus die Meinung derer, die behaupten, daß die Poincarö, Grey und
der belgische Minister de Broqueville mit Leopold dem Zweiten nicht so leichtes Spiel
gehabt haben würden. Dessen gesamte kaufmännischen Instinkte wären in einem
so kritischen Augenblicke wach geworden, und in der Freude, daß er nun doch
den Anschluß an das Deutsche Reich erreichen könnte, wäre Leopold der Zweite
unter solchen Umständen vielleicht sehr billig zu haben gewesen. Jedenfalls wären
die unseligen Opfer an Menschenleben hüben und drüben vermieden worden,


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[0024] Das belgische Problem junge König eine deutsche Mutter, die Schwester Königs Karl von Hohenzollern, einen deutschen Schwager, Prinz Karl von Hohenzollern, hatte; daß er sich im Hause des Herzogs Karl Theodor von Bayern in Gesellschaft unseres Kron¬ prinzen so wohl wie nirgendswo anders fühlte, und daß er schließlich dieses Herzogs klügste Tochter Elisabeth aus wirklicher Liebe heimführte. Alle Vor¬ bedingungen für einen glücklichen Umschwung in Belgien zugunsten der Er¬ starkung der Gefühle für Deutschland schienen demnach gegeben. Leider aber war Albert ein Träumer, ein König, dessen Ideal mit Ziel es war, den Volks¬ beglücker im demokratischen Sinne zu spielen. Er ließ deshalb die inneren und äußeren Verhältnisse des Landes wie sie vordem waren, im guten Glauben der politischen Sicherung desselben durch die Neutralitätsakte. Und es ist sür jeden, der die schlichte Offenheit und Ehrlichkeit dieses Monarchen kennt, außer Zweifel, daß er für seine Person und aus eigenem Antriebe loyal an denselben festgehalten haben würde. Sein Unglück war, daß er nichts zu sagen hatte. Leopold der Zweite hatte, wenn auch durch das Sprachrohr seines Ministeriums, tatsächlich regiert. Albert aber war nur der Vollstrecker der Wünsche und Pläne desselben. Er stand viel zu sehr auf verfassungstreuem Boden und besaß viel zu wenig Energie und staatsmännische Kenntnisse, um vorderhand in ein¬ schneidenden Fragen anders zu denken als seine Minister. Sein Volk wußte, daß er nie, wie sein Onkel, ein weit voraussehender, unternehmender „könig¬ licher" Kaufmann werden und das Land auf diese Weise weiter bereichern würde. Trotzdem jubelte es ihm zu und verehrte ihn, einmal, weil dem Volke seine Rechtschaffenheit nach der Verschlagenheit Leopolds des Zweiten wohltat; sodann, weil seine volkstümliche Gesinnung den ohnehin demokratischen Neigungen der.Belgier sympathisch war, und schließlich, weil er des Landes Anschluß an Frankreich, wenn auch nicht gerade liebte, so doch auch nicht verurteilte oder unterband. Es ist, um es hier gleich zu sagen, verständlich, daß solch ein Charakter, nachdem er sich einmal zu einem deutschfeindlichen Bündnis aus politischen Gründen hatte überreden lassen, auch dessen unselige Folgen mannhaft zu ertragen weiß, und sollte er darüber zugrunde gehen. Er verdient nicht unsere Verachtung, sondern diejenigen, die ihm die Lage anders vorgestellt und ihm Deutschland als den hungrigen Verschlinger Belgiens geschildert haben. Weniger für die Rettung der eigenen Krone, als vielmehr für die Erhaltung Belgiens als unabhängiges Königreich, glaubte er sich verpflichtet, den Rat derer zu befolgen, die es besser wissen wollten als er, was Deutschland im Schilde führte. Ich teile durchaus die Meinung derer, die behaupten, daß die Poincarö, Grey und der belgische Minister de Broqueville mit Leopold dem Zweiten nicht so leichtes Spiel gehabt haben würden. Dessen gesamte kaufmännischen Instinkte wären in einem so kritischen Augenblicke wach geworden, und in der Freude, daß er nun doch den Anschluß an das Deutsche Reich erreichen könnte, wäre Leopold der Zweite unter solchen Umständen vielleicht sehr billig zu haben gewesen. Jedenfalls wären die unseligen Opfer an Menschenleben hüben und drüben vermieden worden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/24>, abgerufen am 30.06.2024.