Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.Handel und Freiheit in den englischen Kolonien betreffende Gentleman zu einer unabhängigen Sekte übergegangen ist, um dort Wo allerdings die Kolonien, wie in der australischen Bundesgemeinschaft Neben diesen sozial außerordentlich aufstrebenden und politisch weitblickenden Handel und Freiheit in den englischen Kolonien betreffende Gentleman zu einer unabhängigen Sekte übergegangen ist, um dort Wo allerdings die Kolonien, wie in der australischen Bundesgemeinschaft Neben diesen sozial außerordentlich aufstrebenden und politisch weitblickenden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329476"/> <fw type="header" place="top"> Handel und Freiheit in den englischen Kolonien</fw><lb/> <p xml:id="ID_861" prev="#ID_860"> betreffende Gentleman zu einer unabhängigen Sekte übergegangen ist, um dort<lb/> neu ordiniert zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_862"> Wo allerdings die Kolonien, wie in der australischen Bundesgemeinschaft<lb/> oder in Neuseeland die Verwaltung in die eigene starke Hand genommen haben,<lb/> da ist der soziale und politische Standard oft um ein erhebliches höher als im<lb/> Mutterlande selbst: die allgemeine Wehrpflicht z. B., für die man in England<lb/> bis heute nicht den ethischen und sozialen Mut hat aufbringen können, besteht<lb/> in Australien schon seit mehreren Jahren; und in der Kap-Kolonie sogar schon<lb/> seit 1878: die Staaten des Commonwealth von Australien haben ihren Frauen<lb/> schon lange das Stimmrecht verliehen, um das ihre Schwestern in England<lb/> ebenso erbittert wie erfolglos gekämpft haben, Antialkoholismus und Anti-<lb/> korruptionsgesetzgebung, staatliches Eisenbahnnetz und Homerule°all-round sind<lb/> wie übrigens auch in der Union von Südafrika politische und soziale Vorzüge<lb/> des australischen Bundesgebiets, deren sich die vier Glieder des Mutterlandes<lb/> noch nicht zu rühmen wissen. Ist man doch bei den Antipoden schon beim<lb/> konfessionslosen Schulunterricht angelangt, — was allerdings bei der Vielzahl von<lb/> Sekten und Bekenntnissen der australischen Bevölkerung mehr eine Forderung<lb/> der bittersten Not als eine Tugend zu sein scheint. Ähnlich waren auch z. B.<lb/> in Neuseeland staatliche Alters- und Jnvaliditätsversorgung schon lange Zeit Gesetz,<lb/> ehe das sozialpolitisch ja durchweg rückständige Mutterland sie einzuführen sich<lb/> bequemte, das seinerseits erst 1870 die allgemeine Schulpflicht, erst 1872 die<lb/> Nichtkäuflichkeit der Offiziersstellen, erst 1912 die staatliche Altersversicherung<lb/> eingeführt hat, und das die Idee der allgemeinen Wehrpflicht noch heute als<lb/> „Beschränkung der verbürgten Freiheit" verlacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_863"> Neben diesen sozial außerordentlich aufstrebenden und politisch weitblickenden<lb/> Dominien müssen die eigentlichen englischen Kolonien mit ihrer schleppenden<lb/> Sozialpolitik denn auch geradezu mittelalterlich oder orientalisch erscheinen. Das<lb/> zeigt sich gerade in dem Bereich des Rechts- und Gesetzlebens, das ja im Mutterlande<lb/> selbst noch die antike Prätorialmethoden und erstarrte Kurialformen aufweist.<lb/> In Indien z. B. herrscht — wie wir schon oben erwähnten — zeitweilig noch<lb/> das staatsrechtlich vollkommen unfundierte, weil vorbritische „Gesetz" von 1813<lb/> mit seiner temporären Gesetzunterbindung für jeden „nicht (I) hinreichend<lb/> Verdächtigten" —. in Ägypten wiederum besteht ein vierfaches oder,<lb/> wenn man das unkodifizierte. von Fall zu Fall entscheidende „Recht" des<lb/> englischen Richters richtiger bewertet, eigentlich ein geradezu unendlich<lb/> vielfaches Recht: Koran, Code Napoleon, Konsularrechi gehen bunt durch<lb/> einander: gemischtrassige Gerichtshöfe und die der eigenen englischen oder<lb/> russischen und französischen Konsuln fällen Urteilssprüche, die, von politischen<lb/> Theorien und augenblicklichen Interessen nicht selten beeinflußt, oft<lb/> einander diametral gegenüberstehen, und dabei untersteht die christliche Geist¬<lb/> lichkeit der drei großen Konfessionen außerdem noch ihrem eigenen kanonischen<lb/> Recht!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0248]
Handel und Freiheit in den englischen Kolonien
betreffende Gentleman zu einer unabhängigen Sekte übergegangen ist, um dort
neu ordiniert zu werden.
Wo allerdings die Kolonien, wie in der australischen Bundesgemeinschaft
oder in Neuseeland die Verwaltung in die eigene starke Hand genommen haben,
da ist der soziale und politische Standard oft um ein erhebliches höher als im
Mutterlande selbst: die allgemeine Wehrpflicht z. B., für die man in England
bis heute nicht den ethischen und sozialen Mut hat aufbringen können, besteht
in Australien schon seit mehreren Jahren; und in der Kap-Kolonie sogar schon
seit 1878: die Staaten des Commonwealth von Australien haben ihren Frauen
schon lange das Stimmrecht verliehen, um das ihre Schwestern in England
ebenso erbittert wie erfolglos gekämpft haben, Antialkoholismus und Anti-
korruptionsgesetzgebung, staatliches Eisenbahnnetz und Homerule°all-round sind
wie übrigens auch in der Union von Südafrika politische und soziale Vorzüge
des australischen Bundesgebiets, deren sich die vier Glieder des Mutterlandes
noch nicht zu rühmen wissen. Ist man doch bei den Antipoden schon beim
konfessionslosen Schulunterricht angelangt, — was allerdings bei der Vielzahl von
Sekten und Bekenntnissen der australischen Bevölkerung mehr eine Forderung
der bittersten Not als eine Tugend zu sein scheint. Ähnlich waren auch z. B.
in Neuseeland staatliche Alters- und Jnvaliditätsversorgung schon lange Zeit Gesetz,
ehe das sozialpolitisch ja durchweg rückständige Mutterland sie einzuführen sich
bequemte, das seinerseits erst 1870 die allgemeine Schulpflicht, erst 1872 die
Nichtkäuflichkeit der Offiziersstellen, erst 1912 die staatliche Altersversicherung
eingeführt hat, und das die Idee der allgemeinen Wehrpflicht noch heute als
„Beschränkung der verbürgten Freiheit" verlacht.
Neben diesen sozial außerordentlich aufstrebenden und politisch weitblickenden
Dominien müssen die eigentlichen englischen Kolonien mit ihrer schleppenden
Sozialpolitik denn auch geradezu mittelalterlich oder orientalisch erscheinen. Das
zeigt sich gerade in dem Bereich des Rechts- und Gesetzlebens, das ja im Mutterlande
selbst noch die antike Prätorialmethoden und erstarrte Kurialformen aufweist.
In Indien z. B. herrscht — wie wir schon oben erwähnten — zeitweilig noch
das staatsrechtlich vollkommen unfundierte, weil vorbritische „Gesetz" von 1813
mit seiner temporären Gesetzunterbindung für jeden „nicht (I) hinreichend
Verdächtigten" —. in Ägypten wiederum besteht ein vierfaches oder,
wenn man das unkodifizierte. von Fall zu Fall entscheidende „Recht" des
englischen Richters richtiger bewertet, eigentlich ein geradezu unendlich
vielfaches Recht: Koran, Code Napoleon, Konsularrechi gehen bunt durch
einander: gemischtrassige Gerichtshöfe und die der eigenen englischen oder
russischen und französischen Konsuln fällen Urteilssprüche, die, von politischen
Theorien und augenblicklichen Interessen nicht selten beeinflußt, oft
einander diametral gegenüberstehen, und dabei untersteht die christliche Geist¬
lichkeit der drei großen Konfessionen außerdem noch ihrem eigenen kanonischen
Recht!
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