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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Handel und Freiheit in den englischen Kolonien

Entsprechend ist auch das administrative und politische Kennzeichen der
englischen kolonialen Staatsgebilde eine geradezu auffallende Buntheit und
Mannigfaltigkeit der Erscheinungen: neben Bundesstaaten wie dem Föderale
Malay States oder den ausgeprägt-zentralisierten des Commonwealth von
Australien, mit ihrem, dem Deutschen Reich oder den Vereinigten Staaten von
Brasilien oder Mexico ähnlichen politischen Habitus, stehen die absoluten
Militärmonarchien wie Se. Helena, Malta, Gibraltar usw.; und neben De-
portations- und Zweckkolonien wie den Andamanen stehen andere politisch so
gut wie freie Staatsgebilde wie Neu-Seeland; Kondominien wie den Neuen
Hebriden. in die England sich mit Frankreich teilt, oder Ägypten, stehen
Enklaven gegenüber wie die Walfischbai oder die Salomonen, wo man aus
reinem politischen Hochmut den natürlichen Mitbewerber durch künstliche Schikane
fernhält, obwohl man selbst aus dem Alleinbesitz nur Kosten, ohne irgend¬
welchen Nutzen hat. Und damit in dieser Folge von politischen Kuriosen auch
das staatsrechtliche Absurdum nicht fehle, stellt sich noch der angloägyptische
Sudan ein, wo England einmal als England, ein zweites Mal als Teilhaber
Ägyptens regiert, -- da Ägypten doch durch die offiziell bis vor einigen Wochen
aufrecht erhaltene Fiktion von 1882 seinerseits unter anglotürkischer Gemein¬
verwaltung steht.

Diese auffallende Vielheit staatsrechtlicher Gebilde wird von den Engländern
selbst mit großer Vorliebe als Zeichen hoher politischer Einsicht und lobens-
wertester Elastizität der altbritischen Verwaltung gepriesen, obwohl sie doch nur
im letzten Grunde einem offenbaren Mangel an Einheit und politischer Architektur
entspringt. Und wenn man jenseits des Kanals etwa mit Stolz rühmt, die
politischen Gebilde des britischen Weltreichs straften an Eigenart und Zahl des
Aristoteles' Politik Lügen, so ist damit eben nur aus der Armut eine Tugend
gemacht worden: ein Reich, das fast ein Viertel der bewohnten Erde und da¬
neben noch alle Ozeane durch seine Flotte umspannt hält -- oder doch wenigstens
zu halten glaubt --, kann nur auf geographisch abgerundeter Einheit und
politisch vollkommener Zentralisierung und Ausgleichung der gesamten Kräfte
beruhen, wenn es im Wechsel der Zeiten von Dauer sein soll.

In der Tat haben denn auch schon weitblickende englische Politiker, besonders
im letzten Jahrzehnt, diesen wundesten aller Punkte im britischen Weltreichsystem
nicht übersehen; und männlich dringende Wort wurde für einen engeren politischen
Zusammenschluß gesprochen. Ja selbst den einem "true - horn" Briten
so widersprechenden Gedanken einer britischen -- statt wie jetzt indischen -- Kaiser¬
krone hat man ernstlich erwogen: zunächst ohne jeden Erfolg. Zu dem Zweck,
einen Kristallisationspunkt für die panbritischen Sammelbestrebungen zu finden,
war ja auch jene famose, seit 1907 alljährlich nach London berufene "Kolonial¬
konferenz" ins Leben getreten, deren Vorsitz ex oMLio der jeweilige
Ministerpräsident von Großbritannien und Irland führt. Leider hat sie bloß keine
Exekutive erhalten und ist also nicht viel mehr als eine theatralisch aufgeputzte


Handel und Freiheit in den englischen Kolonien

Entsprechend ist auch das administrative und politische Kennzeichen der
englischen kolonialen Staatsgebilde eine geradezu auffallende Buntheit und
Mannigfaltigkeit der Erscheinungen: neben Bundesstaaten wie dem Föderale
Malay States oder den ausgeprägt-zentralisierten des Commonwealth von
Australien, mit ihrem, dem Deutschen Reich oder den Vereinigten Staaten von
Brasilien oder Mexico ähnlichen politischen Habitus, stehen die absoluten
Militärmonarchien wie Se. Helena, Malta, Gibraltar usw.; und neben De-
portations- und Zweckkolonien wie den Andamanen stehen andere politisch so
gut wie freie Staatsgebilde wie Neu-Seeland; Kondominien wie den Neuen
Hebriden. in die England sich mit Frankreich teilt, oder Ägypten, stehen
Enklaven gegenüber wie die Walfischbai oder die Salomonen, wo man aus
reinem politischen Hochmut den natürlichen Mitbewerber durch künstliche Schikane
fernhält, obwohl man selbst aus dem Alleinbesitz nur Kosten, ohne irgend¬
welchen Nutzen hat. Und damit in dieser Folge von politischen Kuriosen auch
das staatsrechtliche Absurdum nicht fehle, stellt sich noch der angloägyptische
Sudan ein, wo England einmal als England, ein zweites Mal als Teilhaber
Ägyptens regiert, — da Ägypten doch durch die offiziell bis vor einigen Wochen
aufrecht erhaltene Fiktion von 1882 seinerseits unter anglotürkischer Gemein¬
verwaltung steht.

Diese auffallende Vielheit staatsrechtlicher Gebilde wird von den Engländern
selbst mit großer Vorliebe als Zeichen hoher politischer Einsicht und lobens-
wertester Elastizität der altbritischen Verwaltung gepriesen, obwohl sie doch nur
im letzten Grunde einem offenbaren Mangel an Einheit und politischer Architektur
entspringt. Und wenn man jenseits des Kanals etwa mit Stolz rühmt, die
politischen Gebilde des britischen Weltreichs straften an Eigenart und Zahl des
Aristoteles' Politik Lügen, so ist damit eben nur aus der Armut eine Tugend
gemacht worden: ein Reich, das fast ein Viertel der bewohnten Erde und da¬
neben noch alle Ozeane durch seine Flotte umspannt hält — oder doch wenigstens
zu halten glaubt —, kann nur auf geographisch abgerundeter Einheit und
politisch vollkommener Zentralisierung und Ausgleichung der gesamten Kräfte
beruhen, wenn es im Wechsel der Zeiten von Dauer sein soll.

In der Tat haben denn auch schon weitblickende englische Politiker, besonders
im letzten Jahrzehnt, diesen wundesten aller Punkte im britischen Weltreichsystem
nicht übersehen; und männlich dringende Wort wurde für einen engeren politischen
Zusammenschluß gesprochen. Ja selbst den einem „true - horn" Briten
so widersprechenden Gedanken einer britischen — statt wie jetzt indischen — Kaiser¬
krone hat man ernstlich erwogen: zunächst ohne jeden Erfolg. Zu dem Zweck,
einen Kristallisationspunkt für die panbritischen Sammelbestrebungen zu finden,
war ja auch jene famose, seit 1907 alljährlich nach London berufene „Kolonial¬
konferenz" ins Leben getreten, deren Vorsitz ex oMLio der jeweilige
Ministerpräsident von Großbritannien und Irland führt. Leider hat sie bloß keine
Exekutive erhalten und ist also nicht viel mehr als eine theatralisch aufgeputzte


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[0249] Handel und Freiheit in den englischen Kolonien Entsprechend ist auch das administrative und politische Kennzeichen der englischen kolonialen Staatsgebilde eine geradezu auffallende Buntheit und Mannigfaltigkeit der Erscheinungen: neben Bundesstaaten wie dem Föderale Malay States oder den ausgeprägt-zentralisierten des Commonwealth von Australien, mit ihrem, dem Deutschen Reich oder den Vereinigten Staaten von Brasilien oder Mexico ähnlichen politischen Habitus, stehen die absoluten Militärmonarchien wie Se. Helena, Malta, Gibraltar usw.; und neben De- portations- und Zweckkolonien wie den Andamanen stehen andere politisch so gut wie freie Staatsgebilde wie Neu-Seeland; Kondominien wie den Neuen Hebriden. in die England sich mit Frankreich teilt, oder Ägypten, stehen Enklaven gegenüber wie die Walfischbai oder die Salomonen, wo man aus reinem politischen Hochmut den natürlichen Mitbewerber durch künstliche Schikane fernhält, obwohl man selbst aus dem Alleinbesitz nur Kosten, ohne irgend¬ welchen Nutzen hat. Und damit in dieser Folge von politischen Kuriosen auch das staatsrechtliche Absurdum nicht fehle, stellt sich noch der angloägyptische Sudan ein, wo England einmal als England, ein zweites Mal als Teilhaber Ägyptens regiert, — da Ägypten doch durch die offiziell bis vor einigen Wochen aufrecht erhaltene Fiktion von 1882 seinerseits unter anglotürkischer Gemein¬ verwaltung steht. Diese auffallende Vielheit staatsrechtlicher Gebilde wird von den Engländern selbst mit großer Vorliebe als Zeichen hoher politischer Einsicht und lobens- wertester Elastizität der altbritischen Verwaltung gepriesen, obwohl sie doch nur im letzten Grunde einem offenbaren Mangel an Einheit und politischer Architektur entspringt. Und wenn man jenseits des Kanals etwa mit Stolz rühmt, die politischen Gebilde des britischen Weltreichs straften an Eigenart und Zahl des Aristoteles' Politik Lügen, so ist damit eben nur aus der Armut eine Tugend gemacht worden: ein Reich, das fast ein Viertel der bewohnten Erde und da¬ neben noch alle Ozeane durch seine Flotte umspannt hält — oder doch wenigstens zu halten glaubt —, kann nur auf geographisch abgerundeter Einheit und politisch vollkommener Zentralisierung und Ausgleichung der gesamten Kräfte beruhen, wenn es im Wechsel der Zeiten von Dauer sein soll. In der Tat haben denn auch schon weitblickende englische Politiker, besonders im letzten Jahrzehnt, diesen wundesten aller Punkte im britischen Weltreichsystem nicht übersehen; und männlich dringende Wort wurde für einen engeren politischen Zusammenschluß gesprochen. Ja selbst den einem „true - horn" Briten so widersprechenden Gedanken einer britischen — statt wie jetzt indischen — Kaiser¬ krone hat man ernstlich erwogen: zunächst ohne jeden Erfolg. Zu dem Zweck, einen Kristallisationspunkt für die panbritischen Sammelbestrebungen zu finden, war ja auch jene famose, seit 1907 alljährlich nach London berufene „Kolonial¬ konferenz" ins Leben getreten, deren Vorsitz ex oMLio der jeweilige Ministerpräsident von Großbritannien und Irland führt. Leider hat sie bloß keine Exekutive erhalten und ist also nicht viel mehr als eine theatralisch aufgeputzte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/249>, abgerufen am 02.07.2024.