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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Handel und Freiheit in den englischen Kolonien

finden des vom Habesch kommenden Blauen Nil abfangen und nutzbar machen
will. Auch die in Witwatersrand und Koolgardie benutzten Maschinenanlagen
scheinen technisch nicht gerade wesentliche Verbesserungen gegen die Zeit der Ent¬
deckung jener Goldminen um 1870 erfahren zu haben. -- wenn man aus den
erhältlichen Abbildungen und Berichten schließen darf. Hier wie überall kommt
es dem britischen Kaufmann eben weniger auf vielleicht maßvolle, aber dauernde,
als vielmehr auf vorübergehende, aber um so höhere Erträge und Leistungen an:
so werden eher die Unkosten der Anlagen durch Weitergebrauch alter Maschinen
und Methoden heruntergedrückt, als daß man sich durch Konstruktion und Er¬
probung neuer Verfahren und Geräte zu möglicherweise kostspielige" Experi¬
menten hinreißen ließe. Ohne diese ist aber ein dauernder Fortschritt der wirt¬
schaftlichen Erträge letzten Endes selbstredend unmöglich.

So nimmt denn auch heute noch die eilfertige handelspolitische Ausnützung
der im Kolonialboden liegenden Schätze mitunter geradezu die Formen offen¬
barsten Raubbaus an. War es so schon bei der englischen Hudsonbaikompanie
und noch deutlicher bei der alten Ostindiengesellschaft im siebzehnten und acht¬
zehnten Jahrhundert der Fall, war schon die handelspolitische Ausnutzung durch
das Mutterland mit die treibende Ursache zur Loslösung der dreizehn alten
Vereinigten Staaten 1776, so blieb sie auch noch 1845 englisches Verfahren, als
man die reichen Kupferminen von Burra-Burra in Südaustralien entdeckt hatte.
Aus ihnen bezogen die Londoner Aktionäre mehrere Jahre lang 300 (!) Prozent
Dividende -- mit dem selbstverständlichen Erfolge, daß die Gruben mit einem
Male so gut wie erschöpft waren; und ähnlich war es in einer ganzen Anzahl
von Bergwerken in Oueensland und Südafrika auch noch in späterer Zeit. Die
hohen Dividenden, die einige große Bergwerksgesellschaften dieser beiden Gebiete
zahlen konnten, beruhten, volkswirtschaftlich gesprochen, auf krebsartig-ungesunden
Wirtschaftsformen; und das Endergebnis war demgemäß entweder Bankrott,
oder aber Massenabwanderung der Digger von einer rasch abgebauten nach
irgendeiner anderen, oft Hunderte von Kilometern weit entfernten neuen Mine,
^ eine Erscheinung, die zwar oft wohl zur raschen Besiedlung und Erschließung
neuer Landstrecken geführt hat, aber dem dauernden gleichmäßigen Fortschritt
der Kolonien, vor allem der Entwicklung der Seßhaftigkeit sowie der durch sie
bedingten moralischen und geistigen Förderung der Ansiedler, keineswegs günstig
sein konnte. Auf dergleichen kommt es dem echten Briten ja auch erst in
allerletzter Linie an. und es spricht nur von richtiger Selbsteinschätzung, wenn
Z. B. die amtlichen kolonialen Berichte durchweg zuerst immer den finanziellen
Aufschwung der betreffenden Provinz erörtern, hinter dem dann bescheiden die
innere Entwicklung der Bevölkerung. Städtebau, Agrarverfassung. Schule und
Mission, kriminelle und soziale Bewegung erscheinen, -- wenn von ihnen über¬
haupt je gesprochen wird.

Infolge dieses reinen und unentwegter wirtschaftspolitischen Gesichtspunktes
der englischen Kolonialpolitik ist auch das Maß der Freiheit und Rechte, das


Handel und Freiheit in den englischen Kolonien

finden des vom Habesch kommenden Blauen Nil abfangen und nutzbar machen
will. Auch die in Witwatersrand und Koolgardie benutzten Maschinenanlagen
scheinen technisch nicht gerade wesentliche Verbesserungen gegen die Zeit der Ent¬
deckung jener Goldminen um 1870 erfahren zu haben. — wenn man aus den
erhältlichen Abbildungen und Berichten schließen darf. Hier wie überall kommt
es dem britischen Kaufmann eben weniger auf vielleicht maßvolle, aber dauernde,
als vielmehr auf vorübergehende, aber um so höhere Erträge und Leistungen an:
so werden eher die Unkosten der Anlagen durch Weitergebrauch alter Maschinen
und Methoden heruntergedrückt, als daß man sich durch Konstruktion und Er¬
probung neuer Verfahren und Geräte zu möglicherweise kostspielige» Experi¬
menten hinreißen ließe. Ohne diese ist aber ein dauernder Fortschritt der wirt¬
schaftlichen Erträge letzten Endes selbstredend unmöglich.

So nimmt denn auch heute noch die eilfertige handelspolitische Ausnützung
der im Kolonialboden liegenden Schätze mitunter geradezu die Formen offen¬
barsten Raubbaus an. War es so schon bei der englischen Hudsonbaikompanie
und noch deutlicher bei der alten Ostindiengesellschaft im siebzehnten und acht¬
zehnten Jahrhundert der Fall, war schon die handelspolitische Ausnutzung durch
das Mutterland mit die treibende Ursache zur Loslösung der dreizehn alten
Vereinigten Staaten 1776, so blieb sie auch noch 1845 englisches Verfahren, als
man die reichen Kupferminen von Burra-Burra in Südaustralien entdeckt hatte.
Aus ihnen bezogen die Londoner Aktionäre mehrere Jahre lang 300 (!) Prozent
Dividende — mit dem selbstverständlichen Erfolge, daß die Gruben mit einem
Male so gut wie erschöpft waren; und ähnlich war es in einer ganzen Anzahl
von Bergwerken in Oueensland und Südafrika auch noch in späterer Zeit. Die
hohen Dividenden, die einige große Bergwerksgesellschaften dieser beiden Gebiete
zahlen konnten, beruhten, volkswirtschaftlich gesprochen, auf krebsartig-ungesunden
Wirtschaftsformen; und das Endergebnis war demgemäß entweder Bankrott,
oder aber Massenabwanderung der Digger von einer rasch abgebauten nach
irgendeiner anderen, oft Hunderte von Kilometern weit entfernten neuen Mine,
^ eine Erscheinung, die zwar oft wohl zur raschen Besiedlung und Erschließung
neuer Landstrecken geführt hat, aber dem dauernden gleichmäßigen Fortschritt
der Kolonien, vor allem der Entwicklung der Seßhaftigkeit sowie der durch sie
bedingten moralischen und geistigen Förderung der Ansiedler, keineswegs günstig
sein konnte. Auf dergleichen kommt es dem echten Briten ja auch erst in
allerletzter Linie an. und es spricht nur von richtiger Selbsteinschätzung, wenn
Z. B. die amtlichen kolonialen Berichte durchweg zuerst immer den finanziellen
Aufschwung der betreffenden Provinz erörtern, hinter dem dann bescheiden die
innere Entwicklung der Bevölkerung. Städtebau, Agrarverfassung. Schule und
Mission, kriminelle und soziale Bewegung erscheinen, — wenn von ihnen über¬
haupt je gesprochen wird.

Infolge dieses reinen und unentwegter wirtschaftspolitischen Gesichtspunktes
der englischen Kolonialpolitik ist auch das Maß der Freiheit und Rechte, das


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[0245] Handel und Freiheit in den englischen Kolonien finden des vom Habesch kommenden Blauen Nil abfangen und nutzbar machen will. Auch die in Witwatersrand und Koolgardie benutzten Maschinenanlagen scheinen technisch nicht gerade wesentliche Verbesserungen gegen die Zeit der Ent¬ deckung jener Goldminen um 1870 erfahren zu haben. — wenn man aus den erhältlichen Abbildungen und Berichten schließen darf. Hier wie überall kommt es dem britischen Kaufmann eben weniger auf vielleicht maßvolle, aber dauernde, als vielmehr auf vorübergehende, aber um so höhere Erträge und Leistungen an: so werden eher die Unkosten der Anlagen durch Weitergebrauch alter Maschinen und Methoden heruntergedrückt, als daß man sich durch Konstruktion und Er¬ probung neuer Verfahren und Geräte zu möglicherweise kostspielige» Experi¬ menten hinreißen ließe. Ohne diese ist aber ein dauernder Fortschritt der wirt¬ schaftlichen Erträge letzten Endes selbstredend unmöglich. So nimmt denn auch heute noch die eilfertige handelspolitische Ausnützung der im Kolonialboden liegenden Schätze mitunter geradezu die Formen offen¬ barsten Raubbaus an. War es so schon bei der englischen Hudsonbaikompanie und noch deutlicher bei der alten Ostindiengesellschaft im siebzehnten und acht¬ zehnten Jahrhundert der Fall, war schon die handelspolitische Ausnutzung durch das Mutterland mit die treibende Ursache zur Loslösung der dreizehn alten Vereinigten Staaten 1776, so blieb sie auch noch 1845 englisches Verfahren, als man die reichen Kupferminen von Burra-Burra in Südaustralien entdeckt hatte. Aus ihnen bezogen die Londoner Aktionäre mehrere Jahre lang 300 (!) Prozent Dividende — mit dem selbstverständlichen Erfolge, daß die Gruben mit einem Male so gut wie erschöpft waren; und ähnlich war es in einer ganzen Anzahl von Bergwerken in Oueensland und Südafrika auch noch in späterer Zeit. Die hohen Dividenden, die einige große Bergwerksgesellschaften dieser beiden Gebiete zahlen konnten, beruhten, volkswirtschaftlich gesprochen, auf krebsartig-ungesunden Wirtschaftsformen; und das Endergebnis war demgemäß entweder Bankrott, oder aber Massenabwanderung der Digger von einer rasch abgebauten nach irgendeiner anderen, oft Hunderte von Kilometern weit entfernten neuen Mine, ^ eine Erscheinung, die zwar oft wohl zur raschen Besiedlung und Erschließung neuer Landstrecken geführt hat, aber dem dauernden gleichmäßigen Fortschritt der Kolonien, vor allem der Entwicklung der Seßhaftigkeit sowie der durch sie bedingten moralischen und geistigen Förderung der Ansiedler, keineswegs günstig sein konnte. Auf dergleichen kommt es dem echten Briten ja auch erst in allerletzter Linie an. und es spricht nur von richtiger Selbsteinschätzung, wenn Z. B. die amtlichen kolonialen Berichte durchweg zuerst immer den finanziellen Aufschwung der betreffenden Provinz erörtern, hinter dem dann bescheiden die innere Entwicklung der Bevölkerung. Städtebau, Agrarverfassung. Schule und Mission, kriminelle und soziale Bewegung erscheinen, — wenn von ihnen über¬ haupt je gesprochen wird. Infolge dieses reinen und unentwegter wirtschaftspolitischen Gesichtspunktes der englischen Kolonialpolitik ist auch das Maß der Freiheit und Rechte, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/245>, abgerufen am 02.07.2024.