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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Handel und Freiheit in den englischen Kolonien

Förderung des Landes, den Bau von Brücken, Eisenbahnen, Leuchttürmen,
Molen und Kanälen nicht um des Selbstzweckes der Hebung des Landes und
seiner Eingeborenen willen, sondern ausschließlich um den kolonialen Staats¬
haushalt möglichst gleichförmig und möglichst hoch zu gestalten.

Darum nur die besondere englische "Fürsorge" für Indien, darum die
vielgepriesenen Eisenbahn- und Hochwasserbauten in Ägypten: ohne sie würden
eben Schwankungen im Haushalte der Kolonien eintreten, die aller menschlichen
Voranschläge spotten und jede dauernde Rentierungspolitik unmöglich machen.
Unterscheiden sich doch z. B. die Einnahmen aus Zöllen, Steuern und Verkäufen
in normal guten Jahren von denen einer außergewöhnlichen Dürre oft um ein
Vielfaches! Solche maßlosen Schwankungen müssen nicht nur wirtschaftlich,
sondern vor allem moralisch und politisch unberechenbare Folgen haben; und
erlauben anderseits auch nicht entfernt die gehörige Deckung der sehr hohen
regelmäßigen Ausgaben von Gehältern, Sold. Zinscndienst usw. In Ägypten,
wo seit Alters nur der bewässerte Boden besteuert wurde, und die einzig reali¬
sierbaren Werte des Landes im Ertrag des Halmes liegen, mußte das selbst¬
verständliche Bestreben jeder finanzpolitisch einigermaßen einsichtigen Verwaltung
mit Naturnotwendigkeit auf Mehrung der künstlichen Wasserzufuhr bedacht sein,
wenn anders der Staatsschatz nicht die berüchtigte Inkongruenz der ersten khedi-
vischen Zeit aufweisen und zugleich auch die Rohstoffversorgung der Manchester
Baumwollfabriken und mit ihr Dutzende von abhängigen Industriezweigen in
der Heimat ins Stocken geraten sollte. Auf diesem Wege finanzpolitischer
Gesundung waren den Engländern übrigens schon Napoleon der Erste und der
Khedive Ismail Pascha -- beide allerdings mit unzulänglichen Mitteln --
vorangegangen: ein Zeichen spezifischer Begabung der englischen Weltwirtschafts¬
politik ist er nicht.

Um welche Werte es sich dabei immerhin handelt, zeigen die Steuer-
ergebnisse für Ägypten und Indien: im letzteren betrugen allein die Einnahmen
für geliefertes Wasser an 100 Millionen Mark jährlich. Und in Ägypten sind
die Erträge seit Errichtung der Dämme von Assuan und Edfu andauernd und
erheblich gestiegen. Übrigens verzinsen sich auch die großen Stauanlagen Indiens,
so die des Godawari und Kaweri, zum Teil sehr gut -- einige bis zu 40 und
mehr Prozent --, während einige andere, meist mittlere und kleinere Anlagen,
wohl infolge schlechter technischer Veranschlagung entweder nur eben den Zinsen¬
dienst decken oder gar keinen Nutzen abwerfen. Daß überhaupt die rein
technische Seite dieser Staubecken und Flußwehre keineswegs etwa meisterhaft
ist -- jedenfalls den entsprechenden deutschen und amerikanischen Leistungen
nicht entfernt die Wage halten kann --, zeigt sich aus den häufigen nachträg-
lichen Erweiterungs-, Ergänzungs- und Umbauten: hat man doch die 1904
für 40 Millionen Mark fertiggestellte Sperre von Assuan schon 1907 erweitern
müssen, um bald darauf festzustellen, daß eigentlich ein großes neues Becken
viel weiter oberhalb erforderlich wäre, wenn man die furchtbarsten Schlamm-


Handel und Freiheit in den englischen Kolonien

Förderung des Landes, den Bau von Brücken, Eisenbahnen, Leuchttürmen,
Molen und Kanälen nicht um des Selbstzweckes der Hebung des Landes und
seiner Eingeborenen willen, sondern ausschließlich um den kolonialen Staats¬
haushalt möglichst gleichförmig und möglichst hoch zu gestalten.

Darum nur die besondere englische „Fürsorge" für Indien, darum die
vielgepriesenen Eisenbahn- und Hochwasserbauten in Ägypten: ohne sie würden
eben Schwankungen im Haushalte der Kolonien eintreten, die aller menschlichen
Voranschläge spotten und jede dauernde Rentierungspolitik unmöglich machen.
Unterscheiden sich doch z. B. die Einnahmen aus Zöllen, Steuern und Verkäufen
in normal guten Jahren von denen einer außergewöhnlichen Dürre oft um ein
Vielfaches! Solche maßlosen Schwankungen müssen nicht nur wirtschaftlich,
sondern vor allem moralisch und politisch unberechenbare Folgen haben; und
erlauben anderseits auch nicht entfernt die gehörige Deckung der sehr hohen
regelmäßigen Ausgaben von Gehältern, Sold. Zinscndienst usw. In Ägypten,
wo seit Alters nur der bewässerte Boden besteuert wurde, und die einzig reali¬
sierbaren Werte des Landes im Ertrag des Halmes liegen, mußte das selbst¬
verständliche Bestreben jeder finanzpolitisch einigermaßen einsichtigen Verwaltung
mit Naturnotwendigkeit auf Mehrung der künstlichen Wasserzufuhr bedacht sein,
wenn anders der Staatsschatz nicht die berüchtigte Inkongruenz der ersten khedi-
vischen Zeit aufweisen und zugleich auch die Rohstoffversorgung der Manchester
Baumwollfabriken und mit ihr Dutzende von abhängigen Industriezweigen in
der Heimat ins Stocken geraten sollte. Auf diesem Wege finanzpolitischer
Gesundung waren den Engländern übrigens schon Napoleon der Erste und der
Khedive Ismail Pascha — beide allerdings mit unzulänglichen Mitteln —
vorangegangen: ein Zeichen spezifischer Begabung der englischen Weltwirtschafts¬
politik ist er nicht.

Um welche Werte es sich dabei immerhin handelt, zeigen die Steuer-
ergebnisse für Ägypten und Indien: im letzteren betrugen allein die Einnahmen
für geliefertes Wasser an 100 Millionen Mark jährlich. Und in Ägypten sind
die Erträge seit Errichtung der Dämme von Assuan und Edfu andauernd und
erheblich gestiegen. Übrigens verzinsen sich auch die großen Stauanlagen Indiens,
so die des Godawari und Kaweri, zum Teil sehr gut — einige bis zu 40 und
mehr Prozent —, während einige andere, meist mittlere und kleinere Anlagen,
wohl infolge schlechter technischer Veranschlagung entweder nur eben den Zinsen¬
dienst decken oder gar keinen Nutzen abwerfen. Daß überhaupt die rein
technische Seite dieser Staubecken und Flußwehre keineswegs etwa meisterhaft
ist — jedenfalls den entsprechenden deutschen und amerikanischen Leistungen
nicht entfernt die Wage halten kann —, zeigt sich aus den häufigen nachträg-
lichen Erweiterungs-, Ergänzungs- und Umbauten: hat man doch die 1904
für 40 Millionen Mark fertiggestellte Sperre von Assuan schon 1907 erweitern
müssen, um bald darauf festzustellen, daß eigentlich ein großes neues Becken
viel weiter oberhalb erforderlich wäre, wenn man die furchtbarsten Schlamm-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/244>, abgerufen am 02.07.2024.