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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Handel und Freiheit in den englischen Kolonien

und trotz der nicht unerheblichen Unkosten infolge der Aufstände des Mahdi
und des Mullah noch immerhin um etwa vierzig Prozent steigen konnten.
Ebenso ist in Indien und Ceylon nicht nur das Areal der Teepflanzungen
beständig gewachsen, sondern auch der Ertrag ist mit doppelter Geschwindigkeit
gestiegen: ein Ergebnis der guten Arbeitsmethoden und der künstlichen Be¬
wässerung durch das dichte Netz von Kanälen, Stauwehren und Schleusen¬
anlagen, das britischer Unternehmungsgeist im alten Wunderlande geschaffen hat.
Während nach der Schätzung der englischen Behörden früher mitunter in einem
einzigen Jahre der Dürre bis zu neunzig Prozent des Viehbestandes ganzer
Provinzen Indiens zugrunde gingen, was Not und Seuchen im Gefolge
hatte, hat sich der Bestand an lebendem Fleisch jetzt seit Jahren dauernd ge¬
hoben, die Landbestellung gebessert, und mit ihr zugleich auch die Lebens- und
Steuerkraft von Millionen kleiner Bauern, die außer ihrem Acker nicht eben
viel irdisches Gut ihr eigen nennen können. In welchem Maße diese Ver¬
besserung der Bewirtschaftung unter anderem gerade auf den Wohlstand der
Eingeborenen eingewirkt hat, ergibt sich aus den Angaben der letzten amtlichen
"Reports" für den Sudan, wonach die Steuerkraft der Provinz in den ersten
zehn Jahren nach der Besetzung auf das zehnfache gestiegen ist, und dies, wie
ausdrücklich bemerkt wird, hauptsächlich infolge der Erschließung von Wasser,
Anlage von Pumpwerken und dergleichen.

Denn das eine ist klar, und nach den bekannten kolonialpolitischen Methoden
Englands zufolge als Kern- und Zielpunkt jeder administrativen Fürsorge des
Mutterlandes geradezu selbstverständlich: die britische Verwaltung tut für die
Eingeborenen alles mögliche, aber eben nur wenn und soweit es, ohne die
politische Machtstellung des herrschenden Staates auch nur im geringsten in
Frage zu stellen, die Steuer- und Handelsergiebigkeit des Koloniallandes
steigern kann. Denn daß diese Politik der wirtschaftlichen Erschließung ganz
und gar nicht, -- wie britische Imperialisten gern behaupten, -- aus selbst¬
losen, höchst moralischem Interesse am bloßen Gedeihen des kolonialen Menschen¬
gutes befolgt wird, dafür spricht schon zunächst die alterwiesene Raubbau¬
politik der angelsächsischen Handelskompanien des siebzehnten und achtzehnten
Jahrhunderts, von denen damals die Inder urteilten: "sie sind wie Teufel,
sie saugen uns aus und tun nur Schlechtes," dafür spricht auch vor
allem die hier nicht weiter zu erörternde geringe Fürsorge für die sittliche und
geistige Förderung der Eingeborenen; aber es liegt eben nach altenglischer
Auffassung eine gute Kapitalsanlage im überseeischen Boden und -- wenigstens
mitunter -- auch im eingeborenen Menschengut. Diese Aussicht auf eine
dauernde, gleichmäßige und gleichmäßig wachsende Rente beherrscht die ganze
koloniale Wirtschaftspolitik Groß-Britanniens: ja sie bestimmt im Grunde auch
seine ganze staatsrechtliche Entwicklung. Das geht auch deutlich genug aus
den so rosig gemalten Berichten der Statthalter, Generalkonsule, Residenten
usw. an das Londoner Kolonialamt hervor. Man betreibt die wirtschaftliche


Handel und Freiheit in den englischen Kolonien

und trotz der nicht unerheblichen Unkosten infolge der Aufstände des Mahdi
und des Mullah noch immerhin um etwa vierzig Prozent steigen konnten.
Ebenso ist in Indien und Ceylon nicht nur das Areal der Teepflanzungen
beständig gewachsen, sondern auch der Ertrag ist mit doppelter Geschwindigkeit
gestiegen: ein Ergebnis der guten Arbeitsmethoden und der künstlichen Be¬
wässerung durch das dichte Netz von Kanälen, Stauwehren und Schleusen¬
anlagen, das britischer Unternehmungsgeist im alten Wunderlande geschaffen hat.
Während nach der Schätzung der englischen Behörden früher mitunter in einem
einzigen Jahre der Dürre bis zu neunzig Prozent des Viehbestandes ganzer
Provinzen Indiens zugrunde gingen, was Not und Seuchen im Gefolge
hatte, hat sich der Bestand an lebendem Fleisch jetzt seit Jahren dauernd ge¬
hoben, die Landbestellung gebessert, und mit ihr zugleich auch die Lebens- und
Steuerkraft von Millionen kleiner Bauern, die außer ihrem Acker nicht eben
viel irdisches Gut ihr eigen nennen können. In welchem Maße diese Ver¬
besserung der Bewirtschaftung unter anderem gerade auf den Wohlstand der
Eingeborenen eingewirkt hat, ergibt sich aus den Angaben der letzten amtlichen
„Reports" für den Sudan, wonach die Steuerkraft der Provinz in den ersten
zehn Jahren nach der Besetzung auf das zehnfache gestiegen ist, und dies, wie
ausdrücklich bemerkt wird, hauptsächlich infolge der Erschließung von Wasser,
Anlage von Pumpwerken und dergleichen.

Denn das eine ist klar, und nach den bekannten kolonialpolitischen Methoden
Englands zufolge als Kern- und Zielpunkt jeder administrativen Fürsorge des
Mutterlandes geradezu selbstverständlich: die britische Verwaltung tut für die
Eingeborenen alles mögliche, aber eben nur wenn und soweit es, ohne die
politische Machtstellung des herrschenden Staates auch nur im geringsten in
Frage zu stellen, die Steuer- und Handelsergiebigkeit des Koloniallandes
steigern kann. Denn daß diese Politik der wirtschaftlichen Erschließung ganz
und gar nicht, — wie britische Imperialisten gern behaupten, — aus selbst¬
losen, höchst moralischem Interesse am bloßen Gedeihen des kolonialen Menschen¬
gutes befolgt wird, dafür spricht schon zunächst die alterwiesene Raubbau¬
politik der angelsächsischen Handelskompanien des siebzehnten und achtzehnten
Jahrhunderts, von denen damals die Inder urteilten: „sie sind wie Teufel,
sie saugen uns aus und tun nur Schlechtes," dafür spricht auch vor
allem die hier nicht weiter zu erörternde geringe Fürsorge für die sittliche und
geistige Förderung der Eingeborenen; aber es liegt eben nach altenglischer
Auffassung eine gute Kapitalsanlage im überseeischen Boden und — wenigstens
mitunter — auch im eingeborenen Menschengut. Diese Aussicht auf eine
dauernde, gleichmäßige und gleichmäßig wachsende Rente beherrscht die ganze
koloniale Wirtschaftspolitik Groß-Britanniens: ja sie bestimmt im Grunde auch
seine ganze staatsrechtliche Entwicklung. Das geht auch deutlich genug aus
den so rosig gemalten Berichten der Statthalter, Generalkonsule, Residenten
usw. an das Londoner Kolonialamt hervor. Man betreibt die wirtschaftliche


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[0243] Handel und Freiheit in den englischen Kolonien und trotz der nicht unerheblichen Unkosten infolge der Aufstände des Mahdi und des Mullah noch immerhin um etwa vierzig Prozent steigen konnten. Ebenso ist in Indien und Ceylon nicht nur das Areal der Teepflanzungen beständig gewachsen, sondern auch der Ertrag ist mit doppelter Geschwindigkeit gestiegen: ein Ergebnis der guten Arbeitsmethoden und der künstlichen Be¬ wässerung durch das dichte Netz von Kanälen, Stauwehren und Schleusen¬ anlagen, das britischer Unternehmungsgeist im alten Wunderlande geschaffen hat. Während nach der Schätzung der englischen Behörden früher mitunter in einem einzigen Jahre der Dürre bis zu neunzig Prozent des Viehbestandes ganzer Provinzen Indiens zugrunde gingen, was Not und Seuchen im Gefolge hatte, hat sich der Bestand an lebendem Fleisch jetzt seit Jahren dauernd ge¬ hoben, die Landbestellung gebessert, und mit ihr zugleich auch die Lebens- und Steuerkraft von Millionen kleiner Bauern, die außer ihrem Acker nicht eben viel irdisches Gut ihr eigen nennen können. In welchem Maße diese Ver¬ besserung der Bewirtschaftung unter anderem gerade auf den Wohlstand der Eingeborenen eingewirkt hat, ergibt sich aus den Angaben der letzten amtlichen „Reports" für den Sudan, wonach die Steuerkraft der Provinz in den ersten zehn Jahren nach der Besetzung auf das zehnfache gestiegen ist, und dies, wie ausdrücklich bemerkt wird, hauptsächlich infolge der Erschließung von Wasser, Anlage von Pumpwerken und dergleichen. Denn das eine ist klar, und nach den bekannten kolonialpolitischen Methoden Englands zufolge als Kern- und Zielpunkt jeder administrativen Fürsorge des Mutterlandes geradezu selbstverständlich: die britische Verwaltung tut für die Eingeborenen alles mögliche, aber eben nur wenn und soweit es, ohne die politische Machtstellung des herrschenden Staates auch nur im geringsten in Frage zu stellen, die Steuer- und Handelsergiebigkeit des Koloniallandes steigern kann. Denn daß diese Politik der wirtschaftlichen Erschließung ganz und gar nicht, — wie britische Imperialisten gern behaupten, — aus selbst¬ losen, höchst moralischem Interesse am bloßen Gedeihen des kolonialen Menschen¬ gutes befolgt wird, dafür spricht schon zunächst die alterwiesene Raubbau¬ politik der angelsächsischen Handelskompanien des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, von denen damals die Inder urteilten: „sie sind wie Teufel, sie saugen uns aus und tun nur Schlechtes," dafür spricht auch vor allem die hier nicht weiter zu erörternde geringe Fürsorge für die sittliche und geistige Förderung der Eingeborenen; aber es liegt eben nach altenglischer Auffassung eine gute Kapitalsanlage im überseeischen Boden und — wenigstens mitunter — auch im eingeborenen Menschengut. Diese Aussicht auf eine dauernde, gleichmäßige und gleichmäßig wachsende Rente beherrscht die ganze koloniale Wirtschaftspolitik Groß-Britanniens: ja sie bestimmt im Grunde auch seine ganze staatsrechtliche Entwicklung. Das geht auch deutlich genug aus den so rosig gemalten Berichten der Statthalter, Generalkonsule, Residenten usw. an das Londoner Kolonialamt hervor. Man betreibt die wirtschaftliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/243>, abgerufen am 02.07.2024.