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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Bemerkungen zur osteuropäischen Frage

Deutschland müsse es sich im Friedensschluß ausbedingen, daß Rußland jedes
Jahr einigen Hunderttausend dieser Weißrussen Land in Sibirien anweise.
Rußland werde gern darauf eingehen und Deutschland brauche den Auswandernden
nur ein mäßiges Reisegeld zu zahlen, um ihr Land für Ansiedelungszwecke zu be¬
kommen. In fünfzig Jahren würden gewiß angesichts der großen Fruchtbarkeit
der Deutschen auf billigem Boden zehn Millionen Deutsche in diesen drei
Provinzen wohnen. Im Bedürfnisfall könne Deutschland ebenso im westlichen
Kleinrußland vorgehen. In Wolhvnien und Podolien schieße schon jetzt eine
starke deutsche Bauernbevölkerung empor. Die natürliche Entwicklung brauche
nur von Deutschland kräftig gefördert zu werden, um auch Kleinrußland im
Laufe der Zeit zu einer deuischen Siedelungskolonie werden zu lassen.

Weljaminow schloß seine Ausführungen mit den Worten, daß er als
deutscher Staatsmann gesprochen habe. Als russischer Patriot freue er sich
darüber, daß man es in Berlin nicht merke, wo dem deutschen Volke der Schuh
drücke, und daß man offenbar dort nicht daran denke, dem deutschen Volke in
Westrußland eine Siedelungskolonie zu schaffen. Vielleicht werde Rußland die
nötige Zeit gewährt werden, um sich gegen den deutschen Drang nach Osten
zu schützen. . . .

Als ich am ersten Mobilmachungstage in Königsberg i. Pr. auf dem
Herzogsacker war, lernte ich einen Deutschen aus Witebsk kennen, der sich dem
Bezirkskommando stellen wollte. Er stammte aus Sachsen, war Wirtschafter
gewesen und von der Posener Landwirtschaftskammer als Inspektor an einen
Grundherrn im Gouvernement Witebsk empfohlen worden. Schon nach einem
Jahre bot ihm der Grundherr 1000 Dessjatinen, d. h. 4000 Morgen schönen,
aber unbenutzt daliegenden Boden zur Pacht an: der Deutsche baute sich die
nötigen Holzgebäude, richtete sich seine Wirtschaft praktisch ein und wurde auf
seiner großen Pachtung ein wohlhabender Mann. Er verheiratete sich, ließ sich
aber nicht naturalisieren. Schon vor Ausbruch des Krieges wurde er zum
letzten Juli von der russischen Polizei ausgewiesen. All sein Hab und Gut
im Stich lassend, mußte er nach Königsberg flüchten. Er sprach mit großer
Verachtung von Staat und Volk in Nußland. Er meinte, Deutschland müsse
Witebsk erobern, das russische Gesinde! nach Sibirien abschieben und das
herrliche, fruchtbare Land mit Deutschen besetzen. Deutschland sei gar zu eng
und gar zu voll von Mens per. In Deutschland wäre er mit 40 Jahren weiter
nichts geworden als ein unverheirateter Inspektor, in Witebsk, wo das Land
so billig sei, habe er es zu etwas bringen können. Er hoffe, aus der Kriegs¬
entschädigung seine großen Verluste ersetzt zu bekommen und unter deutscher
Verwaltung im deutschen Witebsk seiue Tage zu beschließen.




Bemerkungen zur osteuropäischen Frage

Deutschland müsse es sich im Friedensschluß ausbedingen, daß Rußland jedes
Jahr einigen Hunderttausend dieser Weißrussen Land in Sibirien anweise.
Rußland werde gern darauf eingehen und Deutschland brauche den Auswandernden
nur ein mäßiges Reisegeld zu zahlen, um ihr Land für Ansiedelungszwecke zu be¬
kommen. In fünfzig Jahren würden gewiß angesichts der großen Fruchtbarkeit
der Deutschen auf billigem Boden zehn Millionen Deutsche in diesen drei
Provinzen wohnen. Im Bedürfnisfall könne Deutschland ebenso im westlichen
Kleinrußland vorgehen. In Wolhvnien und Podolien schieße schon jetzt eine
starke deutsche Bauernbevölkerung empor. Die natürliche Entwicklung brauche
nur von Deutschland kräftig gefördert zu werden, um auch Kleinrußland im
Laufe der Zeit zu einer deuischen Siedelungskolonie werden zu lassen.

Weljaminow schloß seine Ausführungen mit den Worten, daß er als
deutscher Staatsmann gesprochen habe. Als russischer Patriot freue er sich
darüber, daß man es in Berlin nicht merke, wo dem deutschen Volke der Schuh
drücke, und daß man offenbar dort nicht daran denke, dem deutschen Volke in
Westrußland eine Siedelungskolonie zu schaffen. Vielleicht werde Rußland die
nötige Zeit gewährt werden, um sich gegen den deutschen Drang nach Osten
zu schützen. . . .

Als ich am ersten Mobilmachungstage in Königsberg i. Pr. auf dem
Herzogsacker war, lernte ich einen Deutschen aus Witebsk kennen, der sich dem
Bezirkskommando stellen wollte. Er stammte aus Sachsen, war Wirtschafter
gewesen und von der Posener Landwirtschaftskammer als Inspektor an einen
Grundherrn im Gouvernement Witebsk empfohlen worden. Schon nach einem
Jahre bot ihm der Grundherr 1000 Dessjatinen, d. h. 4000 Morgen schönen,
aber unbenutzt daliegenden Boden zur Pacht an: der Deutsche baute sich die
nötigen Holzgebäude, richtete sich seine Wirtschaft praktisch ein und wurde auf
seiner großen Pachtung ein wohlhabender Mann. Er verheiratete sich, ließ sich
aber nicht naturalisieren. Schon vor Ausbruch des Krieges wurde er zum
letzten Juli von der russischen Polizei ausgewiesen. All sein Hab und Gut
im Stich lassend, mußte er nach Königsberg flüchten. Er sprach mit großer
Verachtung von Staat und Volk in Nußland. Er meinte, Deutschland müsse
Witebsk erobern, das russische Gesinde! nach Sibirien abschieben und das
herrliche, fruchtbare Land mit Deutschen besetzen. Deutschland sei gar zu eng
und gar zu voll von Mens per. In Deutschland wäre er mit 40 Jahren weiter
nichts geworden als ein unverheirateter Inspektor, in Witebsk, wo das Land
so billig sei, habe er es zu etwas bringen können. Er hoffe, aus der Kriegs¬
entschädigung seine großen Verluste ersetzt zu bekommen und unter deutscher
Verwaltung im deutschen Witebsk seiue Tage zu beschließen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/240>, abgerufen am 02.07.2024.