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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Bemerkungen zur osteuropäischen Frage

Deutschland nicht saturiert, denn das deutsche Volk lebe in einem zu kleinen
Lande, das immer enger und kleiner werde. Es müßte sich ausdehnen. Wenn
Deutschland Eroberungen machen wolle, so sei das berechtigt und vernünftig.
Wenn Rußland und England ihre Gebiete ins Ungemessene vergrößerten, so
sei dazu kein Bedürfnis vorhanden, denn beide hätten für Jahrhunderte genug
Land zur Besiedelung. Sinnlos sei Frankreichs kolonialpolitischer Ehrgeiz, da
es ihm zur Besiedelung an Nachwuchs fehle. Deutschland habe starken Nach¬
wuchs, aber nur sehr ungenügende Kolonien, auch keine Aussichten, sich in
Übersee bessere zu erwerben. Man scheine das in Berlin nicht zu wissen, aber
-für jeden Russen, der sich in Deutschlands Lage versetzen könne, liege es auf
der Hand, daß Westrußland das gewiesene deutsche Kolonialgebiet sei. Als
deutscher Minister würde er zu gelegener Zeit Westrußland in deutschen Besitz
überführen. Polen müsse deutsch werden. Weljaminow hielt die Eindeutschung
der Polen für ebenso erfolglos wie ihre Verrussung. Die Entnationalisierung
eines so zahlreichen und selbstbewußten Volkes könne nur die Verblendung und
Schwerfälligkeit der russischen Tschinowiks, zu denen Weljaminow sich selbst
nicht zählte, für möglich halten. Auch sei es nicht möglich, die Polen zu ent¬
eignen. Dazu seien sie durch jahrhundertlangen persönlichen Grundbesitz zu
fest mit ihrem Erdboden verbunden. Auch traue er den Deutschen dazu nicht
die nötige Härte zu. Völlig untunlich sei es, den Polen das Reichsbürger-
und Reichstagswahlrecht zu verleihen. Als deutscher Staatsmann würde
er Polen wohl erobern, aber es auch als unterworfene Provinz dikta¬
torisch regieren lassen und ihm niemals das Reichsbürgerrecht verleihen.
Würde Deutschland dem diktatorisch regierten Polen polnische Schulen
und eine beschränkte Selbstverwaltung gewähren, so sei das genug.
Die Polen würden sich in ihr Geschick fügen und Deutschland könnte die
Wehr- und Steuerkräfte Polens für deutsche Zwecke ausnutzen. Ähnlich,
aber doch anders, müßte Deutschland das polnische Leben, nämlich die von
Litauern bewohnten Gebiete Kowno. Grodno, Wilna behandeln. Die Litauer
seien gleichfalls diktatorisch zu regieren und niemals mit dem Neichsbürgerrecht
auszustatten. Alle drei, besonders aber Kowno und Wilna, seien reich an
Sümpfen und Wäldern, die man ohne Grausamkeit in Staatsbesitz überführen
und zu Ansiedlungszwecken mit Deutschen besetzen könne. Es sei dort Raum
für mehrere Millionen vorhanden. Sei dieses Gebiet stark mit Deutschen
besiedelt, so werde sich auch die Eindeutschung der Litauer ganz von selbst
machen. Polen und Litauen müsse Deutschland besitzen, um sich den Weg in
sein eigentliches Kolonialgebiet hinein zu sichern, das zunächst in Minsk. Mohilew
und Witebsk zu suchen sei. Diese weißrussischen Provinzen seien sehr furchtbar
und menschenarm, die Bevölkerung halbnomadisch, träge, verkommen, ohne
Heimatsgefühl, jeden Augenblick bereit, den Acker herrenlos liegen zu lassen
und nach Sibirien auszuwandern. Diese Weißrussen nach Sibirien abzuschieben,
sei keine Härte und würde von ihnen als Begünstigung angesehen werden.


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Bemerkungen zur osteuropäischen Frage

Deutschland nicht saturiert, denn das deutsche Volk lebe in einem zu kleinen
Lande, das immer enger und kleiner werde. Es müßte sich ausdehnen. Wenn
Deutschland Eroberungen machen wolle, so sei das berechtigt und vernünftig.
Wenn Rußland und England ihre Gebiete ins Ungemessene vergrößerten, so
sei dazu kein Bedürfnis vorhanden, denn beide hätten für Jahrhunderte genug
Land zur Besiedelung. Sinnlos sei Frankreichs kolonialpolitischer Ehrgeiz, da
es ihm zur Besiedelung an Nachwuchs fehle. Deutschland habe starken Nach¬
wuchs, aber nur sehr ungenügende Kolonien, auch keine Aussichten, sich in
Übersee bessere zu erwerben. Man scheine das in Berlin nicht zu wissen, aber
-für jeden Russen, der sich in Deutschlands Lage versetzen könne, liege es auf
der Hand, daß Westrußland das gewiesene deutsche Kolonialgebiet sei. Als
deutscher Minister würde er zu gelegener Zeit Westrußland in deutschen Besitz
überführen. Polen müsse deutsch werden. Weljaminow hielt die Eindeutschung
der Polen für ebenso erfolglos wie ihre Verrussung. Die Entnationalisierung
eines so zahlreichen und selbstbewußten Volkes könne nur die Verblendung und
Schwerfälligkeit der russischen Tschinowiks, zu denen Weljaminow sich selbst
nicht zählte, für möglich halten. Auch sei es nicht möglich, die Polen zu ent¬
eignen. Dazu seien sie durch jahrhundertlangen persönlichen Grundbesitz zu
fest mit ihrem Erdboden verbunden. Auch traue er den Deutschen dazu nicht
die nötige Härte zu. Völlig untunlich sei es, den Polen das Reichsbürger-
und Reichstagswahlrecht zu verleihen. Als deutscher Staatsmann würde
er Polen wohl erobern, aber es auch als unterworfene Provinz dikta¬
torisch regieren lassen und ihm niemals das Reichsbürgerrecht verleihen.
Würde Deutschland dem diktatorisch regierten Polen polnische Schulen
und eine beschränkte Selbstverwaltung gewähren, so sei das genug.
Die Polen würden sich in ihr Geschick fügen und Deutschland könnte die
Wehr- und Steuerkräfte Polens für deutsche Zwecke ausnutzen. Ähnlich,
aber doch anders, müßte Deutschland das polnische Leben, nämlich die von
Litauern bewohnten Gebiete Kowno. Grodno, Wilna behandeln. Die Litauer
seien gleichfalls diktatorisch zu regieren und niemals mit dem Neichsbürgerrecht
auszustatten. Alle drei, besonders aber Kowno und Wilna, seien reich an
Sümpfen und Wäldern, die man ohne Grausamkeit in Staatsbesitz überführen
und zu Ansiedlungszwecken mit Deutschen besetzen könne. Es sei dort Raum
für mehrere Millionen vorhanden. Sei dieses Gebiet stark mit Deutschen
besiedelt, so werde sich auch die Eindeutschung der Litauer ganz von selbst
machen. Polen und Litauen müsse Deutschland besitzen, um sich den Weg in
sein eigentliches Kolonialgebiet hinein zu sichern, das zunächst in Minsk. Mohilew
und Witebsk zu suchen sei. Diese weißrussischen Provinzen seien sehr furchtbar
und menschenarm, die Bevölkerung halbnomadisch, träge, verkommen, ohne
Heimatsgefühl, jeden Augenblick bereit, den Acker herrenlos liegen zu lassen
und nach Sibirien auszuwandern. Diese Weißrussen nach Sibirien abzuschieben,
sei keine Härte und würde von ihnen als Begünstigung angesehen werden.


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[0239] Bemerkungen zur osteuropäischen Frage Deutschland nicht saturiert, denn das deutsche Volk lebe in einem zu kleinen Lande, das immer enger und kleiner werde. Es müßte sich ausdehnen. Wenn Deutschland Eroberungen machen wolle, so sei das berechtigt und vernünftig. Wenn Rußland und England ihre Gebiete ins Ungemessene vergrößerten, so sei dazu kein Bedürfnis vorhanden, denn beide hätten für Jahrhunderte genug Land zur Besiedelung. Sinnlos sei Frankreichs kolonialpolitischer Ehrgeiz, da es ihm zur Besiedelung an Nachwuchs fehle. Deutschland habe starken Nach¬ wuchs, aber nur sehr ungenügende Kolonien, auch keine Aussichten, sich in Übersee bessere zu erwerben. Man scheine das in Berlin nicht zu wissen, aber -für jeden Russen, der sich in Deutschlands Lage versetzen könne, liege es auf der Hand, daß Westrußland das gewiesene deutsche Kolonialgebiet sei. Als deutscher Minister würde er zu gelegener Zeit Westrußland in deutschen Besitz überführen. Polen müsse deutsch werden. Weljaminow hielt die Eindeutschung der Polen für ebenso erfolglos wie ihre Verrussung. Die Entnationalisierung eines so zahlreichen und selbstbewußten Volkes könne nur die Verblendung und Schwerfälligkeit der russischen Tschinowiks, zu denen Weljaminow sich selbst nicht zählte, für möglich halten. Auch sei es nicht möglich, die Polen zu ent¬ eignen. Dazu seien sie durch jahrhundertlangen persönlichen Grundbesitz zu fest mit ihrem Erdboden verbunden. Auch traue er den Deutschen dazu nicht die nötige Härte zu. Völlig untunlich sei es, den Polen das Reichsbürger- und Reichstagswahlrecht zu verleihen. Als deutscher Staatsmann würde er Polen wohl erobern, aber es auch als unterworfene Provinz dikta¬ torisch regieren lassen und ihm niemals das Reichsbürgerrecht verleihen. Würde Deutschland dem diktatorisch regierten Polen polnische Schulen und eine beschränkte Selbstverwaltung gewähren, so sei das genug. Die Polen würden sich in ihr Geschick fügen und Deutschland könnte die Wehr- und Steuerkräfte Polens für deutsche Zwecke ausnutzen. Ähnlich, aber doch anders, müßte Deutschland das polnische Leben, nämlich die von Litauern bewohnten Gebiete Kowno. Grodno, Wilna behandeln. Die Litauer seien gleichfalls diktatorisch zu regieren und niemals mit dem Neichsbürgerrecht auszustatten. Alle drei, besonders aber Kowno und Wilna, seien reich an Sümpfen und Wäldern, die man ohne Grausamkeit in Staatsbesitz überführen und zu Ansiedlungszwecken mit Deutschen besetzen könne. Es sei dort Raum für mehrere Millionen vorhanden. Sei dieses Gebiet stark mit Deutschen besiedelt, so werde sich auch die Eindeutschung der Litauer ganz von selbst machen. Polen und Litauen müsse Deutschland besitzen, um sich den Weg in sein eigentliches Kolonialgebiet hinein zu sichern, das zunächst in Minsk. Mohilew und Witebsk zu suchen sei. Diese weißrussischen Provinzen seien sehr furchtbar und menschenarm, die Bevölkerung halbnomadisch, träge, verkommen, ohne Heimatsgefühl, jeden Augenblick bereit, den Acker herrenlos liegen zu lassen und nach Sibirien auszuwandern. Diese Weißrussen nach Sibirien abzuschieben, sei keine Härte und würde von ihnen als Begünstigung angesehen werden. 15*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/239>, abgerufen am 02.07.2024.