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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Der Vernichtungskampf gegen das Deutschtum in Rußland

Seen gelegen ist, auf denen sich die militärischen Maßnahmen der Deutschen
entwickeln.

"Im Dorfe Tynec bei Kalisch erwarb vor vier Jahren der Deutsche Stenzel
einige Dessjatin Land und baute darauf eine Ziegelei, die er sehr solide auf
einer Anhöhe aufführte, hinter der tief eingeschnitten eine Holzbrücke über den
Fluß Swender gebaut war, der einzige Übergang der Lodz--Kalischer Chaussee.
Gleich nach dem Einzuge der Preußen in Kalisch erkundigten sie sich nach der
Ziegelei von Stenzel und schritten an ihre Befestigung durch Gräben, Wolfs¬
gruben, Drahtverhaue usw., wodurch die Ziegelei in ein richtiges Fort umge¬
wandelt wurde.

"Im Gouvernement Bessarabien wurde 1911 und 1912 der Übergang
von 11 S00 Dessjatinen Gutsland in die Hände deutscher Kolonisten festgestellt.
Der Gouverneur hat bei den Personen deutscher Herkunft, wenn auch russischer
Untertanenschaft das Streben festgestellt, Land in der Nähe von Punkten
strategischer Bedeutung zu erwerben. Aufmerksamkeit verdient auch die Tatsache,
daß, während in anderen Gouvernements deutsche Siedler sich abseits (nanu?
ich denke, sie konzentrieren sich an den strategischen Linien?! G. Cl.) der
Eisenbahn festsetzten, in Bessarabien das Entgegengesetzte der Fall war; nämlich
in Bessarabien gehen die projektierten und neu gebauten Eisenbahnen aus¬
schließlich durch deutsche Kolonien und es entstanden sogar Winkel, um es zu
ermöglichen, daß das Zentrum der Kolonien durchschnitten wurde, während
russische Besitzungen so sorgsam umgangen wurden, daß keine von ihnen selbst
in die Nähe der Bahn zu liegen kam. Die Tatsache erklärt sich dadurch, daß
die Eisenbahntrace unter Mitwirkung der Sjemstwo festgestellt wurde und die
Sjemstwo befindet sich ganz in den Händen der deutschen Kolonisten."

Der Leser wird sich gleich dem Übersetzer der Denkschrift wohl wiederholt
gefragt haben, ob wirklich ein solch blühender Unsinn von Ministern des größten
Reichs der Erde vorgetragen werden kann, ob es sich nicht um eine Fälschung
oder um Mißbrauch handelt. Nein, es ist die amtliche Denkschrift des russischen
Ministers des Innern, der sich damit an den Ministerrat und die zwischenbehörd¬
liche Kommission wendet, die gegenwärtig höchsten Gesetze vorbereitenden Instanzen
in Rußland. Die russischen Zeitungen müssen diesen Unsinn abdrucken und ihren
Lesern vorsetzen. Mit welchem inneren Widerspruch das geschieht, kann man
daraus folgern, daß die großen Blätter immer wieder in den Text einfügen:
"sagt, meint, berichtet die amtliche Denkschrift". -- Redaktionen von einiger
Gewissenhaftigkeit mögen sich also nicht mit dem identifizieren, was Herr
Maklakow zur Begründung seines Entwurfs ausführt.

Wichtig ist der Umstand, daß das Gesetz als ein Notgesetz auf Grund des
Artikels 87 der Staatsgrundgesetze eingeführt werden soll, also vorläufig der
Mitwirkung der Reichsduma und des Reichsrath entzogen bleibt. Zur Be¬
gründung dieses Vorgehens heißt es: "Ein solches Vorgehen kann seine Be¬
rechtigung finden einmal in der Außerordentlichkeit des durchlebten historischen


Der Vernichtungskampf gegen das Deutschtum in Rußland

Seen gelegen ist, auf denen sich die militärischen Maßnahmen der Deutschen
entwickeln.

„Im Dorfe Tynec bei Kalisch erwarb vor vier Jahren der Deutsche Stenzel
einige Dessjatin Land und baute darauf eine Ziegelei, die er sehr solide auf
einer Anhöhe aufführte, hinter der tief eingeschnitten eine Holzbrücke über den
Fluß Swender gebaut war, der einzige Übergang der Lodz—Kalischer Chaussee.
Gleich nach dem Einzuge der Preußen in Kalisch erkundigten sie sich nach der
Ziegelei von Stenzel und schritten an ihre Befestigung durch Gräben, Wolfs¬
gruben, Drahtverhaue usw., wodurch die Ziegelei in ein richtiges Fort umge¬
wandelt wurde.

„Im Gouvernement Bessarabien wurde 1911 und 1912 der Übergang
von 11 S00 Dessjatinen Gutsland in die Hände deutscher Kolonisten festgestellt.
Der Gouverneur hat bei den Personen deutscher Herkunft, wenn auch russischer
Untertanenschaft das Streben festgestellt, Land in der Nähe von Punkten
strategischer Bedeutung zu erwerben. Aufmerksamkeit verdient auch die Tatsache,
daß, während in anderen Gouvernements deutsche Siedler sich abseits (nanu?
ich denke, sie konzentrieren sich an den strategischen Linien?! G. Cl.) der
Eisenbahn festsetzten, in Bessarabien das Entgegengesetzte der Fall war; nämlich
in Bessarabien gehen die projektierten und neu gebauten Eisenbahnen aus¬
schließlich durch deutsche Kolonien und es entstanden sogar Winkel, um es zu
ermöglichen, daß das Zentrum der Kolonien durchschnitten wurde, während
russische Besitzungen so sorgsam umgangen wurden, daß keine von ihnen selbst
in die Nähe der Bahn zu liegen kam. Die Tatsache erklärt sich dadurch, daß
die Eisenbahntrace unter Mitwirkung der Sjemstwo festgestellt wurde und die
Sjemstwo befindet sich ganz in den Händen der deutschen Kolonisten."

Der Leser wird sich gleich dem Übersetzer der Denkschrift wohl wiederholt
gefragt haben, ob wirklich ein solch blühender Unsinn von Ministern des größten
Reichs der Erde vorgetragen werden kann, ob es sich nicht um eine Fälschung
oder um Mißbrauch handelt. Nein, es ist die amtliche Denkschrift des russischen
Ministers des Innern, der sich damit an den Ministerrat und die zwischenbehörd¬
liche Kommission wendet, die gegenwärtig höchsten Gesetze vorbereitenden Instanzen
in Rußland. Die russischen Zeitungen müssen diesen Unsinn abdrucken und ihren
Lesern vorsetzen. Mit welchem inneren Widerspruch das geschieht, kann man
daraus folgern, daß die großen Blätter immer wieder in den Text einfügen:
„sagt, meint, berichtet die amtliche Denkschrift". — Redaktionen von einiger
Gewissenhaftigkeit mögen sich also nicht mit dem identifizieren, was Herr
Maklakow zur Begründung seines Entwurfs ausführt.

Wichtig ist der Umstand, daß das Gesetz als ein Notgesetz auf Grund des
Artikels 87 der Staatsgrundgesetze eingeführt werden soll, also vorläufig der
Mitwirkung der Reichsduma und des Reichsrath entzogen bleibt. Zur Be¬
gründung dieses Vorgehens heißt es: „Ein solches Vorgehen kann seine Be¬
rechtigung finden einmal in der Außerordentlichkeit des durchlebten historischen


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[0216] Der Vernichtungskampf gegen das Deutschtum in Rußland Seen gelegen ist, auf denen sich die militärischen Maßnahmen der Deutschen entwickeln. „Im Dorfe Tynec bei Kalisch erwarb vor vier Jahren der Deutsche Stenzel einige Dessjatin Land und baute darauf eine Ziegelei, die er sehr solide auf einer Anhöhe aufführte, hinter der tief eingeschnitten eine Holzbrücke über den Fluß Swender gebaut war, der einzige Übergang der Lodz—Kalischer Chaussee. Gleich nach dem Einzuge der Preußen in Kalisch erkundigten sie sich nach der Ziegelei von Stenzel und schritten an ihre Befestigung durch Gräben, Wolfs¬ gruben, Drahtverhaue usw., wodurch die Ziegelei in ein richtiges Fort umge¬ wandelt wurde. „Im Gouvernement Bessarabien wurde 1911 und 1912 der Übergang von 11 S00 Dessjatinen Gutsland in die Hände deutscher Kolonisten festgestellt. Der Gouverneur hat bei den Personen deutscher Herkunft, wenn auch russischer Untertanenschaft das Streben festgestellt, Land in der Nähe von Punkten strategischer Bedeutung zu erwerben. Aufmerksamkeit verdient auch die Tatsache, daß, während in anderen Gouvernements deutsche Siedler sich abseits (nanu? ich denke, sie konzentrieren sich an den strategischen Linien?! G. Cl.) der Eisenbahn festsetzten, in Bessarabien das Entgegengesetzte der Fall war; nämlich in Bessarabien gehen die projektierten und neu gebauten Eisenbahnen aus¬ schließlich durch deutsche Kolonien und es entstanden sogar Winkel, um es zu ermöglichen, daß das Zentrum der Kolonien durchschnitten wurde, während russische Besitzungen so sorgsam umgangen wurden, daß keine von ihnen selbst in die Nähe der Bahn zu liegen kam. Die Tatsache erklärt sich dadurch, daß die Eisenbahntrace unter Mitwirkung der Sjemstwo festgestellt wurde und die Sjemstwo befindet sich ganz in den Händen der deutschen Kolonisten." Der Leser wird sich gleich dem Übersetzer der Denkschrift wohl wiederholt gefragt haben, ob wirklich ein solch blühender Unsinn von Ministern des größten Reichs der Erde vorgetragen werden kann, ob es sich nicht um eine Fälschung oder um Mißbrauch handelt. Nein, es ist die amtliche Denkschrift des russischen Ministers des Innern, der sich damit an den Ministerrat und die zwischenbehörd¬ liche Kommission wendet, die gegenwärtig höchsten Gesetze vorbereitenden Instanzen in Rußland. Die russischen Zeitungen müssen diesen Unsinn abdrucken und ihren Lesern vorsetzen. Mit welchem inneren Widerspruch das geschieht, kann man daraus folgern, daß die großen Blätter immer wieder in den Text einfügen: „sagt, meint, berichtet die amtliche Denkschrift". — Redaktionen von einiger Gewissenhaftigkeit mögen sich also nicht mit dem identifizieren, was Herr Maklakow zur Begründung seines Entwurfs ausführt. Wichtig ist der Umstand, daß das Gesetz als ein Notgesetz auf Grund des Artikels 87 der Staatsgrundgesetze eingeführt werden soll, also vorläufig der Mitwirkung der Reichsduma und des Reichsrath entzogen bleibt. Zur Be¬ gründung dieses Vorgehens heißt es: „Ein solches Vorgehen kann seine Be¬ rechtigung finden einmal in der Außerordentlichkeit des durchlebten historischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/216>, abgerufen am 02.07.2024.