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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Der Vernichtungskampf gegen das Deutschtum in Rußland

"Im Jahre 1913 meldete der Gouverneur von Ssuwalki, daß der deutsche
Besitz fünf von Hundert der Gesamtfläche des ihm anvertrauten Gouvernements
ausmache. Die Zahl der deutschen Einwanderung habe 34000 Seelen betragen,
wobei vor allen Dingen die an Preußen grenzenden Bezirke besiedelt
wurden.

"Beim Ankauf von Land verzögerten die Deutschen die Zahlungen nicht
und zahlten immer mit neuen, noch nicht im Verkehr gewesenen Scheinen, was
die Unterstützung durch die deutsche Regierung zu dem politischen Ziel der
deutschen Kolonisation beweist. (Hat jemand schon solches Blech in einer amtlichen
Denkschrift gelesen? G. Cl.)

"Die in den Grenzbezirken wohnenden deutschen Kolonisten sind im Falle
des Vorgehens der deutschen Armee verpflichtet, dieser Quartier und Furage zu
liefern, solche aber zu verbrennen, sofern die russische Armee sie auffordern
sollte, seitens der deutschen Regierung werden dafür besondere Vergütungen in
Aussicht gestellt.

"Auf dem der Witwe Helene von Bayer gehörigen Gute Skorodupiann
im Kreis Wolkowysk war Administrator der frühere preußische, seit 1881 russische
Untertan Wachtmeister Fuchs, der mit seinen früheren Landsleuten Beziehungen
unterhielt. Zu ihm kamen deutsche Offiziere und machten überall Landesauf¬
nahmen.

"Im Sommer 1913 wurde bekannt, daß in Berlin eine "Fürsorge-Gesell¬
schaft für Rückwandrer aus Rußland" bestand, die in Wirklichkeit die Aufgabe
hatte, durch Vermittlung der deutschen Kolonisten Nachrichten militärischen
Charakters aus Rußland zu erhalten. Die Gesellschaft versuchte nicht, deutsche
Kolonisten aus wichtigen strategischen Gebieten Rußlands nach Deutschland
zurückzuführen, sondern im Gegenteil, ihren Zuzug in solche Gegenden zu ver¬
stärken. (Daher der Name Rückwandrer-Fürsorge-Zentrale! G. Cl.) In
Gegenden ohne militärische Bedeutung entwickelte die Gesellschaft eine umfassende
Agitation für die Rückkehr der Kolonisten nach Deutschland oder für ihre Über¬
siedlung in andre russische Gebiete, die militärisches Interesse hatten. ... In
Wolhynien hatte die Gesellschaft Agenten, die solche Kolonisten in die baltischen
Provinzen leiteten, die die Absicht verrieten, nach Deutschland zurückzukehren.
Für die Übersiedlung ins Baltikum wurde seitens der Gesellschaft selbst in
Deutschland eine eifrige Agitation betrieben.

"Aus einem im Oktober dieses Jahres eingegangenen Berichte des Stadt¬
präsidenten von Kalisch (es ist der Pole Bukowinski, der. in deutsche Gefangenschaft
geraten, ohne ersichtlichen Grund wieder freigelassen wurde. G. Cl.) geht hervor,
daß der deutsche Kolonist Julius Mühlbrandt im Laufe der letzten zehn Jahre
mit Hilfe preußischen Geldes im Kreise Slupcy des Gouvernements Kalisch
eine ganze Reihe von Privatgütern aufgekauft und unter Abweisung der örtlichen
Bauern ausschließlich an deutsche Kolonisten weiter verkauft hat. Das erworbene
Land ist dicht an der Grenze gelegen, wobei einiges auf den Inseln der großen


Der Vernichtungskampf gegen das Deutschtum in Rußland

„Im Jahre 1913 meldete der Gouverneur von Ssuwalki, daß der deutsche
Besitz fünf von Hundert der Gesamtfläche des ihm anvertrauten Gouvernements
ausmache. Die Zahl der deutschen Einwanderung habe 34000 Seelen betragen,
wobei vor allen Dingen die an Preußen grenzenden Bezirke besiedelt
wurden.

„Beim Ankauf von Land verzögerten die Deutschen die Zahlungen nicht
und zahlten immer mit neuen, noch nicht im Verkehr gewesenen Scheinen, was
die Unterstützung durch die deutsche Regierung zu dem politischen Ziel der
deutschen Kolonisation beweist. (Hat jemand schon solches Blech in einer amtlichen
Denkschrift gelesen? G. Cl.)

„Die in den Grenzbezirken wohnenden deutschen Kolonisten sind im Falle
des Vorgehens der deutschen Armee verpflichtet, dieser Quartier und Furage zu
liefern, solche aber zu verbrennen, sofern die russische Armee sie auffordern
sollte, seitens der deutschen Regierung werden dafür besondere Vergütungen in
Aussicht gestellt.

„Auf dem der Witwe Helene von Bayer gehörigen Gute Skorodupiann
im Kreis Wolkowysk war Administrator der frühere preußische, seit 1881 russische
Untertan Wachtmeister Fuchs, der mit seinen früheren Landsleuten Beziehungen
unterhielt. Zu ihm kamen deutsche Offiziere und machten überall Landesauf¬
nahmen.

„Im Sommer 1913 wurde bekannt, daß in Berlin eine „Fürsorge-Gesell¬
schaft für Rückwandrer aus Rußland" bestand, die in Wirklichkeit die Aufgabe
hatte, durch Vermittlung der deutschen Kolonisten Nachrichten militärischen
Charakters aus Rußland zu erhalten. Die Gesellschaft versuchte nicht, deutsche
Kolonisten aus wichtigen strategischen Gebieten Rußlands nach Deutschland
zurückzuführen, sondern im Gegenteil, ihren Zuzug in solche Gegenden zu ver¬
stärken. (Daher der Name Rückwandrer-Fürsorge-Zentrale! G. Cl.) In
Gegenden ohne militärische Bedeutung entwickelte die Gesellschaft eine umfassende
Agitation für die Rückkehr der Kolonisten nach Deutschland oder für ihre Über¬
siedlung in andre russische Gebiete, die militärisches Interesse hatten. ... In
Wolhynien hatte die Gesellschaft Agenten, die solche Kolonisten in die baltischen
Provinzen leiteten, die die Absicht verrieten, nach Deutschland zurückzukehren.
Für die Übersiedlung ins Baltikum wurde seitens der Gesellschaft selbst in
Deutschland eine eifrige Agitation betrieben.

„Aus einem im Oktober dieses Jahres eingegangenen Berichte des Stadt¬
präsidenten von Kalisch (es ist der Pole Bukowinski, der. in deutsche Gefangenschaft
geraten, ohne ersichtlichen Grund wieder freigelassen wurde. G. Cl.) geht hervor,
daß der deutsche Kolonist Julius Mühlbrandt im Laufe der letzten zehn Jahre
mit Hilfe preußischen Geldes im Kreise Slupcy des Gouvernements Kalisch
eine ganze Reihe von Privatgütern aufgekauft und unter Abweisung der örtlichen
Bauern ausschließlich an deutsche Kolonisten weiter verkauft hat. Das erworbene
Land ist dicht an der Grenze gelegen, wobei einiges auf den Inseln der großen


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[0215] Der Vernichtungskampf gegen das Deutschtum in Rußland „Im Jahre 1913 meldete der Gouverneur von Ssuwalki, daß der deutsche Besitz fünf von Hundert der Gesamtfläche des ihm anvertrauten Gouvernements ausmache. Die Zahl der deutschen Einwanderung habe 34000 Seelen betragen, wobei vor allen Dingen die an Preußen grenzenden Bezirke besiedelt wurden. „Beim Ankauf von Land verzögerten die Deutschen die Zahlungen nicht und zahlten immer mit neuen, noch nicht im Verkehr gewesenen Scheinen, was die Unterstützung durch die deutsche Regierung zu dem politischen Ziel der deutschen Kolonisation beweist. (Hat jemand schon solches Blech in einer amtlichen Denkschrift gelesen? G. Cl.) „Die in den Grenzbezirken wohnenden deutschen Kolonisten sind im Falle des Vorgehens der deutschen Armee verpflichtet, dieser Quartier und Furage zu liefern, solche aber zu verbrennen, sofern die russische Armee sie auffordern sollte, seitens der deutschen Regierung werden dafür besondere Vergütungen in Aussicht gestellt. „Auf dem der Witwe Helene von Bayer gehörigen Gute Skorodupiann im Kreis Wolkowysk war Administrator der frühere preußische, seit 1881 russische Untertan Wachtmeister Fuchs, der mit seinen früheren Landsleuten Beziehungen unterhielt. Zu ihm kamen deutsche Offiziere und machten überall Landesauf¬ nahmen. „Im Sommer 1913 wurde bekannt, daß in Berlin eine „Fürsorge-Gesell¬ schaft für Rückwandrer aus Rußland" bestand, die in Wirklichkeit die Aufgabe hatte, durch Vermittlung der deutschen Kolonisten Nachrichten militärischen Charakters aus Rußland zu erhalten. Die Gesellschaft versuchte nicht, deutsche Kolonisten aus wichtigen strategischen Gebieten Rußlands nach Deutschland zurückzuführen, sondern im Gegenteil, ihren Zuzug in solche Gegenden zu ver¬ stärken. (Daher der Name Rückwandrer-Fürsorge-Zentrale! G. Cl.) In Gegenden ohne militärische Bedeutung entwickelte die Gesellschaft eine umfassende Agitation für die Rückkehr der Kolonisten nach Deutschland oder für ihre Über¬ siedlung in andre russische Gebiete, die militärisches Interesse hatten. ... In Wolhynien hatte die Gesellschaft Agenten, die solche Kolonisten in die baltischen Provinzen leiteten, die die Absicht verrieten, nach Deutschland zurückzukehren. Für die Übersiedlung ins Baltikum wurde seitens der Gesellschaft selbst in Deutschland eine eifrige Agitation betrieben. „Aus einem im Oktober dieses Jahres eingegangenen Berichte des Stadt¬ präsidenten von Kalisch (es ist der Pole Bukowinski, der. in deutsche Gefangenschaft geraten, ohne ersichtlichen Grund wieder freigelassen wurde. G. Cl.) geht hervor, daß der deutsche Kolonist Julius Mühlbrandt im Laufe der letzten zehn Jahre mit Hilfe preußischen Geldes im Kreise Slupcy des Gouvernements Kalisch eine ganze Reihe von Privatgütern aufgekauft und unter Abweisung der örtlichen Bauern ausschließlich an deutsche Kolonisten weiter verkauft hat. Das erworbene Land ist dicht an der Grenze gelegen, wobei einiges auf den Inseln der großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/215>, abgerufen am 02.07.2024.