Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der vcrnichtungskampf gegen dus Deutschtnni in Rußland

Die Polen sind schon durch den Entwurf in einzelnen von ihren Magnaten getroffen,
die von deutschen und österreichischen "Untertanen" geerbt haben. Ihre Zugehörig¬
keit zum Slawentum wird sie kaum vor dem Geschick bewahren, solange sie nicht
der römischen Kirche sowie der polnischen Sprache zugunsten der russischen den
Rücken kehren. Der Gesetzentwurf ist schließlich geeignet, die bereits unter der
Asche glimmende soziale Unzufriedenheit zu schüren. Ein zweischneidiges Schwert I
Er muß endlich den verschiedensten Volkskreisen in Rußland die Augen darüber
öffnen, wohin der Negierungskurs führt; denn es trifft sehr viele Russen ebenso
wie die Deutschen. Er weckt die Begehrlichkeit der Bauern und sonstigen Kreise
niederer Bildung, reizt zu Ausbrüchen nationaler Leidenschaften an -- in
Moskau hat man bereits mit der Zerstörung der zahlreichen Geschäfte von
Einem begonnen -- und wird wohl, so wie ich besonders die wolhynischen
Bauern kenne, manche Zerstörung wertvollen Gutes und Mord und Brand zur
Folge haben. Nach der dem Entwurf beigefügten erläuternden Denkschrift scheint
das auch eine Nebenabsicht des Herrn Maklakow zu sein: die gegen den
Zentralismus heraufziehende Revolution will er ableiten auf das zumeist be¬
sitzende Deutschtum. Die Revolution von oben! Das Dokument "Petrograder
Kultur" sei daher hier wörtlich wiedergegeben, wie es die russische Presse
"als Begründung zum Gesetzentwurf" veröffentlicht.

"Schon länger als dreißig Jahre," schreibt der Herr Minister, "läßt sich die
russische Regierung die Erforschung des ausländischen Bodenbesitzes angelegen
sein. Die Ausmaße und das unaufhaltsame Wachstum dieses Bodenbesitzes ist
derart, daß die Frage in den Vordergrund treten mußte. Allein im Südwestgebiete
(das sind die drei Gouvernements Kijew, Podolien und Wolhnnien. D. Red.)
gab es 88000 deutsche Ansiedler, die im Jahre 1882 etwa 400000 Dessjatinen
(1600000 Morgen) Land besaßen. Auf Grund ihrer langjährigen Beobachtungen
ist die Regierung zu der Ansicht gekommen, daß die ausländischen Ansiedler
trotz langjährigen Aufenthalts in russischen Landen in ihrer Mehrzahl nicht nur
keine Neigung zeigten, sich der umwohnenden Bevölkerung zu assimilieren,
sondern standhaft ihre Eigenart und Fremdheit dem russischen Volke gegenüber
bewahrten. Die fremdländischen Ansiedler können als russische Untertanen nur
in formeller Hinsicht bezeichnet werden; tatsächlich neigen sie in ihrer politischen
Gesinnung, in Sprache, in Gewohnheiten und Religion zu ihren Stammes¬
genossen jenseits der Grenze und zu den Zentren der fremdländischen Zivili¬
sation."

In politischer Hinsicht seien die deutschen Ansiedler durchaus nicht loyal
gewesen. "Die Zahl derer, die sich der militärischen Dienstpflicht entzogen, war
immer gewaltig: 1906 waren es 13^ v. H., 1907 -- 19^2 v. H., 1908 --
20^2 v. H. und 1909 gar 22^ v. H. -- Gleichzeitig verblieben die Ansiedler
in der deutschen und österreichischen Untertanenschaft und kamen der militärischen
Dienstpflicht in ihren Staaten gern nach. Im Jahre 1910 wußte man von
einer großen Zahl von Ansiedlern des Gouvernements Wolhynien, daß sie


Der vcrnichtungskampf gegen dus Deutschtnni in Rußland

Die Polen sind schon durch den Entwurf in einzelnen von ihren Magnaten getroffen,
die von deutschen und österreichischen „Untertanen" geerbt haben. Ihre Zugehörig¬
keit zum Slawentum wird sie kaum vor dem Geschick bewahren, solange sie nicht
der römischen Kirche sowie der polnischen Sprache zugunsten der russischen den
Rücken kehren. Der Gesetzentwurf ist schließlich geeignet, die bereits unter der
Asche glimmende soziale Unzufriedenheit zu schüren. Ein zweischneidiges Schwert I
Er muß endlich den verschiedensten Volkskreisen in Rußland die Augen darüber
öffnen, wohin der Negierungskurs führt; denn es trifft sehr viele Russen ebenso
wie die Deutschen. Er weckt die Begehrlichkeit der Bauern und sonstigen Kreise
niederer Bildung, reizt zu Ausbrüchen nationaler Leidenschaften an — in
Moskau hat man bereits mit der Zerstörung der zahlreichen Geschäfte von
Einem begonnen — und wird wohl, so wie ich besonders die wolhynischen
Bauern kenne, manche Zerstörung wertvollen Gutes und Mord und Brand zur
Folge haben. Nach der dem Entwurf beigefügten erläuternden Denkschrift scheint
das auch eine Nebenabsicht des Herrn Maklakow zu sein: die gegen den
Zentralismus heraufziehende Revolution will er ableiten auf das zumeist be¬
sitzende Deutschtum. Die Revolution von oben! Das Dokument „Petrograder
Kultur" sei daher hier wörtlich wiedergegeben, wie es die russische Presse
„als Begründung zum Gesetzentwurf" veröffentlicht.

„Schon länger als dreißig Jahre," schreibt der Herr Minister, „läßt sich die
russische Regierung die Erforschung des ausländischen Bodenbesitzes angelegen
sein. Die Ausmaße und das unaufhaltsame Wachstum dieses Bodenbesitzes ist
derart, daß die Frage in den Vordergrund treten mußte. Allein im Südwestgebiete
(das sind die drei Gouvernements Kijew, Podolien und Wolhnnien. D. Red.)
gab es 88000 deutsche Ansiedler, die im Jahre 1882 etwa 400000 Dessjatinen
(1600000 Morgen) Land besaßen. Auf Grund ihrer langjährigen Beobachtungen
ist die Regierung zu der Ansicht gekommen, daß die ausländischen Ansiedler
trotz langjährigen Aufenthalts in russischen Landen in ihrer Mehrzahl nicht nur
keine Neigung zeigten, sich der umwohnenden Bevölkerung zu assimilieren,
sondern standhaft ihre Eigenart und Fremdheit dem russischen Volke gegenüber
bewahrten. Die fremdländischen Ansiedler können als russische Untertanen nur
in formeller Hinsicht bezeichnet werden; tatsächlich neigen sie in ihrer politischen
Gesinnung, in Sprache, in Gewohnheiten und Religion zu ihren Stammes¬
genossen jenseits der Grenze und zu den Zentren der fremdländischen Zivili¬
sation."

In politischer Hinsicht seien die deutschen Ansiedler durchaus nicht loyal
gewesen. „Die Zahl derer, die sich der militärischen Dienstpflicht entzogen, war
immer gewaltig: 1906 waren es 13^ v. H., 1907 — 19^2 v. H., 1908 —
20^2 v. H. und 1909 gar 22^ v. H. — Gleichzeitig verblieben die Ansiedler
in der deutschen und österreichischen Untertanenschaft und kamen der militärischen
Dienstpflicht in ihren Staaten gern nach. Im Jahre 1910 wußte man von
einer großen Zahl von Ansiedlern des Gouvernements Wolhynien, daß sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329441"/>
          <fw type="header" place="top"> Der vcrnichtungskampf gegen dus Deutschtnni in Rußland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_715" prev="#ID_714"> Die Polen sind schon durch den Entwurf in einzelnen von ihren Magnaten getroffen,<lb/>
die von deutschen und österreichischen &#x201E;Untertanen" geerbt haben. Ihre Zugehörig¬<lb/>
keit zum Slawentum wird sie kaum vor dem Geschick bewahren, solange sie nicht<lb/>
der römischen Kirche sowie der polnischen Sprache zugunsten der russischen den<lb/>
Rücken kehren. Der Gesetzentwurf ist schließlich geeignet, die bereits unter der<lb/>
Asche glimmende soziale Unzufriedenheit zu schüren. Ein zweischneidiges Schwert I<lb/>
Er muß endlich den verschiedensten Volkskreisen in Rußland die Augen darüber<lb/>
öffnen, wohin der Negierungskurs führt; denn es trifft sehr viele Russen ebenso<lb/>
wie die Deutschen. Er weckt die Begehrlichkeit der Bauern und sonstigen Kreise<lb/>
niederer Bildung, reizt zu Ausbrüchen nationaler Leidenschaften an &#x2014; in<lb/>
Moskau hat man bereits mit der Zerstörung der zahlreichen Geschäfte von<lb/>
Einem begonnen &#x2014; und wird wohl, so wie ich besonders die wolhynischen<lb/>
Bauern kenne, manche Zerstörung wertvollen Gutes und Mord und Brand zur<lb/>
Folge haben. Nach der dem Entwurf beigefügten erläuternden Denkschrift scheint<lb/>
das auch eine Nebenabsicht des Herrn Maklakow zu sein: die gegen den<lb/>
Zentralismus heraufziehende Revolution will er ableiten auf das zumeist be¬<lb/>
sitzende Deutschtum. Die Revolution von oben! Das Dokument &#x201E;Petrograder<lb/>
Kultur" sei daher hier wörtlich wiedergegeben, wie es die russische Presse<lb/>
&#x201E;als Begründung zum Gesetzentwurf" veröffentlicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_716"> &#x201E;Schon länger als dreißig Jahre," schreibt der Herr Minister, &#x201E;läßt sich die<lb/>
russische Regierung die Erforschung des ausländischen Bodenbesitzes angelegen<lb/>
sein. Die Ausmaße und das unaufhaltsame Wachstum dieses Bodenbesitzes ist<lb/>
derart, daß die Frage in den Vordergrund treten mußte. Allein im Südwestgebiete<lb/>
(das sind die drei Gouvernements Kijew, Podolien und Wolhnnien. D. Red.)<lb/>
gab es 88000 deutsche Ansiedler, die im Jahre 1882 etwa 400000 Dessjatinen<lb/>
(1600000 Morgen) Land besaßen. Auf Grund ihrer langjährigen Beobachtungen<lb/>
ist die Regierung zu der Ansicht gekommen, daß die ausländischen Ansiedler<lb/>
trotz langjährigen Aufenthalts in russischen Landen in ihrer Mehrzahl nicht nur<lb/>
keine Neigung zeigten, sich der umwohnenden Bevölkerung zu assimilieren,<lb/>
sondern standhaft ihre Eigenart und Fremdheit dem russischen Volke gegenüber<lb/>
bewahrten. Die fremdländischen Ansiedler können als russische Untertanen nur<lb/>
in formeller Hinsicht bezeichnet werden; tatsächlich neigen sie in ihrer politischen<lb/>
Gesinnung, in Sprache, in Gewohnheiten und Religion zu ihren Stammes¬<lb/>
genossen jenseits der Grenze und zu den Zentren der fremdländischen Zivili¬<lb/>
sation."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_717" next="#ID_718"> In politischer Hinsicht seien die deutschen Ansiedler durchaus nicht loyal<lb/>
gewesen. &#x201E;Die Zahl derer, die sich der militärischen Dienstpflicht entzogen, war<lb/>
immer gewaltig: 1906 waren es 13^ v. H., 1907 &#x2014; 19^2 v. H., 1908 &#x2014;<lb/>
20^2 v. H. und 1909 gar 22^ v. H. &#x2014; Gleichzeitig verblieben die Ansiedler<lb/>
in der deutschen und österreichischen Untertanenschaft und kamen der militärischen<lb/>
Dienstpflicht in ihren Staaten gern nach. Im Jahre 1910 wußte man von<lb/>
einer großen Zahl von Ansiedlern des Gouvernements Wolhynien, daß sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0213] Der vcrnichtungskampf gegen dus Deutschtnni in Rußland Die Polen sind schon durch den Entwurf in einzelnen von ihren Magnaten getroffen, die von deutschen und österreichischen „Untertanen" geerbt haben. Ihre Zugehörig¬ keit zum Slawentum wird sie kaum vor dem Geschick bewahren, solange sie nicht der römischen Kirche sowie der polnischen Sprache zugunsten der russischen den Rücken kehren. Der Gesetzentwurf ist schließlich geeignet, die bereits unter der Asche glimmende soziale Unzufriedenheit zu schüren. Ein zweischneidiges Schwert I Er muß endlich den verschiedensten Volkskreisen in Rußland die Augen darüber öffnen, wohin der Negierungskurs führt; denn es trifft sehr viele Russen ebenso wie die Deutschen. Er weckt die Begehrlichkeit der Bauern und sonstigen Kreise niederer Bildung, reizt zu Ausbrüchen nationaler Leidenschaften an — in Moskau hat man bereits mit der Zerstörung der zahlreichen Geschäfte von Einem begonnen — und wird wohl, so wie ich besonders die wolhynischen Bauern kenne, manche Zerstörung wertvollen Gutes und Mord und Brand zur Folge haben. Nach der dem Entwurf beigefügten erläuternden Denkschrift scheint das auch eine Nebenabsicht des Herrn Maklakow zu sein: die gegen den Zentralismus heraufziehende Revolution will er ableiten auf das zumeist be¬ sitzende Deutschtum. Die Revolution von oben! Das Dokument „Petrograder Kultur" sei daher hier wörtlich wiedergegeben, wie es die russische Presse „als Begründung zum Gesetzentwurf" veröffentlicht. „Schon länger als dreißig Jahre," schreibt der Herr Minister, „läßt sich die russische Regierung die Erforschung des ausländischen Bodenbesitzes angelegen sein. Die Ausmaße und das unaufhaltsame Wachstum dieses Bodenbesitzes ist derart, daß die Frage in den Vordergrund treten mußte. Allein im Südwestgebiete (das sind die drei Gouvernements Kijew, Podolien und Wolhnnien. D. Red.) gab es 88000 deutsche Ansiedler, die im Jahre 1882 etwa 400000 Dessjatinen (1600000 Morgen) Land besaßen. Auf Grund ihrer langjährigen Beobachtungen ist die Regierung zu der Ansicht gekommen, daß die ausländischen Ansiedler trotz langjährigen Aufenthalts in russischen Landen in ihrer Mehrzahl nicht nur keine Neigung zeigten, sich der umwohnenden Bevölkerung zu assimilieren, sondern standhaft ihre Eigenart und Fremdheit dem russischen Volke gegenüber bewahrten. Die fremdländischen Ansiedler können als russische Untertanen nur in formeller Hinsicht bezeichnet werden; tatsächlich neigen sie in ihrer politischen Gesinnung, in Sprache, in Gewohnheiten und Religion zu ihren Stammes¬ genossen jenseits der Grenze und zu den Zentren der fremdländischen Zivili¬ sation." In politischer Hinsicht seien die deutschen Ansiedler durchaus nicht loyal gewesen. „Die Zahl derer, die sich der militärischen Dienstpflicht entzogen, war immer gewaltig: 1906 waren es 13^ v. H., 1907 — 19^2 v. H., 1908 — 20^2 v. H. und 1909 gar 22^ v. H. — Gleichzeitig verblieben die Ansiedler in der deutschen und österreichischen Untertanenschaft und kamen der militärischen Dienstpflicht in ihren Staaten gern nach. Im Jahre 1910 wußte man von einer großen Zahl von Ansiedlern des Gouvernements Wolhynien, daß sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/213
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/213>, abgerufen am 02.07.2024.