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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das belgische Problem

nicht verkennen, nur weil er sich durch Hinwegsetzen über Familien- und öffent¬
liche Moral zum Spott der Menschen gemacht hat. Mehr noch soll man sein
Land beklagen, das er mit seinem klugen und weitschauenden Blick auf den
richtigen Weg hätte leiten können, das er zwar groß im Kleinen, aber zu¬
gleich auch durch seine falsche Politik und Moral unglücklich gemacht hat.
Leopold der Zweite hat wiederholt behauptet, wir allein seien es gewesen,
ti>? ihn zwangen, sich und sein Land mehr denn zuvor Frankreich in die Arme
zu werfen. Dieser König vergaß nur allzu leicht und gern, was er vergessen
zu müssen glaubte, in diesem Falle sein zweideutiges Verhalten, als der Kongo¬
staat begründet werden sollte. Wir aber haben ihm dieses nie wieder vergessen
und es ist ihm noch in Rechnung gestellt worden, als er in den letzten Jahren
seiner Regierung wiederholt bei uns anklopfte, als er, leider zu spät, einsah,
daß die von ihm seinem Lande aufgezwungene äußere Politik, so sehr sie dieses
materiell und wirtschaftlich in die Höhe gebracht hatte, doch einen falschen
Weg gegangen war. Vielleicht wäre manches anders gekommen, vielleicht
hätte auch die deutsche Regierung zugunsten unserer kolonialen Aus¬
dehnungspläne über das einst Geschehene den Schleier des Vergessens ge¬
breitet, hätte Leopold der Zweite in der internationalen Wirtschafts- und
Besitzergreifungspolitik weniger macchiavellistisch gegen uus intrigiert und
konspiriert. Es ist ihm zu seinen? Schaden deutscherseits böse angerechnet
worden, daß er, wo immer deutsche Unternehmungslust im Auslande einsetzte,
-- in China, in Marokko, in Nußland, in Südamerika, in Zentralafrika, --
seine Finanzmänner als Plänkler auftreten ließ, um uns zuvorzukommen und
uns das Geschäft zum Vorteile der eigenen Tasche zu verderben. Wäre sein
Verfahren offene Konkurrenz gewesen, so hätte niemand etwas dabei finden
können. Aber wie im Kongo verfuhr Leopold der Zweite überall, wo Deutsch¬
land kolonisieren und europäisches Wirtschaftsleben entfalten wollte: heimlich
und hinterhältig. Er bezahlte seine vorgeschobenen Geldleute reichlich und warf
ihnen gute Knochen hin, wenn ihm nur durch geschickte Umtriebe der Löwen¬
anteil verblieb. Er machte das geschäftliche Raubsustem zu einem wirtschaftlichen
Grundsatz, und es war unstrafbar, weil es ihm nicht aktenmäßig nachgewiesen
werden konnte. Er ließ sein Land, individuell und im ganzen, an diesen Raubzügen
teilnehmen und bereicherte es auf diese Weise. Deutschland machte zu diesem
Verfahren des "königlichen" Kaufmanns ein grimmiges, abweisendes Gesicht,
Frankreich litt es. weil diese Art des Handel uns nicht gefiel und Belgien ihm
durch stillschweigende Duldung immer mehr verpflichtet wurde. Paris
lieh Leopold den Zweiten seine Geldleute und seine Kokotten: sein Kapital
war daher sowohl politisch wie wirtschaftlich gut angelegt. Leopold der Zweite,
der selbst keine Karte anrührte, nährte auf diese Weise den in jedem Belgier
schlummernden Hang zum Spielen. Man gewann daheim und draußen fabel¬
hafte Summen, die sich dann immer wieder nach neuer Betätigung drängten,
da sie im Lande selbst nicht gewinnbringend genug angelegt werden


Das belgische Problem

nicht verkennen, nur weil er sich durch Hinwegsetzen über Familien- und öffent¬
liche Moral zum Spott der Menschen gemacht hat. Mehr noch soll man sein
Land beklagen, das er mit seinem klugen und weitschauenden Blick auf den
richtigen Weg hätte leiten können, das er zwar groß im Kleinen, aber zu¬
gleich auch durch seine falsche Politik und Moral unglücklich gemacht hat.
Leopold der Zweite hat wiederholt behauptet, wir allein seien es gewesen,
ti>? ihn zwangen, sich und sein Land mehr denn zuvor Frankreich in die Arme
zu werfen. Dieser König vergaß nur allzu leicht und gern, was er vergessen
zu müssen glaubte, in diesem Falle sein zweideutiges Verhalten, als der Kongo¬
staat begründet werden sollte. Wir aber haben ihm dieses nie wieder vergessen
und es ist ihm noch in Rechnung gestellt worden, als er in den letzten Jahren
seiner Regierung wiederholt bei uns anklopfte, als er, leider zu spät, einsah,
daß die von ihm seinem Lande aufgezwungene äußere Politik, so sehr sie dieses
materiell und wirtschaftlich in die Höhe gebracht hatte, doch einen falschen
Weg gegangen war. Vielleicht wäre manches anders gekommen, vielleicht
hätte auch die deutsche Regierung zugunsten unserer kolonialen Aus¬
dehnungspläne über das einst Geschehene den Schleier des Vergessens ge¬
breitet, hätte Leopold der Zweite in der internationalen Wirtschafts- und
Besitzergreifungspolitik weniger macchiavellistisch gegen uus intrigiert und
konspiriert. Es ist ihm zu seinen? Schaden deutscherseits böse angerechnet
worden, daß er, wo immer deutsche Unternehmungslust im Auslande einsetzte,
— in China, in Marokko, in Nußland, in Südamerika, in Zentralafrika, —
seine Finanzmänner als Plänkler auftreten ließ, um uns zuvorzukommen und
uns das Geschäft zum Vorteile der eigenen Tasche zu verderben. Wäre sein
Verfahren offene Konkurrenz gewesen, so hätte niemand etwas dabei finden
können. Aber wie im Kongo verfuhr Leopold der Zweite überall, wo Deutsch¬
land kolonisieren und europäisches Wirtschaftsleben entfalten wollte: heimlich
und hinterhältig. Er bezahlte seine vorgeschobenen Geldleute reichlich und warf
ihnen gute Knochen hin, wenn ihm nur durch geschickte Umtriebe der Löwen¬
anteil verblieb. Er machte das geschäftliche Raubsustem zu einem wirtschaftlichen
Grundsatz, und es war unstrafbar, weil es ihm nicht aktenmäßig nachgewiesen
werden konnte. Er ließ sein Land, individuell und im ganzen, an diesen Raubzügen
teilnehmen und bereicherte es auf diese Weise. Deutschland machte zu diesem
Verfahren des „königlichen" Kaufmanns ein grimmiges, abweisendes Gesicht,
Frankreich litt es. weil diese Art des Handel uns nicht gefiel und Belgien ihm
durch stillschweigende Duldung immer mehr verpflichtet wurde. Paris
lieh Leopold den Zweiten seine Geldleute und seine Kokotten: sein Kapital
war daher sowohl politisch wie wirtschaftlich gut angelegt. Leopold der Zweite,
der selbst keine Karte anrührte, nährte auf diese Weise den in jedem Belgier
schlummernden Hang zum Spielen. Man gewann daheim und draußen fabel¬
hafte Summen, die sich dann immer wieder nach neuer Betätigung drängten,
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[0021] Das belgische Problem nicht verkennen, nur weil er sich durch Hinwegsetzen über Familien- und öffent¬ liche Moral zum Spott der Menschen gemacht hat. Mehr noch soll man sein Land beklagen, das er mit seinem klugen und weitschauenden Blick auf den richtigen Weg hätte leiten können, das er zwar groß im Kleinen, aber zu¬ gleich auch durch seine falsche Politik und Moral unglücklich gemacht hat. Leopold der Zweite hat wiederholt behauptet, wir allein seien es gewesen, ti>? ihn zwangen, sich und sein Land mehr denn zuvor Frankreich in die Arme zu werfen. Dieser König vergaß nur allzu leicht und gern, was er vergessen zu müssen glaubte, in diesem Falle sein zweideutiges Verhalten, als der Kongo¬ staat begründet werden sollte. Wir aber haben ihm dieses nie wieder vergessen und es ist ihm noch in Rechnung gestellt worden, als er in den letzten Jahren seiner Regierung wiederholt bei uns anklopfte, als er, leider zu spät, einsah, daß die von ihm seinem Lande aufgezwungene äußere Politik, so sehr sie dieses materiell und wirtschaftlich in die Höhe gebracht hatte, doch einen falschen Weg gegangen war. Vielleicht wäre manches anders gekommen, vielleicht hätte auch die deutsche Regierung zugunsten unserer kolonialen Aus¬ dehnungspläne über das einst Geschehene den Schleier des Vergessens ge¬ breitet, hätte Leopold der Zweite in der internationalen Wirtschafts- und Besitzergreifungspolitik weniger macchiavellistisch gegen uus intrigiert und konspiriert. Es ist ihm zu seinen? Schaden deutscherseits böse angerechnet worden, daß er, wo immer deutsche Unternehmungslust im Auslande einsetzte, — in China, in Marokko, in Nußland, in Südamerika, in Zentralafrika, — seine Finanzmänner als Plänkler auftreten ließ, um uns zuvorzukommen und uns das Geschäft zum Vorteile der eigenen Tasche zu verderben. Wäre sein Verfahren offene Konkurrenz gewesen, so hätte niemand etwas dabei finden können. Aber wie im Kongo verfuhr Leopold der Zweite überall, wo Deutsch¬ land kolonisieren und europäisches Wirtschaftsleben entfalten wollte: heimlich und hinterhältig. Er bezahlte seine vorgeschobenen Geldleute reichlich und warf ihnen gute Knochen hin, wenn ihm nur durch geschickte Umtriebe der Löwen¬ anteil verblieb. Er machte das geschäftliche Raubsustem zu einem wirtschaftlichen Grundsatz, und es war unstrafbar, weil es ihm nicht aktenmäßig nachgewiesen werden konnte. Er ließ sein Land, individuell und im ganzen, an diesen Raubzügen teilnehmen und bereicherte es auf diese Weise. Deutschland machte zu diesem Verfahren des „königlichen" Kaufmanns ein grimmiges, abweisendes Gesicht, Frankreich litt es. weil diese Art des Handel uns nicht gefiel und Belgien ihm durch stillschweigende Duldung immer mehr verpflichtet wurde. Paris lieh Leopold den Zweiten seine Geldleute und seine Kokotten: sein Kapital war daher sowohl politisch wie wirtschaftlich gut angelegt. Leopold der Zweite, der selbst keine Karte anrührte, nährte auf diese Weise den in jedem Belgier schlummernden Hang zum Spielen. Man gewann daheim und draußen fabel¬ hafte Summen, die sich dann immer wieder nach neuer Betätigung drängten, da sie im Lande selbst nicht gewinnbringend genug angelegt werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/21>, abgerufen am 30.06.2024.