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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Das belgische Problem

konnten. Selten aber verbanden sich deutsches und belgisches Kapital. Immer
wieder griff der Belgier nach zweifelhaften Unternehmungen, allein oder
in Gemeinschaft mit seinen französischen Freunden, die für ihn im Anfang
einen so hohen Gewinn abwerfen mußten, daß der spätere, unausbleibliche
Krach ihm nichts mehr anhaben konnte. Nur Rußland wurde auch für Belgien
zu einer bösen geschäftlichen Kalamität. Seitdem wurde man in Belgien vorsichtiger
und auch aufmerksamer auf deutsche Unternehmungen, deren Solidität weniger großen
Gewinn, dafür aber desto längere Dauer verhieß. Immerhin hat die Methode
Leopolds des Zweiten für Belgien noch bis zum Ausbruch des gegenwärtigen
Krieges seine schlechten Früchte getragen. Sollte daher Belgien zur Strafe für
sein verräterisches Bündnis mit Frankreich und England nur mit einer Kriegs¬
steuer herangezogen werden, so gäbe es keinen Grund für die Besorgnis, daß
sie etwa nicht bezahlt werden könnte. Es läge darin eine Art Nemesis,
wenn dieses, vielfach nicht sehr reinlich erworbene Vermögen des Landes und
der einzelnen Persönlichkeiten, gerade in die Hände derjenigen Nation käme,
die Belgien infolge ihrer Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Gediegenheit in Politik
und Geschäften so sehr ein Dorn im Auge ist, daß es bei jeder Gelegenheit
sie noch zu verhöhnen zu müssen glaubt.

Unser heutiges wechselseitiges Wirtschafts- und Jnteressenleben darf aber
nicht einseitig urteilen und verurteilen. Ein falsches System muß sich am
Ende durch sich selbst rächen. Das Beispiel Belgiens gerade lehrt die Wahr¬
heit dieser Behauptung. Leopold der Zweite war wohl ein grenzenloser, ja
knausriger Egoist, soweit die eigene Tasche mitsprach und in der Wahl seiner
Mittel nie verlegen, er war aber auch weitblickend und verstand sein kleines
Reich zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Faktor umzugestalten. Er verschaffte
demnach seinen Untertanen neben einem spekulativen, auch einen sehr soliden
geschäftlichen Boden. Er wurde ihnen aber auch gefährlich, weil er für
seine umwälzenden Pläne die Tasche der Steuerzahler zu wenig und die
eigene zu viel schonte. Er fand in vielen seiner Minister, so namentlich
im Grafen de Smee de Nayer, zu dienstwillige Männer, die ohne zu rechnen,
mit ihm durch Dick und Dünn gingen. Immer wieder suchte er für seinen
Kongostaat Belgien Millionen zu entlocken, die er teils in Afrika, teils für
seine architektonischen Umgestaltungspläne in Belgien selbst zu verwenden
trachtete. Er trieb sein Spiel schließlich so rücksichts- und gewissenlos, daß
die unbedingtesten Verfechter seiner kolonialen Politik, unter Führung des ehren¬
werten Staatsministers Beernaert, sich von ihm abwandten und, weil er keine
Abrechnung über seine geschäftlichen Machenschaften im Kongo ablegen wollte,
ihn zwangen, Belgien schon bei seinen Lebzeiten das ihm zugedachte afrikanische
Erbe antreten zu lassen. Belgien wußte zwar, daß es den großen Geldopfern,
die es für den Kongo bereits gebracht, noch größere würde hinzufügen müssen;
es fühlte, daß es einer von Grund aufbauenden Organisation und
Administration bedürfen würde, um den Kongo zu einer ertragsfähigen Kolonie


Das belgische Problem

konnten. Selten aber verbanden sich deutsches und belgisches Kapital. Immer
wieder griff der Belgier nach zweifelhaften Unternehmungen, allein oder
in Gemeinschaft mit seinen französischen Freunden, die für ihn im Anfang
einen so hohen Gewinn abwerfen mußten, daß der spätere, unausbleibliche
Krach ihm nichts mehr anhaben konnte. Nur Rußland wurde auch für Belgien
zu einer bösen geschäftlichen Kalamität. Seitdem wurde man in Belgien vorsichtiger
und auch aufmerksamer auf deutsche Unternehmungen, deren Solidität weniger großen
Gewinn, dafür aber desto längere Dauer verhieß. Immerhin hat die Methode
Leopolds des Zweiten für Belgien noch bis zum Ausbruch des gegenwärtigen
Krieges seine schlechten Früchte getragen. Sollte daher Belgien zur Strafe für
sein verräterisches Bündnis mit Frankreich und England nur mit einer Kriegs¬
steuer herangezogen werden, so gäbe es keinen Grund für die Besorgnis, daß
sie etwa nicht bezahlt werden könnte. Es läge darin eine Art Nemesis,
wenn dieses, vielfach nicht sehr reinlich erworbene Vermögen des Landes und
der einzelnen Persönlichkeiten, gerade in die Hände derjenigen Nation käme,
die Belgien infolge ihrer Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Gediegenheit in Politik
und Geschäften so sehr ein Dorn im Auge ist, daß es bei jeder Gelegenheit
sie noch zu verhöhnen zu müssen glaubt.

Unser heutiges wechselseitiges Wirtschafts- und Jnteressenleben darf aber
nicht einseitig urteilen und verurteilen. Ein falsches System muß sich am
Ende durch sich selbst rächen. Das Beispiel Belgiens gerade lehrt die Wahr¬
heit dieser Behauptung. Leopold der Zweite war wohl ein grenzenloser, ja
knausriger Egoist, soweit die eigene Tasche mitsprach und in der Wahl seiner
Mittel nie verlegen, er war aber auch weitblickend und verstand sein kleines
Reich zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Faktor umzugestalten. Er verschaffte
demnach seinen Untertanen neben einem spekulativen, auch einen sehr soliden
geschäftlichen Boden. Er wurde ihnen aber auch gefährlich, weil er für
seine umwälzenden Pläne die Tasche der Steuerzahler zu wenig und die
eigene zu viel schonte. Er fand in vielen seiner Minister, so namentlich
im Grafen de Smee de Nayer, zu dienstwillige Männer, die ohne zu rechnen,
mit ihm durch Dick und Dünn gingen. Immer wieder suchte er für seinen
Kongostaat Belgien Millionen zu entlocken, die er teils in Afrika, teils für
seine architektonischen Umgestaltungspläne in Belgien selbst zu verwenden
trachtete. Er trieb sein Spiel schließlich so rücksichts- und gewissenlos, daß
die unbedingtesten Verfechter seiner kolonialen Politik, unter Führung des ehren¬
werten Staatsministers Beernaert, sich von ihm abwandten und, weil er keine
Abrechnung über seine geschäftlichen Machenschaften im Kongo ablegen wollte,
ihn zwangen, Belgien schon bei seinen Lebzeiten das ihm zugedachte afrikanische
Erbe antreten zu lassen. Belgien wußte zwar, daß es den großen Geldopfern,
die es für den Kongo bereits gebracht, noch größere würde hinzufügen müssen;
es fühlte, daß es einer von Grund aufbauenden Organisation und
Administration bedürfen würde, um den Kongo zu einer ertragsfähigen Kolonie


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[0022] Das belgische Problem konnten. Selten aber verbanden sich deutsches und belgisches Kapital. Immer wieder griff der Belgier nach zweifelhaften Unternehmungen, allein oder in Gemeinschaft mit seinen französischen Freunden, die für ihn im Anfang einen so hohen Gewinn abwerfen mußten, daß der spätere, unausbleibliche Krach ihm nichts mehr anhaben konnte. Nur Rußland wurde auch für Belgien zu einer bösen geschäftlichen Kalamität. Seitdem wurde man in Belgien vorsichtiger und auch aufmerksamer auf deutsche Unternehmungen, deren Solidität weniger großen Gewinn, dafür aber desto längere Dauer verhieß. Immerhin hat die Methode Leopolds des Zweiten für Belgien noch bis zum Ausbruch des gegenwärtigen Krieges seine schlechten Früchte getragen. Sollte daher Belgien zur Strafe für sein verräterisches Bündnis mit Frankreich und England nur mit einer Kriegs¬ steuer herangezogen werden, so gäbe es keinen Grund für die Besorgnis, daß sie etwa nicht bezahlt werden könnte. Es läge darin eine Art Nemesis, wenn dieses, vielfach nicht sehr reinlich erworbene Vermögen des Landes und der einzelnen Persönlichkeiten, gerade in die Hände derjenigen Nation käme, die Belgien infolge ihrer Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Gediegenheit in Politik und Geschäften so sehr ein Dorn im Auge ist, daß es bei jeder Gelegenheit sie noch zu verhöhnen zu müssen glaubt. Unser heutiges wechselseitiges Wirtschafts- und Jnteressenleben darf aber nicht einseitig urteilen und verurteilen. Ein falsches System muß sich am Ende durch sich selbst rächen. Das Beispiel Belgiens gerade lehrt die Wahr¬ heit dieser Behauptung. Leopold der Zweite war wohl ein grenzenloser, ja knausriger Egoist, soweit die eigene Tasche mitsprach und in der Wahl seiner Mittel nie verlegen, er war aber auch weitblickend und verstand sein kleines Reich zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Faktor umzugestalten. Er verschaffte demnach seinen Untertanen neben einem spekulativen, auch einen sehr soliden geschäftlichen Boden. Er wurde ihnen aber auch gefährlich, weil er für seine umwälzenden Pläne die Tasche der Steuerzahler zu wenig und die eigene zu viel schonte. Er fand in vielen seiner Minister, so namentlich im Grafen de Smee de Nayer, zu dienstwillige Männer, die ohne zu rechnen, mit ihm durch Dick und Dünn gingen. Immer wieder suchte er für seinen Kongostaat Belgien Millionen zu entlocken, die er teils in Afrika, teils für seine architektonischen Umgestaltungspläne in Belgien selbst zu verwenden trachtete. Er trieb sein Spiel schließlich so rücksichts- und gewissenlos, daß die unbedingtesten Verfechter seiner kolonialen Politik, unter Führung des ehren¬ werten Staatsministers Beernaert, sich von ihm abwandten und, weil er keine Abrechnung über seine geschäftlichen Machenschaften im Kongo ablegen wollte, ihn zwangen, Belgien schon bei seinen Lebzeiten das ihm zugedachte afrikanische Erbe antreten zu lassen. Belgien wußte zwar, daß es den großen Geldopfern, die es für den Kongo bereits gebracht, noch größere würde hinzufügen müssen; es fühlte, daß es einer von Grund aufbauenden Organisation und Administration bedürfen würde, um den Kongo zu einer ertragsfähigen Kolonie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/22>, abgerufen am 30.06.2024.