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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Schöne Literatur im Kriege

mischt sich in diesem vortrefflichen sozialen Theaterstück, das wir -- vielleicht,
vielleicht! -- nach dem Frieden gar nicht mehr aufzuführen nötig haben, bereits
das staatsmännische mit dem Reinmenschlichen, Allzumenschlichen.

In Georg Hirschfelds "Nachwelt, Der Roman eines Starken"
(Stuttgart und Berlin, Cotta) stehen wir dann bereits auf den Brettern, die, fern
von harten politischen Wirklichkeiten, die Welt nur bedeuten. Leicht erkennbare und
allbekannte Modelle und Vorgänge der Berliner und Wiener Theaterwelt sind
in diesem Schlüsselromane, der im Feuilleton eines sehr weit verbreiteten Blattes
zuerst erschien, verwertet worden, Josef Kainzens Leben und Sterben, der
Zwist, den er in der eigenen Familie, der Generation seiner Kinder, der "Nach¬
welt" im engsten Kreise, fand, ist der Kern des Stoffes. Diese Nachwelt
durchschaut das menschlich tief Fragwürdige alles Künstlertumes, und diese
Problematik, die häufige Tatsache, daß die Natur dem Menschen haushälterisch
vorenthält, was sie dem Künstler gibt, wäre schon ein Thema gewesen. Allein,
es ist alles nur eben angerührt, in dieser Gestaltung spannt sich kein Wille,
kein Rhythmus singt in diesem Stil, keine einprägsame Wendung läßt uns auf¬
horchen und klingt nach, es ist alles so schlecht und recht, so in die Schreib->
Maschine diktiert. Dergleichen wird bleiben, der Durchschnittsleser braucht sein
Durchschnittsfutter.

Immerhin lebt in dem Buche doch noch etwas von Schicksal, von einem
Könige und Helden wenigstens der Bühne, und ein Hauch heldenhaften Sterbens
weht uns an. "Die Temperierten" von Emil Faktor (Berlin, S. Fischer)
dagegen leben von der Furcht vor dem Schicksal. Es handelt sich um eine
Eheirrung, wo man sich versteht, verzeiht, losspricht, befreundet bleibt, abwägt
und berechnet. Zu einem Drama -- geschweige einem Trauerspiel -- langt
es bei diesen leidenschaftslosen Schemen nicht mehr, denn "Drama" heißt ja
Handlung, und mit vollstem Rechte hat der Verfasser dieser Folge von Gesprächen
den Untertitel "Auseinandersetzungen" gegeben. Die Gemütsverfassung, von
der sie getragen werden, berührt seltsam in einer Zeit, die uns mit einer starken
Kraft des Hasses und der Liebe wieder begnadet hat, die uns jeder schlaffen
Gerechtigkeit entfremdet und die Gültigkeit des laxen Satzes gefährdet, daß
alles verstehen, alles verzeihen heiße. Jahrzehnte eines gedeihlichen Friedens
sind hier Boraussetzung, und ich wüßte nicht, wann solche Feinheiten wieder
einmal geschrieben werden könnten. Betrachten wir vollends "Kammermusik,
Ein Rokoko-Roman" von Peter Baum (Berlin, Hyperionverlag) aus unserem
jetzigen Sehwinkel, so wird uns zumute, als wenn wir ein venezianisches Zier¬
glas auf einer Feldküche fänden. Letzte Fortgeschrittenheiten und ein Reichtum
an überfeinerten Geist im Rahmen einer Handlung, die in der vorrevolutionären
Aristokratie Frankreichs spielt--schnörkelhafter Übermut, Luxus, für lange
Jahre erledigt, nicht nur im Augenblicke Makulatur . . .

Von hier geht die Kurve wieder aufwärts. Ist "Sommeraufenthalt" von
Hugo Wolf (Berlin, Hyperionverlag) auch noch kein Werk, an dem man sich


Schöne Literatur im Kriege

mischt sich in diesem vortrefflichen sozialen Theaterstück, das wir — vielleicht,
vielleicht! — nach dem Frieden gar nicht mehr aufzuführen nötig haben, bereits
das staatsmännische mit dem Reinmenschlichen, Allzumenschlichen.

In Georg Hirschfelds „Nachwelt, Der Roman eines Starken"
(Stuttgart und Berlin, Cotta) stehen wir dann bereits auf den Brettern, die, fern
von harten politischen Wirklichkeiten, die Welt nur bedeuten. Leicht erkennbare und
allbekannte Modelle und Vorgänge der Berliner und Wiener Theaterwelt sind
in diesem Schlüsselromane, der im Feuilleton eines sehr weit verbreiteten Blattes
zuerst erschien, verwertet worden, Josef Kainzens Leben und Sterben, der
Zwist, den er in der eigenen Familie, der Generation seiner Kinder, der „Nach¬
welt" im engsten Kreise, fand, ist der Kern des Stoffes. Diese Nachwelt
durchschaut das menschlich tief Fragwürdige alles Künstlertumes, und diese
Problematik, die häufige Tatsache, daß die Natur dem Menschen haushälterisch
vorenthält, was sie dem Künstler gibt, wäre schon ein Thema gewesen. Allein,
es ist alles nur eben angerührt, in dieser Gestaltung spannt sich kein Wille,
kein Rhythmus singt in diesem Stil, keine einprägsame Wendung läßt uns auf¬
horchen und klingt nach, es ist alles so schlecht und recht, so in die Schreib->
Maschine diktiert. Dergleichen wird bleiben, der Durchschnittsleser braucht sein
Durchschnittsfutter.

Immerhin lebt in dem Buche doch noch etwas von Schicksal, von einem
Könige und Helden wenigstens der Bühne, und ein Hauch heldenhaften Sterbens
weht uns an. „Die Temperierten" von Emil Faktor (Berlin, S. Fischer)
dagegen leben von der Furcht vor dem Schicksal. Es handelt sich um eine
Eheirrung, wo man sich versteht, verzeiht, losspricht, befreundet bleibt, abwägt
und berechnet. Zu einem Drama — geschweige einem Trauerspiel — langt
es bei diesen leidenschaftslosen Schemen nicht mehr, denn „Drama" heißt ja
Handlung, und mit vollstem Rechte hat der Verfasser dieser Folge von Gesprächen
den Untertitel „Auseinandersetzungen" gegeben. Die Gemütsverfassung, von
der sie getragen werden, berührt seltsam in einer Zeit, die uns mit einer starken
Kraft des Hasses und der Liebe wieder begnadet hat, die uns jeder schlaffen
Gerechtigkeit entfremdet und die Gültigkeit des laxen Satzes gefährdet, daß
alles verstehen, alles verzeihen heiße. Jahrzehnte eines gedeihlichen Friedens
sind hier Boraussetzung, und ich wüßte nicht, wann solche Feinheiten wieder
einmal geschrieben werden könnten. Betrachten wir vollends „Kammermusik,
Ein Rokoko-Roman" von Peter Baum (Berlin, Hyperionverlag) aus unserem
jetzigen Sehwinkel, so wird uns zumute, als wenn wir ein venezianisches Zier¬
glas auf einer Feldküche fänden. Letzte Fortgeschrittenheiten und ein Reichtum
an überfeinerten Geist im Rahmen einer Handlung, die in der vorrevolutionären
Aristokratie Frankreichs spielt--schnörkelhafter Übermut, Luxus, für lange
Jahre erledigt, nicht nur im Augenblicke Makulatur . . .

Von hier geht die Kurve wieder aufwärts. Ist „Sommeraufenthalt" von
Hugo Wolf (Berlin, Hyperionverlag) auch noch kein Werk, an dem man sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/200>, abgerufen am 02.07.2024.